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DIE IRISCHE ANTWORT AUF IM WESTEN NICHT NEUES
Mit Willie Dunne, dem Soldaten mit der schönen Stimme und dem unschuldigen Herzen, hat Sebastian Barry eine unvergessliche Figur geschaffen. In einer bildreichen Sprache, die dem Grauen ihre poetische Kraft entgegenstellt, erzählt er die berührende Geschichte eines jungen Mannes, der sich im Niemandsland des Ersten Weltkrieges verloren geht.

 

 Ein langer langer Weg

Originaltitel: A Long Long Way
Autor: Sebastian Barry
Übersetzer: Hans-Christian Oeser
Verlag: Steidl
Erschienen: 11. Februar 2014
ISBN: 978-3-869306636
Seitenzahl: 368 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldet sich der erst 19-jährige Willie Dunne, Sohn eines unionstreuen Polizisten in Dublin, freiwillig für den Dienst in der britischen Armee und zieht an der Seite vieler irischer Freiwilliger in den Krieg nach Flandern. Da Willie zur übergroßen Enttäuschung seines Vaters das für den ehrenvollen Polizeidienst notwendige Gardemaß von 1,80 Meter um immerhin 12 cm verfehlt hat, hofft er nun, als Soldat in Uniform die ersehnte Anerkennung des Vaters zu erlangen. Er ist sich sicher, zum Wohle von "König, Königreich und Vaterland" für eine gerechte Sache zu kämpfen, denn schließlich hat Großbritannien den Iren für ihren loyalen Einsatz die Selbstverwaltung Irlands in Aussicht gestellt.
Doch während er tagtäglich in den Schützengräben die unvorstellbaren Schrecken dieses grauenvollen Kriegs miterlebt, eskaliert die innenpolitische Situation zuhause in Irland, als britische Soldaten auf seine irischen Landsleute schießen und den Osteraufstand in Dublin blutig niederschlagen. Erst allmählich erkennt Willie das folgenschwere Ausmaß dieser Entwicklungen ...

In seinem großartigen historischen Roman greift der irische Schriftsteller Sebastian Barry ein dunkles Kapitel in der bewegten irischen Geschichte während des Ersten Weltkriegs auf und ruft hiermit eine wenig bekannte und gern verdrängte Thematik in Erinnerung.


Stil und Sprache
Barry erzählt das tragische Schicksal des jungen Iren Willie Dunne ausschließlich aus dessen Sicht in der 3. Person der Vergangenheitsform, so dass der Leser gemeinsam mit dem Protagonisten sehr unmittelbar die Schrecken des Kriegs, das unendliche Leid und den täglichen Kampf ums Überleben miterlebt. Aufschlussreiche Einblicke erhält man auch aus der Feldpostkorrespondenz mit seiner Familie.
Der Autor schont seine Leserschaft nicht, denn er schildert die vielfältigen Grausamkeiten dieses Kriegs sehr eindringlich, authentisch und gnadenlos detailliert. Mit seiner ausdrucksvollen, wortgewaltigen Erzählweise gelingt es Barry hervorragend, den Leser in den brutalen Kriegsalltag hineinzuziehen, Anteil nehmen zu lassen und aufzurütteln. Um Willies Gedanken und distanzierte Empfindungen angesichts des Grauens in passende Worte zu kleiden, bedient sich Barry einer beeindruckend poetischen, bildreichen Sprache, die einen auffälligen Gegensatz zur beschriebenen, schockierenden Realität darstellt. So setzen sich beim Leser viele bewegende Szenen im Kopf fest und bleiben ihm nachhaltig in Erinnerung.

Die Besonderheit, dass Willie und seine Kameraden Iren in der britischen Armee sind, bringt einen zusätzlichen, brisanten Aspekt in die Geschichte. Während sie ihr Leben im Kampf für England und die Krone riskieren, eskaliert die politisch aufgeheizte Lage in Irland, die in der blutigen Niederschlagung des Osteraufstands 1916 in Dublin ihren Höhepunkt findet. Tief verwurzelt ist bei vielen irischen Patrioten die grenzenlose Verachtung für die britischen Besatzer und somit auch für all die loyalen, königstreuen Iren, die sich freiwillig in den Krieg begeben haben. Plötzlich werden die tapferen irischen Soldaten an der Front von Engländern und den Iren daheim als Verräter betrachtet und von beiden Seiten gleichermaßen verachtet. Die schrittweise Verzweiflung, Desillusionierung und einsetzende Entfremdung Willies wird vom der Autor äußerst einfühlsam beschrieben und glaubhaft aufgezeigt - sein tragisches Schicksal geht einem sehr zu Herzen und lässt einen schließlich nicht mehr los.


Figuren
Rundum überzeugend wirken Barrys Figuren, die er so realistisch und emphatisch gezeichnet hat, dass es dem Leser nicht schwer fällt, sich die grauenvolle Realität des Alltags in den Schützengräben während des Ersten Weltkriegs plastisch vorzustellen.
Mit dem Protagonisten Willie veranschaulicht der Autor auf sehr wirksamere Weise die Unmenschlichkeit und den Wahnsinn an der Front – mit ihm durchleiden wir Granatenbombardements, Giftgasangriffe, den Hunger und widrige Witterungsverhältnisse wie Kälte und endlosen Regen. Barry gestattet dem Leser einen nachdrücklichen Einblick in Willies Seelenleben und seine Gedankenwelt, seine Ängste, seine Trauer um die gefallenen Kameraden aber auch seine Wünsche und Hoffnungen.

Einfühlsam erzählt Barry, wie sich der feinfühlige Willie voll jugendlicher Naivität in den Krieg begibt, die Brutalität der Schlachten mit ungeahnter Schonungslosigkeit über ihn hereinbricht und die Ereignisse ihn zunehmend verstören und abstumpfen lassen. Sein Weltbild gerät nachhaltig aus den Fugen, und so stellt er immer mehr seine heroischen Vorstellungen und Ideale in Frage.
Der Autor versteht es auf hervorragende Weise, dem Leser den innerlichen Wandel von Willie und seinen irischen Kameraden nachvollziehbar miterleben zu lassen.
Aufgerieben in einem undurchsichtigen Getriebe machtpolitischer Interessen in Irland geraten die irischen Freiwilligen zwischen die Fronten und werden gnadenlos fallen gelassen. Ohne jeglichen moralischen Beistand beginnen sie bald zu verzweifeln und schließlich zu resignieren.

 

Aufmachung des Buches
Das in dunkelgrünes Leinen gebundene Buch mit einem Schutzumschlag aus Hochglanzpapier hat eine sehr edle, ansprechende Aufmachung. Auf dem Cover sieht man ein perfekt zum Inhalt gewähltes Umschlagmotiv, das stilistisch auch zu einem Sachbuch über den Ersten Weltkrieg passen würde. Auf dem Ausschnitt der in der oberen Hälfte abgebildeten Schwarz-Weiß-Fotografie sind die dunklen Silhouetten von Soldaten zu erkennen. Im unteren Bereich des Covers hebt sich der in „irischem“ grün gehaltene Titel vom schwarzen Hintergrund ab. 

Der Roman besteht aus drei Teilen und ist insgesamt in 23 Kapitel untergliedert. Im Anhang findet sich ein Quellenverzeichnis über die vom Autor verwendete Literatur sowie Anmerkungen des Übersetzers, in denen Oeser lobenswerter Weise viele, für das Verständnis des Romans hilfreiche Hintergrundinformationen zur irischen Geschichte und über wichtige historische Persönlichkeiten und Ereignisse aufgeführt hat.


Fazit
Dem irischen Autor Sebastian Barry ist mit Willie Dunnes erschütterndem Schicksal eine außergewöhnlich überzeugende und eindrucksvolle Geschichte gelungen, die dem Leser noch lange in Erinnerung bleiben wird. Wortgewaltig, schonungslos und literarisch anspruchsvoll geschrieben - dieser bewegende historische Roman über einen wenig bekannten Aspekt in der Geschichte Irlands während des Ersten Weltkriegs ist uneingeschränkt empfehlenswert!


5 Sterne


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