Harem, Serail, Zenana – seit Jahrtausenden beflügeln sie die Fantasie der westlichen Geschichtenerzähler. Nur wenigen war es gestattet, tatsächlich in diese geheimen Welten einzudringen, in denen Ehefrauen, Geliebte, Kinder und Angehörige der orientalischen Herrscher lebten. Trotzdem erzählten Reisende seit jeher davon, was ihnen Dienstmädchen, Ärzte und Krämer aus den intimen Gemächern berichteten.
Die junge Malerin Priti bekommt den Auftrag, für den Timuridenkaiser Jahangir ein Muraqqa‘ (Bilderbogen) über das Leben der Frauen im Harem anzufertigen. Eigentlich soll Priti nur beobachten, aber der Harem ist nicht nur Ort der Schönheit und Sinnlichkeit, sondern auch Schauplatz von Intrigen und Machtkämpfen …
Originaltitel: Muraqqa‘ Tome 1 - Vêtue par le ciel |
Die Grundidee der Handlung
Der Handlungshintergrund um Jahangir und seine schöne Ehefrau Nur Mahal (Licht des Palasts) beruht auf echten geschichtlichen Wurzeln. Jahangir regierte als Großmogul zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Das Reich der Timuriden erstreckte sich in Zentralasien über heutige Teile von Nordindien, Pakistan und Afghanistan. Da Jahangir der Opium- und Alkoholsucht verfallen war und damit praktisch regierungsunfähig, nahm seine kluge, aus Persien stammende Ehefrau Nur Mahal das Zepter in die Hand und verteilte sämtliche hohen Regierungsposten innerhalb ihrer eigenen Familie. Zudem wurde ihre Nichte mit Jahangirs jüngerem Sohn Khurram verheiratet. Dies alles wird von Jahangirs ältestem Sohn Khusrau natürlich nicht gern gesehen, der sich um sein Erbe betrogen fühlt. Doch erblindet, entmündigt und eingesperrt, kann er nichts dagegen unternehmen.
Malerin Priti, als fiktive zentrale Figur, wird nun zur stillen Beobachterin dieser illustren Szenerie. In gleichen Maßen wie sie vom Obereunuch und der Verwalterin des Harems in Jahangirs Hof eingeführt wird, sollen sich analog auch für den Leser die Zusammenhänge erschließen, was leider nicht gelingt. Es machte sich bei mir nur maßlose Verwirrung breit, weshalb ich die historischen Fakten und familiären Verstrickungen nebenbei im Internet recherchierte, um dem Plot folgen zu können. Dubios fand ich auch, dass Jahangir im Comic zwar ständig in aller Munde ist, man ihn aber nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommt. Abgesehen von der wenig gelungenen allgemeinen Einführung tut sich in Band 1 so gut wie nichts, die angekündigten Intrigen und Machtkämpfe lassen noch auf sich warten.
Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Illustratorin Ana Miralles dürfte den deutschen Comiclesern in erster Linie durch ihre Erfolgsreihe Djinn (Schreiber & Leser) ein Begriff sein. Tatsächlich könnte Muraqqa‘ sogar als Zwillingsschwester von Djinn durchgehen, so auffallend sind die Parallelen dort und hier in ihrer Opulenz, Exotik und Sinnlichkeit, wenngleich die Technik der Spanierin ausgefeilter und gereifter erscheint. Konnte man in Djinn hie und da noch stark ähnelnde Gesichtszüge bei den Figuren feststellen, die leicht zu Verwechslungen führen konnten, überzeugt sie hier mit sehr differenzierten Gesichtern. Nur Priti kommt mir als einzige der Figuren mehr europäisch denn indisch oder zentralasiatisch vor. Mit ihrer Person fühlte ich mich sofort an Kim und Jade aus Djinn erinnert.
Die authentisch dargestellten Kulissen und die prachtvolle Ausstattung der Figuren, unterstützt durch die kräftigen, leuchtenden Farben, lassen einen - ähnlich wie im Film - sofort eintauchen in die farbenfrohe Szenerie. Hier wurde nicht gekleckert, hier wurde geklotzt, und zwar in allem. Allein dieser Bilder wegen lohnt sich die Anschaffung des Comics, auch wenn die Handlung noch sehr verhalten daherkommt. Doch ich bin eigentlich ganz zuversichtlich, dass auch sie sich im nächsten Band mausern wird.
Wie sieht es nun aber mit der Erotik aus? Eine Frage, die bestimmt alle Ana Miralles Anhänger brennend interessieren wird. Offenkundige Erotik in intimen Szenen darf man nicht erwarten, auch bahnt sich noch keine Beziehung zwischen zwei Figuren ab, trotzdem geizt der Band nicht mit unterschwelliger Erotik und Sinnlichkeit. Der Zenana (Harem) ist wie dafür geschaffen, leicht- und unbekleidete Frauen in ganz ungezwungener Atmosphäre zu präsentieren z.B. beim fröhlichen Planschen unter freiem Himmel, im Dampfbad, oder sei es nur mittels ihrer knapp sitzenden Saris, die mehr sonnengebräunte Haut zeigen als verhüllen.
Die Panels von überwiegend mittlerer Größe sind in einigen Millimetern Abstand voneinander auf weißem Seitenuntergrund angeordnet, was ich als guten Kontrast zur kräftigen Farbpalette empfand. Für Erzähl- und Sprechtext wurde eine weniger gelungene, weil einheitliche Darstellung mit rechteckiger Umrandung und gleichem Schriftbild in Großbuchstaben gewählt, die mich an einigen Stellen rätseln ließ, ob es sich wohl um Erzähl- oder Dialogtext handele. Spezielle Begriffe sind mit Stern gekennzeichnet und werden als Fußnote auf derselben Seite erklärt. Soundwords fielen mir bei dem Comic keine ins Auge.
Aufmachung des Comics
In seinen Maßen (24,3 x 32 cm) fällt Muraqqa‘ etwas größer aus als der Standardcomic. Sogar die Buchdeckel dieser Hardcover-Ausgabe erscheinen mir einen Hauch dicker und stabiler als üblich. Vor- und Nachsatzblätter wurden üppig mit silbergrauen Blumen auf dunkelblauem Untergrund bedruckt. Auch die Papierqualität ist vom Feinsten: sehr fest und schön dick, da scheint nichts durch, wenn man die Seiten gegen das Licht hält. Einzig beim Druck gibt es eine Kleinigkeit zu beanstanden, denn vereinzelt sind Textblasen zu blass und durchscheinend bedruckt, als wäre die Farbe ausgegangen.
Das Cover zeigt sich genauso prachtvoll wie der Innenteil. Wirklich sehr gelungen und ansprechend. Der Titel Muraqqa‘ in Goldlettern, die Illustration mit Hauptfigur Priti in leuchtenden, üppigen Farben vor weißem Hintergrund – was soll ich dazu groß sagen, das Bild spricht für sich. Auf der ebenfalls weißgrundierten Rückseite sind mittig der Titel, eine Szene aus dem Dampfbad und die Inhaltsangabe in ebendieser Reihenfolge von oben nach unten angeordnet.
Fazit
Exotisch, üppig, sinnlich – in die farbenprächtigen Kulissen von Ana Miralles (Djinn) lässt es sich sofort eintauchen. Der historische Plot um den indischen Großmogul Jahangir aus der Feder ihres Ehemannes Emilio Ruiz hat dagegen noch Startschwierigkeiten. Hier bleibt abzuwarten, wie sich das Ganze weiterentwickeln wird.
Hinweise
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