Smaller Default Larger

„Es soll früher einmal gar nicht so wichtig gewesen sein, woran jemand glaubte oder welche Farbe seine Haut, seine Haare und seine Augen hatten. Es zählte nur, was er für ein Mensch war.“

Warschau um 1942: Rafal lebt mit seinem Großvater im Ghetto. Er kann sich an ein Leben ohne Hunger, Angst und Not kaum noch erinnern. Nur wenn er liest, vergisst er die schreckliche Wahrheit um sich herum. Schließlich gelingt es seinem Großvater, ihn aus dem Ghetto zu schmuggeln. Im Warschauer Zoo findet Rafal Unterschlupf und freundet sich mit zwei anderen Kindern an, die auch untergetaucht sind. Zusammen planen sie die Flucht - aber die Nazis sind ihnen bereits auf der Spur …

 

Fluegel aus Papier 

Originaltitel: Arka Czasu
Autor: Marcin Szczygielski
Übersetzer: Thomas Weiler
Verlag: Fischer Sauerländer
Erschienen: 19. Februar 2015
ISBN: 978-3-737352123
Seitenzahl: 288 Seiten

Hier geht's zur Leseprobe


Die Grundidee der Handlung
Die Inhaltsbeschreibung des Verlags fasst bereits sehr gut die Ausgangssituation des Buchs zusammen. Der polnische Autor Marcin Szczygielski hat sich in seinem Roman, der im Warschau des Jahres 1942 spielt, eines schwierigen historischen Themas angenommen und hat das dunkle Kapitel Holocaust auch für eine jüngere Leserschaft äußerst anschaulich und eindringlich aufbereitet. In seiner bewegenden und sehr einfühlsam erzählten Geschichte um den liebenswerten, jüdischen Jungen Rafal macht Szczygielski zudem sehr deutlich, das vor allem Liebe, Freundschaft, Ehrlichkeit und die Macht der Hoffnung in schicksalhaften Zeiten am wichtigsten sind.


Stil und Sprache
Die ergreifende Geschichte wird ausnahmslos in der ersten Person der Gegenwartsform aus der kindlich-naiven Perspektive der sympathischen Hauptfigur Rafal erzählt. Dadurch nimmt der Leser sehr rasch gefühlsmäßig Anteil an Rafals Schicksal und wird in die sich rasch überstürzenden Ereignisse hineingezogen. Mit seiner offenen und liebenswerten Art zu erzählen, lässt er uns an seinem für ihn so selbstverständlichen Alltag teilhaben. Die geschilderten, beklemmenden Zustände und die freudlose, angsterfüllte Atmosphäre im Bezirk berühren schon nach wenigen Seiten und machen betroffen. Erst allmählich beginnt man die Hintergründe zu erahnen: Rafal ist Jude und lebt mit seinem Großvater im von den Nazis abgeriegelten Warschauer Ghetto. Sehr eindringlich und anschaulich vermittelt der Autor den Lesern ein authentisches Bild der trostlosen Lebensumstände der jüdischen Bewohner im Bezirk, die von Tag zu Tag schwieriger werden. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr steigt die anfangs unterschwellige Spannung an und spätestens mit Rafals abenteuerlicher Flucht aus dem Bezirk, kann man das Buch kaum noch aus der Hand legen. Eine überraschende Entwicklung hält der Autor außerdem mit der geschickt eingeflochtenen, fantastischen „Zeitreise“-Komponente für die Leser bereit, die Bezug auf Rafals Lieblingsbuch von H.G. Wells nimmt, und Rafals Geschichte eine ganz besondere Note verleiht.

Der Ausgang des bewegenden Romans ist zwar überraschend, aber dennoch glaubwürdig und zufriedenstellend gestaltet. Mit dem Epilog und dem interessanten Nachwort des Autors erhält der Roman einen nachdenklich stimmenden und zugleich sehr versöhnlichen Ausklang.

Der flüssige, schnörkellose Schreibstil von Marcin Szczygielski ist an eine jüngere Zielgruppe angepasst, aber dennoch nicht anspruchslos und kann mit schönen Formulierungen überzeugen. Sehr gelungen sind die atmosphärisch dichten, sehr bildhaften Beschreibungen der Schauplätze und Stimmungen, die den Leser mühelos in eine andere Welt und zugleich in die historische Vergangenheit abtauchen lassen. Dem Autor ist es zudem hervorragend gelungen, viele sorgsam recherchierte, historische Details glaubwürdig in die fesselnde Handlung einzubinden.


Figuren
Mit dem kleinen, liebenswerten Rafal hat der Autor eine sehr sympathische Hauptfigur geschaffen, die der Leser schon bald in sein Herz schließt. Rührend ist seine oft kindlich-naive Sicht auf die Geschehnisse, die sich um ihn herum ereignen. Da sein Großvater sehr bemüht ist, die grausame Wirklichkeit vor ihm geheim zu halten, kann er die Tragweite vieler Ereignisse noch nicht recht begreifen. So flieht der 7-jährige, sehr aufgeweckte Junge vor dem bedrückenden Alltag des Bezirks, wie er das Warschauer Ghetto nennt, in die Welt der Bücher und freut sich auf seine Besuche in der Bibliothek. Besonders angetan ist er von H. G. Wells Zeitreiseroman die „Zeitmaschine“, in dem er Parallelen zwischen der im Roman beschriebenen Welt und seinem realen Umfeld entdeckt. Sehr nachvollziehbar und realistisch hat der Autor beschrieben, wie Rafal sich nach seiner Flucht aus dem Ghetto im neuen Refugium einlebt, sich klaglos in sein Schicksal fügt und verbissen um sein Überleben kämpft. Wie er sich charakterlich weiterentwickelt, die Zusammenhänge immer besser begreift und über sich hinaus wächst, ist sehr glaubwürdig dargestellt. Dabei bleibt Rafal aber stets auch ein Kind, das sich in seine Bücherwelt hineinträumt, wahre Abenteuer erlebt und manchmal auch unvernünftig und unvorsichtig handelt.

Auch weitere Figuren, wie Rafals Freunde im Zoo Emek und Lidka, sind lebendig und überzeugend ausgearbeitet, so dass sich junge Leser hervorragend mit ihnen identifizieren und mitfiebern können. Sehr gelungen sind ebenso die verschiedenen erwachsenen Charaktere, die in dieser Geschichte ausreichend vielschichtig und realistisch ins Leben gerufen wurden, so dass man ihr Handeln gut nachvollziehen kann.


Aufmachung des Buches
„Flügel aus Papier“ ist als Hardcover ohne Schutzumschlag erschienen. Das in Ocker-, Braun- und Anthrazittönen gehaltene Cover, das an eine Illustration des Autors angelehnt wurde, vermittelt eine bedrückende Stimmung und zieht unwillkürlich die Aufmerksamkeit mit dem sehr eindringlich dreinblickenden Jungen auf sich. Weitere abgebildete Motive passen hervorragend zum Inhalt des Buches und machen neugierig auf die Geschichte.

Der Roman ist in zwei Teile untergliedert – betitelt mit „Die Zeitmaschine“ und „Die Arche“ – und besteht aus insgesamt 16 Kapiteln sowie einem abschließenden Epilog. Im Anschluss erläutert der Autor in seinem „Nachwort oder Was die erste Leserin dieses Buches von mir wissen wollte“ wichtige, während des Lesens aufkommende Fragen zu dem geschichtlichen Hintergrund und den erfundenen Anteilen in der Geschichte um Rafal. Schließlich sind in den Erläuterungen noch zwei im Buch verwendete Abkürzungen erklärt.


Fazit
Ein eindringlich geschriebener, bewegender historischer Roman über den Holocaust und das Warschauer Ghetto und zugleich eine nachdenklich stimmende Geschichte über Freundschaft, Menschlichkeit und die Kraft der Hoffnung. Ein sehr empfehlenswerter Roman für junge Leser ab 10 Jahren, der aber auch erwachsene Leser mit seiner Sogwirkung in seinen Bann zieht und den man nicht so schnell vergisst.


4 5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de oder deinem Buchhändler vor Ort

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo