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Die Menschen zu retten war für ihn unmöglich. Zeugnis abzulegen unabdingbar.

Warum? Mit diesem Wort beginnen seit Wilhelm Brasses Ankunft in Auschwitz alle Fragen. Warum dieses unfassbare Leid? Warum greift niemand ein? Als Häftling Nr. 3444 zum Erkennungsdienst abkommandiert, soll er die anderen KZ-Insassen fotografieren. Mit Mütze, ohne Mütze, im Profil. Menschen, denen die Todesangst ins Gesicht geschrieben steht. Menschen, die kurze Zeit später in den Gaskammern verschwinden. Als Brasse 1945 alle Fotos verbrennen soll, widersetzt er sich, um Zeugnis abzulegen von den unfassbaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Reiner Engelmann hat Wilhelm Brasse noch kennengelernt und schreibt sein Leben auf. Ein erschütterndes Dokument – gegen das Vergessen.

 

Der Fotograf von Auschwitz 

Autor: Reiner Engelmann
Verlag: cbj
Erschienen: Januar 2015
ISBN: 978-3-570-15919-4
Seitenzahl: 192 Seiten
Altersempfehlung: ab 13 Jahre

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Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Dieses Buch, das auf Interviews von Reiner Engelmann mit Wilhelm Brasse und intensiven Recherchen im Stammlager Auschwitz basiert, erzählt das Leben Brasses in der dritten Person. Trotz eines Erzählerstils, der Brasse „nur“ über die Schulter zu schauen scheint, gelingt es Engelmann, die Lebensgeschichte sehr persönlich und intensiv zu schildern und eine besondere Nähe zwischen dem jungen Fotografen und dem Leser zu erzeugen. Dabei werden oft mehrere Sinne angesprochen und die Passagen so anschaulich formuliert, dass beim Leser schon ab den ersten Zeilen Bilder vor dem inneren Auge entstehen – Bilder des Grauens, der unerklärlichen Brutalität und der Unmenschlichkeit. Man befindet sich stets nah an Wilhelm Brasses Seite und begleitet ihn durch die unvorstellbare Hölle des Konzentrationslagers Auschwitz. Zugleich hat der Autor die junge Zielgruppe, an die er sich wendet, jederzeit im Auge, passt den Sprachstil und die Erzählung an und beherrscht eine gute Balance zwischen altersgerechten Beschreibungen und nicht beschönigenden Details der Folterungen und Morde der SS. Bewusst verwendet Reiner Engelmann Lagerbegriffe wie Kapos, Winkel oder Arbeitskommandos, die mit Sternchen versehen sind und deren Bedeutung sich im Glossar des Buches findet.

In kurzen Rückblenden führt Reiner Engelmann in das Leben Wilhelm Brasses vor dem Krieg, vor der Inhaftierung und der Zeit im KZ, streift aber auch kurz die Lebensgeschichte von Brasses Großeltern, Eltern und Geschwistern. So lernt man Wilhelm Brasse näher kennen und reduziert diese Biografie nicht nur auf sein Überleben des Dritten Reichs.

Wilhelm Brasse wurde kurz nach der Einrichtung des Konzentrationslagers nach Auschwitz deportiert und verblieb dort bis zur Evakuierung auf der Flucht vor der Roten Armee. Daher erzählt diese Biografie nicht nur vom (Über)Leben des jungen Fotografen, sondern auch über die Geschichte des Stammlagers. Mit Brasse erlebt man erste Experimente nach der Einführung des Vernichtungsgases Zyklon B ab 1941, bis zur Perfektionierung der Massenvernichtung, aber auch die gefürchteten, medizinischen Versuche der verschiedenen Lagerärzte mit. Über Brasses Alltag in Auschwitz lernt man verschiedene Kommandos und Einheiten, die Organisation, Ziele und Motivation der Täter – beispielsweise der Lagerärzte – kennen. Aber auch die Zustände der Gefangenen, die allgegenwärtige Todesgefahr, der pausenlose Durst und Hunger, die schwere Zwangsarbeit und die verschiedenen Arten, auf denen die Häftlinge ermordet wurden, begleiten Brasses Erinnerungen durch das Buch. Reiner Engelmann erzählt von den oft zufälligen Wechseln der Arbeitskommandos von Wilhelm Brasse, die ihm das Leben retteten, und wie dieser schließlich dem Erkennungsdienst zugewiesen wurde und seine Arbeit als Fotograf aufnehmen musste.
In seinen Erinnerungen an das Leben in Auschwitz beschreibt Brasse nicht nur den Alltag, sondern auch einzelne Aspekte und Einzelschicksale, sowohl der Insassen und Opfer, als auch der an dem System beteiligten Männer und Frauen, den Tätern, Mördern und (vermeintlichen) Ärzten. Er erzählt von SS-Größen wie beispielsweise Dr. Josef Mengele, Wilhelm Bogner, Gerhard Palitzsch, Maximilian Grabner, Dr. Eduard Wirth oder Dr. Carl Clauberg – Tätern, die er kennenlernen, für die er Fotoarbeiten anfertigen oder die er porträtieren musste.

In einem Nachwort erfährt der Leser, wie es Wilhelm Brasse nach dem Ende seiner Internierung – nach der Befreiung durch die amerikanische Armee aus dem KZ Mauthausen, in das er 1945 deportiert wurde – ergangen ist.


Aufmachung des Buches
„Arbeit macht frei“ - eine der, wenn nicht sogar die denkbar grauenvollste Lüge des 20. Jahrhunderts, ist zugleich das traurige Symbol der industriellen Massenvernichtung im KZ Auschwitz. Das Tor, über dem dieser Schriftzug prangt, ist ein bekanntes Motiv, das hier auch auf dem matten Cover des gebundenen Buches Verwendung findet. Treffender hätte die Biografie von Wilhelm Brasse, dessen Porträt sich als Schwarzweiß-Fotografie ebenfalls ins Cover einfügt, nicht gestaltet werden können.

Ab dem 8. Kapitel begleiten vereinzelt Fotografien von Opfern und Tätern sowie Skizzen den Bericht. Abgerundet wird das Buch mit Kurzbiografien von SS-Männern, denen Wilhelm Brasse in Auschwitz begegnete, sowie einem Glossar mit Erläuterungen zu bestimmten Begriffen.


Fazit
Das (Über)Leben Wilhelm Brasses in Auschwitz-Birkenau ist ein betroffen machendes, erschütterndes Zeitdokument, eine sehr persönliche Biografie und eine Beschreibung der schrecklichen Geschichte des Konzentrationslagers Auschwitz. Nicht nur für junge Leser ein wichtiges Buch gegen das Vergessen des Holocausts.


5 Sterne


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