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Kategorie: 1800 – 1900 Romantik, Biedermeier, Gründerzeit usw

ZWEI WELTEN, DOCH DERSELBE HIMMEL
Nantucket Island, 1845: Die 24-jährige Quäkerin Hannah arbeitet tagsüber in einer Leihbücherei, nachts aber widmet sie sich ihrer wahren Leidenschaft: der Astronomie. Sie setzt ihren ganzen Ehrgeiz darauf, durch ihr Teleskop einen neuen Kometen zu entdecken. Bis zu jenem Tag, an dem der Matrose Isaac an ihre Tür klopft. Der ehrgeizige Seemann von den Azoren möchte alles über Navigation und Sternenkunde lernen. Hannah nimmt den Fremden als Schüler an - und bald entdecken die beiden mehr Gemeinsamkeiten, als die strenge Quäkergemeinde ihnen jemals zugestehen würde.
Hannah steht vor der Wahl, ihre Insel und ihre Familie aufzugeben und mit Isaac fortzugehen oder auf ihre Liebe zu verzichten. Da zieht eines Nachts der ersehnte Komet über den Himmel …

 

Die Frau die Sterne fing 

Originaltitel: The Movement of Stars
Autor: Amy Brill
Übersetzer: Margarete Längsfeld
Verlag: Kindler
Erschienen: 7. März 2014
ISBN: 978-3463406329
Seitenzahl: 480 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Der Buchrückentext gibt bereits weitgehend die Ausgangshandlung des historischen Romans wieder, in deren Mittelpunkt die fiktive Frauenfigur Hannah Gardner Price steht.

Die amerikanische Autorin Amy Brill hat sich von der faszinierenden Lebensgeschichte der weltberühmten Astronomin Maria Mitchell für ihren Roman inspirieren lassen. Als erste Frau ist es ihr im Jahr 1847 vom Dach ihres Elternhauses in Nantucket gelungen, einen Kometen zu entdecken, wofür sie vom dänischen König mit einer Goldmedaille geehrt wurde. Lebenslang hat sich die später als erste Frau Amerikas zur Professorin für Astronomie berufene Mitchell für Frauenbildung und das Frauenwahlrecht eingesetzt. Obwohl Brill beinahe 15 Jahre lang viele Fakten zu ihrem Leben und Wirken intensiv erforscht und vor Ort recherchiert hat, hat sie sich letztlich leider dazu entschlossen, keinen biographischen Roman über Maria Mitchell zu schreiben.
Der Lebensweg ihrer frei erfundenen Protagonistin Hannah hat nur einige historisch verbürgte Details mit Maria Mitchell gemeinsam. Die Handlung und Hannahs Persönlichkeit, in die lediglich Mitchells allgemeine Geisteshaltung eingeflossen ist, sind der Phantasie der Autorin entsprungen.

Amy Brill zeichnet in ihrem historischen Roman ein zwar facettenreiches, aber leider eher nüchternes Portrait einer außergewöhnlichen Wissenschaftlerin und gibt dem Leser einen aufschlussreichen Einblick in das vom Quäkertum geprägte Leben Mitte des 19. Jahrhunderts auf Nantucket.


Stil und Sprache
Man erlebt die Handlung aus Sicht der anfangs 24-jährigen Protagonistin Hannah Gardner Price in der 3. Person der Vergangenheitsform. Eingeschoben in die Geschichte sind Hannahs gelegentliche Briefwechsel und einige astronomische Tagebucheinträge, die entsprechend kursiv abgesetzt sind. Die Geschichte ist hauptsächlich auf der kleinen Insel Nantucket angesiedelt, südlich von Boston im Atlantik gelegen, und spielt überwiegend in den Jahren 1845/1846.
Die Autorin lässt sich anfangs sehr viel Zeit mit der Entwicklung ihrer Geschichte. Sehr ausführlich widmet sie sich der Beschreibung der Schauplätze und Figuren sowie der Gemeinschaft der Quäker, wodurch man eine sehr genaue Einführung in Hannahs Umfeld auf Nantucket erhält und sich gut in die damaligen Begebenheiten hineinversetzen kann. Durch den langsamen Spannungsaufbau und den eher distanzierten, nüchternen Erzählstil der Autorin fehlt der Geschichte eine gewisse Dynamik, um den Leser mitreißen zu können. Erst mit der sich allmählich entwickelnden Romanze zwischen Hannah und ihrem farbigen Navigationsschüler Isaac, treten die sich abzeichnenden Konflikte in den Vordergrund und sorgen mit ihrer dramatischen Zuspitzung für Abwechslung und Spannung.

Sehr kenntnisreich und atmosphärisch dicht ist das historische Nantucket im 19. Jahrhundert nachgezeichnet, das vor dem inneren Auge mit seinen Dünen, Leuchttürmen, Walfängerbooten und der schlicht gekleideten Quäkergemeinschaft lebendig wird. Auch die Episoden, in denen es um Navigation und astronomisches Hintergrundwissen geht, sind von der Autorin sehr verständlich aufbereitet und geschickt in die Handlung eingebaut. Brills Sprachstil wirkt teilweise sehr gewählt und antiquiert, erscheint aber der damaligen Zeit angemessen.


Figuren
Amy Brill hat mit ihrer Protagonistin Hannah eine außergewöhnliche, vielschichtige Frauenfigur geschaffen, die in einigen Aspekten der historischen Persönlichkeit Maria Mitchells ähnlich ist.

Da Hannah meist sehr distanziert und kühl wirkt, ist es schwierig eine Bindung zur Hauptfigur aufzubauen. Sie ist als Quäkerin darauf bedacht, niemanden hinter ihre Fassade blicken zu lassen und keine Emotionen preiszugeben. Es dauert recht lange bis man sich als Leser in ihre Gefühlswelt hineinversetzen kann und ihr Verhalten besser versteht, und so kristallisiert sich erst langsam ihr unbeugsamer Charakter heraus. Sehr anschaulich hat die Autorin ausgearbeitet, wie in Hannah immer wieder Pflicht- und Traditionsbewusstsein gegen ihr Unabhängigkeitsbestreben und ihren Wunsch nach Selbstbestimmung ankämpfen. Ihre verbotene Liebe zu Isaac und die daraus resultierenden, tief greifenden Veränderungen in ihrem Leben werden sehr authentisch und glaubhaft dargestellt. Ihre feste Überzeugung ist es, dass alle Menschen dieselben Rechte auf Würde und Freiheit zugestanden und insbesondere Frauen keine Beschränkungen in Freiheit und Bildung auferlegt werden sollten. So erscheint Hannahs persönliche Weiterentwicklung und ihr späterer Weg hin zu ihrer wahren Berufung als Astronomin und Wissenschaftlerin sehr konsequent und gut nachvollziehbar. 

Vielschichtig ist auch die Figur des wissbegierigen, farbigen Seemanns Isaac gezeichnet, der Hannahs Leben auf dramatische Weise verändert. Mit ihm hat Brill die damaligen Vorstellungen zu Sklaverei und Rassismus in die Geschichte einfließen lassen.
Die weiteren Figuren aus ihrer Familie und ihrem Umfeld sind recht glaubhaft und facettenreich dargestellt. Leider werden bisweilen einige interessante Aspekte in ihrem Verhältnis zueinander ausgespart und ihre Beweggründe nicht thematisiert.


Aufmachung des Buches
Das gebundene Buch ist mit einem in dunkelblau gehaltenen, ansprechenden Schutzumschlag versehen. Auf dem Titelblatt ist die Gestalt einer jungen Frau mit schlichtem schwarzen Kleid und einer Petroleumlampe in der Hand zu sehen, die in einer etwas verschwommenen Dünenlandschaft den Sternenhimmel betrachtet. Die einem Gemälde nachempfundene Darstellung passt ausgezeichnet zum Inhalt des Buchs.
Auf den inneren Umschlagseiten findet sich vorne und hinten eine historische Übersichtskarte der Insel Nantucket aus dem Jahre 1838. Untergliedert ist der Roman in 5 unterschiedliche Zeitebenen, insgesamt besteht das Buch aus 32 Kapiteln und einem Epilog. Dem ausführlichen Nachwort der Autorin schließt sich noch eine Danksagung an. Ein Lesebändchen rundet die gelungene Aufmachung ab.


Fazit
Ein einfühlsam erzählter historischer Roman über eine außergewöhnliche Frau und Wissenschaftlerin Mitte des 19. Jahrhunderts, deren Figur von der weltberühmten amerikanischen Astronomin Maria Mitchell inspiriert ist. Das von der Autorin gezeichnete fiktive Frauenportrait lässt allerdings ein wenig Lebendigkeit und Leidenschaft vermissen, um den Leser richtig berühren zu können. Mit seinen fundierten Hintergrundinformationen zur Astronomie und Navigation und dem hervorragend geschilderten historischen Umfeld ist dieses Buch dennoch lesenswert und regt zur weitergehenden Recherche über die wahre Geschichte Maria Mitchells an.


3 5 Sterne


Hinweise
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