DREI FRAUENSCHICKSALE –
verbunden durch ein schreckliches Ereignis in den Schützengräben an der Somme.
Originaltitel: Wake
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Die Grundidee der Handlung
LONDON - 5 Tage im November 1920: Die englische Regierung lässt in Frankreich die Überreste eines unbekannten Soldaten exhumieren, um ihn mit allen militärischen Ehren in der Westminster Abbey zu bestatten. Feierlich wird der Leichnam von den Schlachtfeldern an der Somme nach London gebracht. Während der fünftägigen Überführung versuchen drei Frauen, mit ihrem Verlust und ihrer eigenen Trauer fertig zu werden. Da Ada niemals die näheren Todesumstände ihres 18-jährigen, verschollenen Sohns erfahren hat, glaubt sie verbissen, er sei noch am Leben, und gefährdet damit ihre Ehe. Die fast 30-jährige, wohlhabende Lady Evelyn kann den Tod ihres Verlobten nicht verkraften, hat all ihre Lebensfreude verloren und bearbeitet in einer Behörde die Pensionsansprüche von Kriegsversehrten. Die 19-jährige Hettie arbeitet als Tanzpartnerin im glamourösen Tanzpalast „Palais“, wo man ihre Dienste für einen Sixpence pro Tanz mieten kann. Sie träumt davon, einen Mann kennen zu lernen, um endlich ihrem trostlosen Leben zu Hause mit ihrem im Krieg traumatisierten Bruder und ihrer verwitweten Mutter entfliehen zu können. Doch ein schreckliches Geheimnis, das zu einem verhängnisvollen Tag im Krieg zurückreicht, scheint die drei Frauenschicksale auf ungeahnte Weise zu verbinden.
Sehr einfühlsam veranschaulicht die Engländerin Anna Hope in ihrem Debütroman anhand von drei Frauenschicksalen, wie weitreichend und verheerend die traumatischen Auswirkungen des Großen Kriegs für die Menschen waren und wie bedeutsam zugleich die zeremonielle Bestattung des unbekannten Soldaten als heilsamer, symbolischer Akt für die ganze Nation war.
Stil und Sprache
Die vielschichtig angelegte Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von 5 Tagen. Die Autorin versteht es, schon mit dem Einstieg Spannung durch die mysteriöse Rahmenhandlung zu erzeugen, bei dem die sterblichen Überreste eines Soldaten 2 Jahre nach Beendigung des 1. Weltkriegs unter sehr seltsamen Umständen auf einem Schlachtfeld in Nordfrankreich exhumiert werden.
Parallel zu diesen, in einer anderen Schriftart abgesetzten Ereignissen rund um den unbekannten Soldaten entwickelt sich die in London angesiedelte Haupthandlung, in deren Mittelpunkt der drei Frauen Hettie, Evelyn und Ada stehen. Geschrieben ist der Roman in der 3. Person der Gegenwartsform und wechselt zwischen verschiedenen Perspektiven, in die teilweise auch Rückblicke der unterschiedlichen Protagonisten eingeschoben sind. Je weiter sich die Geschichte weiterentwickelt, desto tiefer taucht der Leser in den bedrückenden Alltag und die unter die Haut gehenden Einzelschicksale der Protagonisten ein.
Anfangs ist unklar, auf welche rätselhafte Weise ihr Leben miteinander verwoben ist, und so möchte der Leser unbedingt das fesselnde Geheimnis ergründen. Im weiteren Verlauf führt die Autorin behutsam die verschiedenen Handlungsstränge zusammen und lässt die Lebenswege der drei Frauen für kurze Momente kreuzen. Sehr passend gewählt ist der offene Schluss als stimmiger Ausklang des Romans.
Hopes eindringlicher Erzählstil liest sich sehr flüssig und angenehm. Die teilweise bedrückende, schwermütige Atmosphäre jener Tage hat sie geschickt eingefangen, ohne in eine allzu deprimierende Grundstimmung abzugleiten. Hope schildert das traumatisierte Nachkriegsengland mit all seinen Facetten und Einzelschicksalen schonungslos und authentisch – beginnend bei den Klassenunterschieden, dem gesellschaftlichen Wandel, über die unsichtbaren Wunden, die auch nach Kriegsende nicht verheilt sind, die ganze Bandbreite von Trauer, Desillusionierung, Lähmung, Verzweiflung und Wut bis hin zum Wunsch nach Normalität und einer glücklichen Zukunft. Fesselnder Höhepunkt der sich zuspitzenden Ereignisse ist die gelungene Beschreibung des symbolträchtigen 11.11.1920, an dem die ganze Nation in kollektive Trauer versinkt, der Toten gedenkt, um endlich abzuschließen und einem hoffnungsvollen Neubeginn entgegen zu blicken.
Figuren
Sehr realistisch und einfühlsam hat die Autorin die verschiedenen Figuren gezeichnet. Die belastenden Alltagssituationen und Emotionen der einzelnen Charaktere werden äußerst eindringlich vermittelt und ihr bisweilen sonderbares Verhalten ist nachvollziehbar dargestellt. In kurzen Momentaufnahmen lässt Hope den Leser an deren Leben teilhaben – einem Leben, das auch nach Beendigung des Großen Kriegs von Schmerz, Trauer und Verzweiflung überschattet ist und kaum Normalität zulässt. Es sind vielschichtige, vom Krieg und den Lebensumständen gezeichnete Charaktere, die sehr berühren und denen man bessere Zeiten wünscht.
Sehr subtil und überzeugend portraitiert die Autorin ihre drei weiblichen Protagonisten Hettie, Evelyn und Ada, die unterschiedliche Generationen – Schwester, Geliebte bzw. Mutter – und Gesellschaftsschichten repräsentieren, und mit ihrem persönlichen Verlust zu kämpfen haben. Auf ihre ganz eigene Art versucht jede von ihnen ihr individuelles Schicksal zu bewältigen.
Es gibt nur wenige männliche Nebenfiguren – die Kriegsheimkehrer, deren tragische Schicksale als vom Krieg geprägte, psychisch oder körperlich versehrte Soldaten aber umso nachhaltiger auf den Leser wirken. Die gefühlvollen, intimen Einblicke geben der Geschichte eine ungeheure Tiefe und Intensität.
Aufmachung des Buches
Das gebundene, mit Lesebändchen versehene Buch ist mit einem farblich sehr ansprechend gestalteten Schutzumschlag versehen. Das Cover zeigt das Halbportrait einer sich mit ihrem Gesicht abwendenden Frau, das durch sein interessantes Licht- und Schattenspiel ein echter Blickfang ist und neugierig auf den Inhalt des Romans macht. Der Roman ist unterteilt in fünf Abschnitte, entsprechend der fünf aufeinander folgenden Tage im November 1920 und endet mit einer kurzen Danksagung der Autorin.
Fazit
Mit ihrem emotionsgeladenen Debütroman ist der englischen Autorin Anna Hope eine mitreißende und zugleich nachdenklich stimmende Geschichte gelungen, die aus Perspektive der daheim gebliebenen Frauen nach Kriegsende erzählt wird und die vielfältigen Auswirkungen des 1. Weltkriegs beleuchtet.
Für alle an dieser Zeitepoche interessierte Leser ist es ein sehr empfehlenswerter historischer Roman, der gut recherchiert und bewegend geschrieben ist.
Hinweise
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