Auf Schir Khans Rücken durch das Dschungelbuch jagen, mit Goethes Werther die Hexen aus Macbeth bekämpfen und mit Elizabeth Bennet für den gut aussehenden Mr Darcy schwärmen ... Nie hätte Amy gedacht, dass sie den Figuren aus ihren Lieblingsbüchern so nah sein könnte! Doch sie ist eine Buchspringerin, und damit ist es ihr möglich, wirklich und wahrhaftig in jede Geschichte einzutauchen, die sie schon immer einmal selbst erleben wollte. Amy testet ihre neuen Fähigkeiten ausgiebig - bis in der Buchwelt plötzlich gar nichts mehr so ist, wie es sein sollte.
Autorin: Mechthild Gläser |
Die Grundidee der Handlung
Amy und ihre Mutter müssen Zuhause raus - Amy, weil ihre Mitschüler sie fertig machen, und ihre Mutter, weil ihr Lebensgefährte sie verlassen hat. Und so landen sie auf Stormsay, der Insel, auf der Amys Mutter aufgewachsen ist und die ein unglaubliches Geheimnis hütet. Dort erfährt Amy, dass sie - wie ihre Mutter einst und die dort lebenden Jugendlichen Will und Betsy - eine Buchspringerin ist! Ihre Aufgabe ist es, in die Geschichten zu springen und dort nach dem Rechten zu sehen. Doch dann geschehen unglaubliche Dinge, die die gesamte Literatur gefährden ...
Was sich durchaus etwas kurios anhört, entpuppt sich als spannende und einfühlsame Geschichte, die Mechthild Gläser mit viel Empathie und kriminalistischem Instinkt zu Papier gebracht hat. "Das Dschungelbuch", "Alice im Wunderland", "Die Leiden des jungen Werther", "Sherlock Holmes" - unzählige Klassiker lernt man hier von einer ganz anderen Seite kennen und verliert sich mit Amy zwischen den Seiten.
Stil und Sprache
"Stormsay. Das Wort schmeckte nach Geheimnissen. Es klang verheißungsvoll und zugleich ein wenig unheimlich." (Seite 17) - Was für eine treffende Beschreibung für diese Geschichte, die abwechselnd in erster Person aus Amys und in dritter Person aus Wills Sicht erzählt wird. Mit ihrem atmosphärischen Schreibstil und den eingängigen, starken Bildern ist es ein Leichtes, in Mechthild Gläsers Geschichte einzutauchen. Vielleicht nicht so "wirklich und wahrhaftig" wie ein Buchspringer, aber so intensiv, wie es einem Leser nur möglich ist. Bei Beschreibungen wie auf Seite 20 kann man gar nicht anders, als den Schauplatz vor sich zu sehen: "Unzählige Erker wuchsen aus dem alten Gemäuer, kleine Türmchen und Schornsteine aller Art ragten in den Himmel und kratzten an den Gewitterwolken."
Aus der abenteuerlichen Geschichte des Buchspringens wird schon bald ein richtiger Krimi, deren Auflösung brennend interessiert. Gespannt blättert man Seite um Seite weiter, der temporeichen, manchmal in der Ermittlung stagnierenden, aber dennoch kurzweilig geschriebenen Geschichte folgend. Trotz der vielen ernsten Geschehnisse kommt auch der Humor nicht zu kurz - gelungen! Die Ereignisse verdichten sich immer mehr, doch mit dem, was auf den letzten Seiten ans Licht kommt, hätte man wahrlich nicht gerechnet. Der Autorin gelingt es vortrefflich, den Leser zu überraschen. Das Ende mag ein wenig rosa-rot daherkommen, doch was ist ein (Märchen)Buch ohne Happy End?
Figuren
Amy Lennox ist ein wenig tollpatschig, hat vor allem jedoch mit ihrer knabenhaften Figur zu kämpfen, die an ihrer Schule auf gemeinste Weise Anlass zum Spott bot. Dass sie eine außergewöhnliche Schülerin ist trägt noch dazu bei, dass sie nicht gerade zu den beliebten Mädchen an der Schule gehört. Erst auf Stormsay lernt sie echte Freunde kennen; darunter Will. Wirkt er zunächst abweisend und verschlossen, kommen er und Amy sich schon bald näher: "Seine Lippen schmeckten nach Worten. Nach Hunderten, Tausenden, Millionen von Worten und den Geschichten, die sich dahinter verbargen." (Seite 262). Doch nicht nur diese beiden Figuren sind mit viel Feingefühl ausgearbeitet, auch alle anderen erfüllen ihre Rollen perfekt und machen die Geschichte lesenswert.
Aufmachung des Buches
Das gebundene Buch ist mit einem wunderschönen Schutzumschlag versehen, der überaus treffend zur Geschichte gestaltet wurde. Zahlreiche Details lassen sich erkennen, die im Verlauf der 384 Seiten an Bedeutung gewinnen, aber auch für sich allein jeden buchaffinen Menschen ansprechen. Nicht nur die Covergestaltung ist verlagstypisch gelungen, auch die Verarbeitungsqualität überzeugt einmal mehr. Schade nur, dass bei diesem Buch über Bücher auf ein Lesebändchen verzichtet wurde.
Fazit
Mechthild Gläser verwebt Realität, Märchen und Krimi zu einer spannenden und emotionalen Geschichte.
Hinweise
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