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Das Leben meiner Eltern ist so strahlend, als wäre es gar nicht echt. Es hat eine klinisch saubere Frische wie Schnittblumen, eingeschweißt in Zellophan. Mir wird schlecht davon. Seit dem Tod meiner Schwester weiß ich, Leben ist Chaos.

Aber ich bin hier. Und hellwach. Ich schlinge die Arme um die Knie, weine und lache und suche nach meinem iPod, damit ich die passende Musik dabeihabe. Jetzt habe ich die Chance auf etwas Wunderschönes. Ich bin verliebt. Dieses aufgedrehte Gefühl ist zu einem summenden, knisternden elektrischen Feld geworden. Ich will die Straße hinunter tanzen.

 

Hellwach 

Originaltitel: Wild Awake
Autor: Hilary T. Smith
Übersetzer: Jenny Merling
Verlag: Fischer FJB
Erschienen: 04/2015
ISBN: 978-3-8414-2157-9
Seitenzahl: 367 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Kiri führt seit Jahren das Leben der braven und guten Tochter, die sehr folgsam die Träume und Vorstellungen ihrer Eltern erfüllt. Sie benimmt sich, übt tagaus tagein ihre Klavierpartituren und ist auch ansonsten all das, was ihre große Schwester Sukey nie gewesen ist: ein Musterkind. Aber dann machen ihre Eltern eine lange geplante Kreuzfahrt und Kiri ist für Wochen allein Zuhause. Und in diesen Wochen stellt sich ihr bisheriges Leben vollkommen auf den Kopf. Denn sie erfährt die Wahrheit über ihre Schwester, sieht endlich, wie ihr Schwarm Lukas wirklich ist und was Musik für sie eigentlich bedeutet. Und sie beginnt die Dinge infrage zu stellen, absolut Neues auszuprobieren und verliert dabei völlig den Halt.

Hilary T. Smith hat ihren Roman mit einem merkwürdigen Schreibstil in Worte gefasst. Es ist stellenweise schillernd, manchmal chaotisch und oftmals einfach nur seltsam.


Stil und Sprache
Aus der Ich-Perspektive der Protagonistin heraus wird der Leser von Beginn an in eine etwas verworrene und nicht sofort nachvollziehbare Geschichte geworfen. Kiri, die 17-jährige Hauptfigur, ist für mehrere Wochen allein daheim und begibt sich auf eine Entdeckungsreise der ganz besonderen Art. Nicht nur, dass enorm viel Alkohol und Gras im Spiel ist, nein, Kiri verliert sich auch vollkommen im stundenlangen Klavierüben, das sie buchstäblich rund um die Uhr betreibt.

Hilary T. Smith hat einen sprunghaften, kurzen und fast schon abgehackten Schreibstil, was verbunden mit dem ruhigen Tonfall eine sehr skurrile Stimmung ergibt. Selbst in den Szenen, wo Kiri auf den Klaviertasten herum haut und ihre eigene Interpretation der Klassik von sich gibt, ändert sich das nicht. Der Zugang zur Handlung und den Figuren bleibt dem Leser verwehrt. Weder gelang es mir, mich in die Charaktere hineinzuversetzen – trotz der Erzählperspektive -, noch war es möglich, die Geschichte auch nur ansatzweise nachvollziehen zu können. Dafür ist der Leser nach der Lektüre darüber im Bilde, wie man eine Graspfeife richtig zusammensetzt und benutzt und welche Alkoholmischung in Verbindung mit bestimmten Tabletten zum besten Trip für einen Teenager führt. Und auf beides kann man locker verzichten! Nach wenigen Kapiteln wird die Handlung dann auch noch so abstrus und merkwürdig, dass auch die vielen schönen und bildhaften Vergleiche das seltsame Gefühl der Irritation nicht mehr auffangen können. Da fehlt die Struktur, und die Protagonistin scheint mehr und mehr außer Kontrolle zu geraten. Anfangs fand ich das ja noch witzig, warum sollte eine 17-Jährige das Leben nicht genießen, vor allem wenn die Eltern nicht da sind? Aber das, was Kiri im weiteren Handlungsverlauf macht, das hat mit genießen oder Selbstfindung nichts mehr zu tun. Das war nur noch Selbstzerstörung.

Ja, der Plot dieses Buches ist schön (Teenager entdeckt das große Familiengeheimnis und setzt sich damit auseinander), keine Frage, nur leider hat die Autorin es nicht geschafft, dem Leser wirklich Zugang zur Geschichte zu geben. Hellwach liest sich größtenteils, als wäre man auf irgendeinem Drogentrip oder im Vollrausch – was die Hauptfigur beides leider zu oft auch ist (für meinen Geschmack zu oft!) - und den roten Faden sucht man teilweise vergebens. Kein Zweifel, Hilary T. Smith hat eine besondere Art, Gefühle und Stimmung auszudrücken. Sie nutzt Farben, Gegenstände und Landschaften um die verschiedenen Situationen und Zustände von Kiri in Worte zu fassen, trotzdem fehlt das gewisse Etwas. Da wäre an so mancher Stelle weniger eindeutig mehr gewesen und es hätte dem Roman mehr als nur gut getan, wenn nicht alles ein Aneinanderreihen von den unterschiedlichen High-Zuständen gewesen wäre. So hab ich am Ende den Titel zugeklappt und mich gefragt: Und was war das jetzt? Eine Anleitung wie man am besten Gras raucht??


Figuren
Die Autorin scheint eine Vorliebe für krasse Gegensätze und diverse Süchte und Krankheiten zu haben. Entweder übertreibt sie maßlos oder sie hat eine so unrealistische Vorstellung von einem bestimmten Krankheitsbild, dass sie nicht einmal andeutungsweise ein glaubwürdiges Bild erschaffen kann. So kontrollsüchtig die Figuren in Kiris Alltagswelt sind - so glatt, oberflächlich und fast schon unwirklich -, so zerbrochen, real und desillusioniert sind sie im Leben von ihrer Schwester. Hilary T. Smith schickt Kiri in genau diese Welt und bringt so ihre eigene, von den Eltern sorgfältig aufgebaute, zum Einstürzen. Ihr Schwarm Lukas entpuppt sich als absolut ignoranter und unfähiger Junge, die Eltern hören der Tochter überhaupt nicht zu und tun praktisch alles, um diese in einem sterilen Kokon zu halten und ja nicht mitkriegen zu lassen, dass die Welt nicht nur eitel Sonnenschein ist. Lukas Mutter Petra ist so sehr mit ihrem Beruf verwachsen, dass sie überall psychologische Probleme sieht und Kiri mit ihrer Fragerei und Aufdringlichkeit fast erdrückt. Aber ihr über 20-jähriger Bruder setzt dem Ganzen dann noch die Krone auf, in dem er in einem Wutanfall das Wertvollste zerstört, das Kiri in ihrem Leben je besessen hat.

Ein heruntergekommenes Stadtviertel wird zum Sammelpunkt für die am Leben gescheiterten, die mit Drogensucht, sozialem Abstieg und psychischen Problemen zu kämpfen haben (als ob es das alles bei den Reichen oder in der Mittelschicht nicht gebe) und es scheint, als ob die Autorin da eine ganz bewusste Linie zwischen der heilen und der zerbrochenen Welt zieht. Die Romanze, die sich genau dort zwischen zwei Charakteren entwickelt, geht dabei fast unter. Schade, denn genau diese wunderschönen Gefühle waren es, die den Roman so einigermaßen lesenswert gemacht haben.


Aufmachung des Buches
Diese Klappenbroschur ist optisch nicht zu übersehen und sieht ein bisschen wie ein modernes Gemälde aus. Neongelbe Pinselstriche kombiniert mit Roten und Pinkfarbenen vor schwarzem Hintergrund bilden eine Art Kreis um den weißen Buchtitel. Der geht in dem Farbgemisch fast unter. Die Covergestaltung zieht sich über den Buchrücken bis zur Rückseite des Titels. Dort steht eine sehr ungewöhnliche Angabe zum Romaninhalt: eine Art Liste, die zeigt, was erwartet wurde und was tatsächlich geschah.


Fazit
Wer sich auf einen ungewöhnlichen Roman mit einer schönen Liebesgeschichte freut, der wird mit Hellwach nicht glücklich werden, und sollte die Finger davon lassen. Wer sich auf eine abgehobene, schräge und oft auch sehr abstrakte Geschichte einstellt und keine großen Anforderungen an einen Plot oder gar eine logische Handlung stellt, der wird zufrieden sein.


2 5 Sterne


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