Was geschah im Jahre 1914 wirklich in Hannesford Court, dem Landsitz der Familie Stansbury?
Der berühmte Rosenball endete damals mit einem tragischen Todesfall. Doch die genauen Umstände wurden nie geklärt. Denn kurz darauf brach der Erste Weltkrieg aus ...
Für Tom Allen war Hannesford Court immer ein Zufluchtsort, fast eine Heimat. Jetzt, fünf Jahre später, setzt er alles daran, dem Rätsel des Rosenballs auf den Grund zu gehen.
Originaltitel: The year after |
Die Grundidee der Handlung
Geprägt von den schrecklichen Erlebnissen des Kriegs kehrt der junge Hauptmann Tom Allen 1919 nach London zurück. Als er für die Weihnachtstage eine Einladung von Lady Stansbury auf den Landsitz der Familie nach Hannesford Court erhält, nimmt er diese trotz einiger Vorbehalte schließlich an. Dort hatte Tom in den Vorkriegszeiten die Gastfreundschaft der Familie genossen, viele unbeschwerte Tage verlebt und sich unsterblich in die schöne, von allen umworbene Tochter des Hauses, Margot, verliebt. Doch 5 Jahre sind mittlerweile seit seinem letzten, ereignisreichen Aufenthalt auf Hannesford Court vergangen und Tom muss bald erkennen, dass sich hinter der ehemals so glanzvollen Fassade finstere Geheimnisse verbergen.
Was zunächst nach einem seichten englischen Landhausroman mit tragischen, amourösen Verwicklungen klingt, entwickelt sich schon bald zu einem gelungenen und beeindruckend subtilen Portrait der englischen Gesellschaft kurz vor und nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg.
Der vielschichtige, historische Roman des englischen Autors Martin Davies überzeugt mit einer spannenden, stimmigen Geschichte über Intrigen, verhängnisvolle Geheimnisse und Lebenslügen, und gewährt dem Leser zugleich einen entlarvenden Blick auf die vermeintlich so idyllische Welt der reichen Oberschicht vor dem Großen Krieg.
Stil und Sprache
Der Roman ist aus den unterschiedlichen Ich-Perspektiven der zwei Hauptfiguren Tom Allen und der ehemaligen Gesellschafterin der Stansburys, Anne Gregory, in der Vergangenheitsform geschrieben. Zudem spielt sich die Handlung auf zwei Zeitebenen ab. Während die Haupthandlung zwischen Weihnachten und Neujahr 1919 angesiedelt ist, gewähren die eingeschobenen Rückblicke der beiden Hauptfiguren sehr aufschlussreiche Einblicke auf die Ereignisse auf Hannesford Court vor Ausbruch des Kriegs.
Martin Davies versteht es, den Leser allein durch den kurzen, geheimnisvollen Prolog zu fesseln, der zunächst keinen Bezug zur Haupthandlung zu haben scheint. Gemeinsam mit dem jungen Tom, einem der wenigen unversehrt aus dem Krieg heimgekehrten Freunde der Familie, lernt man nach und nach die Familie Stansbury, die geladenen Gäste und ihre zunächst wohl gehüteten Geheimnisse kennen. Mit Toms allmählich wiederkehrenden Erinnerungen an die Vergangenheit und den Enthüllungen zu den mysteriösen Geschehnissen gelingt es dem Autor hervorragend, die spannungsgeladene, unheilvolle Atmosphäre immer weiter zu steigern. Durch Toms Nachforschungen werden schließlich erschreckende, menschliche Abgründe hinter dem so verbissen aufrechterhaltenen schönen Schein der Adelsfamilie aufgedeckt.
Sehr eindrucksvoll und lebendig lässt Davies in den Rückblicken eine längst vergangene Vorkriegsepoche der vornehmen, reichen englischen Oberschicht auferstehen – einer unbeschwerten Zeit voller Ausschweifungen, Müßiggang und Dekadenz, die jäh und unwiederbringlich durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendet wurde. Als gelungenen Kontrast zeichnet er ein überaus authentisches, einfühlsames Portrait der Nachkriegsgesellschaft, die auf unterschiedlichste Weise versucht, mit den vielfältigen Auswirkungen des Kriegs umzugehen. Hierbei beleuchtet der Autor sehr nachdrücklich verschiedenste Aspekte, die das Leben nach diesem schrecklichen, verlustreichen Krieg für die Frauen, Familien und vor allem auch die Kriegsheimkehrer beeinflussen, und die damit verbundenen drastischen gesellschaftlichen Veränderungen.
Figuren
Neben den beiden Hauptfiguren sind auch viele der faszinierenden Nebenfiguren tiefgründig und lebensecht gezeichnet. Geschickt enthüllt der Autor erst allmählich ihre Stärken und Schwächen und macht ihr Verhalten und ihre Beweggründe für den Leser nachvollziehbar. Einige Charaktere sind teilweise schwer durchschaubar, scheinen gewisse Details aus ihrer Vergangenheit zu verbergen oder versuchen ihre Fassade mühsam aufrechtzuerhalten.
Sehr gelungen sind die Portraits der sympathischen Protagonisten Tom und Anna, die als Ich-Erzähler ihre Sicht der damaligen Geschehnisse schildern, dem Leser einen unmittelbaren Einblick in ihre Gedanken und Gefühlswelt gewähren und dennoch eine gewisse typisch englische Reserviertheit beibehalten. Während man Tom und Anna in den Rückblenden auf die Vorkriegszeit als bodenständige, zurückhaltende Außenseiter und Beobachter des Geschehens auf Hannesford Court kennen lernt, erlebt man die beiden verwöhnten, lebenslustigen und charismatischen Stansbury-Sprösslinge Margot und Harry, stets im Mittelpunkt der übermütigen, ausufernden Aktivitäten im Freundeskreis.
Im Nachhinein erweist sich Toms scharfe Beobachtungsgabe in Bezug auf die vergangenen Ereignisse als erstaunlich verzerrt. Allmählich reift in ihm die ernüchternde Erkenntnis heran, dass er in seiner Verliebtheit und Zerstreutheit damals vielen fatalen Fehleinschätzungen aufgesessen war, und die vermeintlich heile Welt auf Hannesford Court nicht erst durch die Auswirkungen des Großen Kriegs zerstört wurde.
Aufmachung des Buches
Das als Klappenbroschur erschienene Taschenbuch hat ein dezent gestaltetes Cover, das dennoch ins Auge fällt und auf die Zeitepoche der Geschichte einstimmt. Zu sehen ist eine dem Leser abgewandte, junge Frau mit hochgestecktem Haar, Glockenhut und wertvoller, doppelreihiger Perlenkette, die ein hübsch verziertes Kleid mit tiefem Rückenausschnitt trägt. Sehr stimmungsvoll ist das anmutige Portrait im Stil alter sepiafarbener Fotografien gehalten. Die einzigen Farbakzente bilden das Kleid und die plastisch hervorgehobene Schrift des Titels und Autorennamens.
Der Roman gliedert sich in einen sehr kurzen Prolog und 12 Kapiteln. Die beiden Erzählperspektiven sind optisch durch leicht unterschiedliche Schrifttypen und unterschiedliche Initialen kenntlich gemacht.
Fazit
Ein sehr empfehlenswerter, vielschichtiger historischer Roman, der durch eine geheimnisvolle, atmosphärisch dichte Geschichte und ein beeindruckendes Portrait der englischen Gesellschaft in den Vor- und Nachkriegszeiten des Großen Kriegs Anfang des 20. Jahrhunderts besticht.
Zudem sorgen Intrigen, verhängnisvolle Geheimnisse, allerlei Lebenslügen und ein entlarvender Blick hinter die idyllische Fassade eines englischen Landsitzes der Reichen und Schönen jener Zeit für fesselnde Unterhaltung.
Hinweise
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