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Holly Jane Rahlens


Holly-Jane Rahlens zog nach einem Literatur- und Theater-Studium an der City University of New York aus ihrer Heimatstadt nach Berlin. Sie hat unter anderem als Radiomoderatorin, Kolumnistin und Schauspieleren gearbeitet. Ihr erstes Jugendbuch, Prinz William, Maximilian Minsky und ich wurde 2003 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet und kam 2007 in die Kinos. Mit Blätterrauschen ist Ende Februar 2015 ihr neuntes Buch erschienen.


Hallo Holly. Ich freue mich sehr, dass du dir im Trubel der Leipziger Buchmesse Zeit für ein Interview nimmst. Ich möchte mit einer persönlichen Frage beginnen: Du bist in den 70er Jahren von New York nach Berlin gezogen. Was hat dich nach Deutschland verschlagen?

Die Liebe. Ich war in der Ausstellung im Museum of Modern Art und ging abends zu einem Jazz-Konzert. Draußen, im Skulpturen-Garten, lächelte mich plötzlich jemand an. Ich dachte erst, es wäre der Schauspieler Dustin Hoffman - er sah genauso aus! -, doch es stellte sich heraus, dass er es nicht war, sondern Helmut aus Berlin [lacht]


Und da hast du spontan deine Koffer gepackt und bist nach Berlin gezogen?

Mehr oder weniger. Wir waren zwei Wochen zusammen, dann war er wieder einmal in Amerika unterwegs - unter anderem ein paar Tage in New York - und dann habe ich meinen Koffer gepackt. Ich war noch in der Uni damals und habe mich für ein Semester beurlauben lassen. Ich fand Berlin ganz toll und für mich stand fest, dass ich nicht mehr zurückkehre.


Wolltest du denn schon immer Autorin werden?

Ich glaube nicht. Ich habe immer Bücher gelesen und gerne über Bücher gesprochen - wobei das noch nicht wie jetzt war, mit den vielen Blogs. Ich habe immer, immer viel gelesen und auf die erste Seite des Buches meine kleinen Kritiken mit Datum geschrieben.

Ich habe unter anderem als Journalistin gearbeitet. Meine schönste Arbeit war jedoch, wenn ich im Tonstudio fiktive Geschichten erzählt habe. Dabei habe ich entdeckt, dass ich lieber erzählen möchte - und zwar meine Geschichten und nicht immer die Wahrheit, wie es als Journalistin der Fall ist. Und das habe ich dann langsam angefangen. Mein erster Roman - "Becky Bernstein Goes Berlin" - ist aus meinen kleinen Bühnenerzählungen entstanden, denn ich habe auch als Schauspielerin gearbeitet.


Ist es das, was dich am Schreiben fasziniert? Dass du deine eigenen Wahrheiten entdecken kannst?

Immer, wenn ich mit einem Manuskript fertig bin, entdecke ich selbst, was ich mir zu diesem Thema gedacht habe. Zum Beispiel habe ich bei meinem Buch "Prinz William, Maximilian Minsky und ich" entdeckt, wie ich zum Judentum stehe, was das für mich eigentlich bedeutet. Mit "Stella Menzel und der goldene Faden" habe ich über Familie, über unsere Wurzeln nachgedacht. Und bei "Blätterrauschen" geht es vor allem und Freundschaft.


"Blätterrauschen" ist bereits dein neunter Roman. Schreibst du nach wie vor in deiner Muttersprache?

Ja, ich schreibe auf Englisch und dann wird es ins Deutsche übersetzt. Ich schaue mir die Übersetzung an und entscheide bei jedem Satz, ob dieser das ausdrückt, was ich im Englischen geschrieben habe.


Also machst du es deinen Übersetzern schwer?

Ja, leider. Aber ich mache es auch meinem Lektor schwer.


"Blätterrauschen" ist nicht dein erster Zukunftsroman, denn "Everlasting - Der Mann, der aus der Zeit fiel" spielt ebenfalls weit in der Zukunft. Interessanterweise ist nicht nur die Handlung deines neuesten Werks zu einer ähnlichen Zeit angesiedelt, auch einige der Figuren tauchen wieder auf, unter anderem Colin, der in "Everlasting" gerade einmal 5 Jahre alt ist, ist es, der nun - mit 14 Jahren - auf Oliver, Rosa und Iris trifft. Wie bist du auf die Idee gekommen, Colin in einer eigenen Geschichte noch einmal zum Leben zu erwecken? Hängst du so an ihm?

Ich hänge an allen meinen Figuren. In "Blätterrauschen" tauchen einige Charaktere wieder auf, beispielsweise die Figur Rouge, die auch in "Everlasting" unheimlich wichtig ist. Und Raoul, Colins Vater. Der ganze Epilog in "Everlasting" handelt nur von Rouge und Raoul.
Colin habe ich gewählt, weil ich wusste, dass "Blätterrauschen" für junge Leser sein soll und er die Figur aus "Everlasting" ist, die in den Bereich des Jugendbuchs passt. Außerdem ist Colin ein "Forester" und ich wollte die Menschen, die in den Wäldern leben, mit denen der sehr technischen Gesellschaft vergleichen. Das geht nur, wenn man jemanden aus den Forester-Kolonien in den Fokus rückt. Jedenfalls habe ich mich deshalb für Colin entschieden und nicht, weil ich ihn besser fand als andere Figuren aus "Everlasting". Er passte einfach zu dem, was ich wollte. Aber ich hänge an allen meinen Figuren!


Ist es empfehlenswert, "Everlasting" zu lesen, bevor man in "Blätterrauschen" eintaucht, oder steht die Geschichte trotz der Überschneidung für sich?

Beide Bücher stehen 100%ig für sich. Man muss das jeweils andere Buch nicht gelesen haben, aber ich wünsche mir, dass Leute, die "Everlasting" nicht kennen, das dann nachholen möchten. Und Leute, die "Everlasting" bereits kennen und nun "Blätterrauschen" lesen, begegnen bekannten Figuren noch einmal und freuen sich über das Wiedersehen.


Du hast vorhin gesagt, dass es in "Blätterrauschen" um Freundschaft geht. Es geht aber auch um das Aussterben des gedruckten Buches, das in Colins Zeit eine Seltenheit geworden sind. Ist das, im Zeitalter von eBooks, eine deiner Befürchtungen?

Ich habe keine Meinung dazu. Ich liebe Bücher, aber vor allen Dingen liebe ich Geschichten. Mir ist es fast egal, wie ich die Geschichte erlebe - ob als Buch oder eBook oder im Kino ... Ich liebe Geschichten, ich möchte bewegt werden und ich möchte große Gefühle erleben.

Was das Buch betrifft: Ein Buch ist natürlich sehr schön - mein Mann ist Buchhersteller und hat jahrelang für einen Verlag gearbeitet, der bekannt ist für die schönsten Bücher. Ich halte viel von schönen Büchern, aber ich lese auch auf meinem iPad. Ich denke mir, dass es schon darauf hinausläuft, dass das Buch als Produkt sich verändern wird. Ich kann mir vorstellen, dass das Buch überlebt, aber als Kunst.


Ich musste an dieser Stelle der Geschichte ein bisschen Schmunzeln, da ich die Druckfahne von "Blätterrauschen" auf meinem eReader gelesen habe. Das ist einfach praktischer, als wenn ich eine lose Blattsammlung in Händen halte oder alles am PC lesen muss.

In "Everlasting" ist das viel klarer. Finn ist Historiker und arbeitet in einer der drei in Europa verbliebenen Bibliotheken. Dort wird richtig gezeigt, wie die Leute lesen, nämlich mit ihren BBs, ihren Brain Buttons. Es gibt also keinen eReader, sondern es ist alles direkt im Kopf.


Und wie bist du auf die Idee gekommen, dass das Reflexivpronomen der ersten Person Singular - kurz: Ich - in der Zukunft nicht mehr verwendet wird? Das würde diese Interviewerin brennend interessieren.

Das ist ein Aspekt aus "Everlasting". Da wird ganz genau erklärt, woher das kommt: In der schlimmen Zeit des "Dark Winter" haben die Menschen, um das Gemeinwohl zu fördern, das "Ich" weggelassen.
Ich hatte gelesen, dass die amerikanischen Marine-Einheiten im Boot Camp auch nicht von "Ich" sprechen. Das wird auch beim Militär gemacht: Man spricht immer von "dieser angehende Soldat" oder etwas ähnlichem. Das "Ich" fällt weg, um den Zusammenhalt einer Gruppe zu fördern. Das fand ich interessant und habe mir daher überlegt, wie es wäre, wenn aufgrund der Katastrophe, des "Dark Winter", sowas in den Weltsprachen passiert und wie das die Leute zusammenbringt. In "Everlasting" ist das allerdings viel besser erzählt, als ich es jetzt gemacht habe.

Holly Jane Rahlens 2
Das Ende der Geschichte ist durchaus zufriedenstellend, beantwortet aber nicht alle Fragen. Hältst du dir damit die Möglichkeit einer Fortsetzung offen? Oder möchtest du, dass deine Leser sich selbst Gedanken dazu machen, wie es weitergeht?

Im Prinzip beides. Viele meiner Bücher haben eher offene Enden, sodass man überlegen kann, wie es weitergeht. Ich könnte mir allerdings gut vorstellen, dass es einen zweiten, vielleicht auch dritten Teil geben wird. Aber darüber mache ich mir jetzt noch keine Gedanken.
Ich mag jedoch keine Fortsetzungen mit fiesen Cliffhangern, wenn ich weiß, dass das Buch nur des Geldes wegen geteilt worden ist und es genauso gut in einem Buch hätte erscheinen können. Ich möchte, dass meine Bücher immer für sich alleine stehen können. Meinetwegen können sie auch eine Gruppe bilden - sowas wie "Generation Dark Winter", bestehend aus "Everlasting", "Blätterrauschen" und vielleicht noch einem weiteren Buch.


Rosa sagt im Laufe des Buches: "Also echt jetzt. Wenn das hier ein Buch wäre, würde ich es auf der Stelle zuklappen und gegen die Wand werfen. Das ist viel zu kompliziert. Ich fange an, mich zu langweilen." Muss man da als Autorin nicht schmunzeln?

Ich habe auch geschmunzelt. Rosa ist für mich der ungeübte Leser, der eher oberflächliche Bücher liest. Und immer wenn ich gedacht habe, dass meine Leser etwas nicht verstehen und ich das nochmal wiederholen müsste, habe ich stattdessen Rosa entsprechend handeln lassen. Rosa die sagt: "Das ist langweilig. Ich verstehe das nicht." Und dann muss jemand sagen "Okay, ich erkläre es dir." Auf diese Weise wollte ich Verständnisprobleme umgehen.


Ich möchte gerne noch ein wenig auf dein Leben und deine Arbeit als Schriftstellerin eingehen. Olivers Vater sagt "Du willst Künstler werden? Da kannst du gleich Hartz IV beantragen." Oliver zeichnet gerne, du schreibst gerne - aber ich denke, auch als Autorin ist es nicht so einfach, den Lebensunterhalt zu bestreiten?

Das ist sehr, sehr schwierig. Besonders jetzt, denn die Verlage wissen gar nicht, wo es lang geht, wissen nicht, was passieren wird. Daher haben sie auch Probleme, richtig gute Vorschüsse zu zahlen. Sie wollen kein großes Risiko eingehen und stattdessen ein fertiges Manuskript haben. Doch wie sollen wir Autoren ein komplettes Manuskript schreiben? Von irgendetwas müssen wir leben, daher kann ich nicht Zuhause sitzen und schreiben, ohne einen Vorschuss zu bekommen. Es ist also sehr, sehr hart zurzeit, das muss ich echt sagen. Dass, was Olivers Vater sagt, habe ich daher auch so gemeint.


Eigene Erfahrung, sozusagen.

Ja, absolut!


Fließen viele deiner eigenen Erfahrungen in deine Geschichten ein?

Alles! Wie soll es auch anders sein? Alles habe ich schon erlebt. Ich kann genauso gemein sein wie Olivers Vater, so nett sein wie Oliver, so zickig wie Rosa.


Das heißt, in allen Figuren steckt ein bisschen von dir?

Außer Iris' hohe Intelligenz [lacht] Auf Englisch habe ich geschrieben "With a brain the size of a planet", aber auf Deutsch kann man das nicht sagen, das hört sich doof an. Daher heißt es "Iris hatte [...] ein Gehirn von der Leistungsfähigkeit des Genfer Teilchenbeschleunigers [...]".


Hast du bestimmte Rituale, die du beim Schreiben einhältst, beispielsweise eine feste Schreibzeit oder eine festgelegte Seitenzahl pro Tag?

Nicht wirklich. Am liebsten würde ich vier, fünf Seiten am Tag schreiben. Aber das schaffe ich nur an guten Tagen und hauptsächlich bei Dialogen.


Planst du denn deine Romane erst bis ins kleinste Detail, bevor du mit dem Schreiben beginnst, oder schreibst du einfach drauflos?

Ich plane schon ein bisschen, die meisten Bücher mehr als "Blätterrauschen". Ich weiß eigentlich immer, wo das Buch beginnt, wo die Mitte, das Ende und die wichtigen Höhepunkte sind.

Bei "Blätterrauschen" war es das allererste mal, dass ich keinen Bock darauf hatte, mir vorher alles zu überlegen, und ich habe einfach drauflos geschrieben. Ich wusste von vornherein, dass der Anfang so sein würde, wie er jetzt auch ist - also das Gefühl, dass da jemand hinter einem ist -, aber ich wusste überhaupt nicht, warum. Erst durch das Buch wurde mir irgendwann klar, dass die Figuren diese Situation zweimal erleben, eine Art Zeitverschiebung.


Du wurdest also beim Schreiben selbst überrascht, in welche Richtung das Ganze geht?

Absolut! Bei "Blätterrauschen" war das ganz sicher der Fall. Ich kann mich erinnern, dass ich Freunden gesagt habe, dass ich das Buch schon angefangen habe und überhaupt nicht weiß, was ich schreibe. Das war im Dezember 2013 und 4,5 Monate habe ich das Manuskript abgegeben. Ich habe sehr schnell geschrieben, ohne vorher zu wissen, was ich überhaupt schreibe.


Arbeitest du bereits an einem weiteren Roman?

Ja, aber ich mag nicht darüber sprechen, weil es sich noch um ungelegte Eier handelt. Ich würde auf jeden Fall gerne wieder etwas im Erwachsenenbereich schreiben.


"Everlasting" ist ja durchaus ein Buch für erwachsene Leser, doch ich könnte mir vorstellen, dass man dich schnell in die Schublade "Jugendbücher" steckt. Würdest du das Genre gerne wechseln oder ist das aufgrund des Schubladendenkens eher schwierig?

Ich würde sehr gerne auch für Erwachsene schreiben und hoffe, nicht in irgendeine Schublade gesteckt zu werden. Wobei das mit "Everlasting" ein bisschen gemacht wurde, denn das wurde schon mehr als Jugendbuch vermarktet. Aber meine ersten beiden Bücher sind für Erwachsene: "Becky Bernstein Goes Berlin" und "Mazel Tov in Las Vegas". Aber es ist schwierig, sich aus einem Genre raus- und in ein anderes hineinzubewegen.


Du hast vorhin hier auf dem Messegelände aus "Blätterrauschen" vorgelesen. Was schätzt du an dieser Art der Buchpräsentation?

Ich bin eine Autorin, die keine Angst vor ihren Fans hat. Ich bin eine Autorin zum Anfassen. Ich blogge gerne, ich lese Blogs, ich begleite gerne Leserunden und Lesungen gehören eben auch dazu. Auch auf der Messe, aber heute war es anstrengend. Hier ist so viel los! Ich probe meine Lesungen, da ich Perfektionistin bin, aber hier konnte ich nicht perfekt sein. Es ist zu laut, zu viel Kommen und Gehen - das ist nicht schön. Ich finde es aber ganz toll, den Kontakt zu meinen Lesern zu haben. Zum Beispiel saß da heute eine im Publikum, die ich sofort erkannt habe, da ich ihr Bild von ihrem Blog kenne - sowas finde ich nett.


Welches Buch liegt derzeit auf deinem Nachttisch?

Ich lese gerade von Anne Tyler das neue Buch "A Spool of Blue Thread". Sie ist eine richtig gute amerikanische Schriftstellerin. Sie schreibt eher ruhig, aber voll lebendiger Figuren. Aber lass uns mal schauen, was ich neulich gelesen habe [zückt ihr iPad]


Holly Jane Rahlens 3Liest du ausschließlich auf Englisch?

Hauptsächlich, ja. Ich lese schon auch deutsche Bücher, aber nicht so oft. Auf Deutsch habe ich zum Beispiel "Tschick" (Wolfgang Herndorf) und "Elefanten sieht man nicht" (Susan Kreller) gelesen. Aber sonst, wie man sieht, alles Englische Bücher. Was ich überhaupt nicht mochte war Dave Eggers "The Circle", das habe ich mittendrin abgebrochen. Das können wir auch ruhig laut sagen [lacht] Ich verstehe nicht, warum es von so vielen gelobt wird. Ich finde das Buch saumäßig einfältig geschrieben. Ich habe ein anderes Buch von ihm gelesen, "A Heartbreaking Work of Staggering Genius", was ich sehr mochte. Aber dieses hätte ich gern gegen die Wand gepfeffert, wäre es nicht auf meinem iPad gewesen.” Ian McEwan habe ich neulich gelesen, das fand ich nicht schlecht. Auf Deutsch heißt das Buch "Kindeswohl" und ist gerade neu rausgekommen. Sehr geliebt habe ich David Nicholls "One Day". Im Fantasy-Bereich lese ich Neil Gaiman, der ist richtig cool.


Wenn man sich dein iPad anschaut, bist du nach wie vor eine Leseratte.

Ich bin eine Leseratte, ich lese aber ein bisschen durcheinander - quer durch die Genres.


Ich danke dir ganz herzlich für das Interview und wünsche dir weiterhin viel Spaß und Erfolg auf der Leipziger Buchmesse!

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