Würdest du dein Leben aufgeben, um das eines anderen zu übernehmen?
Leila hat Tess nie zuvor getroffen.
Doch sie weiß mehr über sie als irgendjemand sonst.
Tess hat Leila nie zuvor getroffen.
Doch wenn sie unbemerkt aus der Welt scheiden will, muss sie Leila ihr Leben anvertrauen.
Zu Beginn ist es leicht für Leila, sich online als Tess auszugeben. Niemand durchschaut ihr Spiel. Doch wie lange lässt sich eine solche Lüge aufrechterhalten?
Originaltitel: Kiss me first |
Die Grundidee der Handlung
Leila traut ihren Ohren kaum, als ein Bekannter sie um eine ganz besondere Hilfe bittet: sie soll das virtuelle Leben einer fremden Person weiter führen, nachdem diese sich umgebracht hat. Tess. Von dem Moment ihres Verschwindens an ist Leila Tess. Sie schreibt ihre Emails, postet ihre Facebook Nachrichten und lässt Freunde und Familie glauben, dass Tess noch immer irgendwo in der weiten Welt lebt. Doch was wie eine nette Hilfe für eine verzweifelte Person wirkt, berührt Leila bald weit persönlicher, als es geplant war. Je mehr sie in ihrer Rolle aufgeht, umso riskanter wird das Spiel …
Lottie Moggach zeigt in ihrem Roman sehr deutlich, welche Gefahren in der Anonymität des Internets stecken. Die Möglichkeit, sich als eine fremde Person auszugeben und alle damit zu täuschen, ist dabei ebenso erschreckend wie die Einsamkeit, die durch zu viel virtuellen und zu wenig realen Kontakt entstehen kann. Die Geschichte, die Lottie Moggach um dieses Thema aufbaut, ist von der Idee her sehr vielschichtig, philosophisch und interessant, leider kann die Umsetzung jedoch nicht überzeugen.
Stil und Sprache
„Ich bin Tess“ ist durchgängig aus Leilas Perspektive und in der ersten Person geschrieben. Sie erzählt uns die Vorkommnisse rund um Tess, beginnt dabei jedoch nicht am Anfang sondern – mit Ausnahme eines kurzen Prologs – ein Jahr nach dem Verschwinden von ihr, gewissermaßen im Hier und Jetzt. Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen Schilderung der jetzigen Ereignisse – überschrieben mit dem jeweils aktuellen Datum - und endet auch mit diesen. Dazwischen rollt Leila nach und nach die Geschehnisse vor einem Jahr aus. Die zeitlichen Wechsel sind gut eingebaut und übersichtlich gestaltet, so dass der Leser nicht verwirrt wird. Verwirrend ist der Beginn jedoch trotzdem, weil er viele Andeutungen und wenig Tatsachen liefert. Dies ist zweifellos von der Autorin so beabsichtigt, erschwert dem Leser jedoch zusätzlich zu der schweren Identifikation mit Leila den Einstieg in die Handlung. Es dauert sehr lange bis man sich erstmals für das Schicksal der Hauptfiguren wirklich interessiert und dann ist es auch eher Tess‘ Geschichte, die den Leser hält, als Leilas. Darunter leidet die Spannung erheblich. Zusätzlich ist die Datensammlung von Leila, auch durch die wenigen Informationen, die man über die Hintergründe erhält, nicht sonderlich spannend. Wirklich fesseln kann das Buch erst zum Ende. Der Abschluss lässt schließlich viele Fragen offen, was aber durchaus zur Handlung passt und sowohl realistisch als auch – von den getroffenen Vermutungen her – zufriedenstellend ist.
Der Schreibstil von Lottie Moggach liest sich angenehm. Es ist passend, dass Leila nicht in der typischen Jugendsprache kommuniziert, tatsächlich stolpert sie immer wieder über an sich gängige Ausdrücke. In großen Teilen ist die Sprache klar statt zu bildhaft gehalten, was ebenfalls sehr gut zur Handlung passt. Nur ab und zu, zum Beispiel in den späteren Emails Leilas, stößt man auf geradezu philosophische Sätze, die sehr schön formuliert wurden und beinahe schon Poesiealbum-Charakter haben.
Figuren
Leila ist als Charakter für den Leser lange nur sehr schwer greifbar. Zwar erlebt man die Handlung aus ihrer Perspektive, allerdings erscheint diese teilweise beinahe schon ein Zerrbild der Realität zu sein. Für eine junge Frau ist sie erschreckend naiv und weltfremd. Schockierend sind dabei keineswegs ihre philosophischen Ansichten, die zu ihrem Abkommen mit Tess führen, sondern vielmehr ihr Unverständnis für ganz normale Gepflogenheiten des alltäglichen Lebens. Dadurch fällt die Identifizierung mit ihr am Anfang bis weit über die Mitte des Buches hinaus sehr schwer, was natürlich auch die Sympathie für Leila beeinträchtigt. Je besser der Leser sie kennenlernt, umso besser versteht er dann aber ihr Schicksal und erkennt, warum sie zu der Person wurde, die sie nun ist. Zum Ende wünscht man ihr einen glücklichen Ausgang aus dem geschaffenen Dilemma.
Neben Leila ist zweifellos Tess die zentrale Figur des Romans. Die Szenen, in denen sie tatsächlich vorkommt, sind zwar rar, aber die Informationen, die Leila über sie sammelt, geben dem Leser ein sehr vielschichtiges Bild. Wirklich sympathisch kommt Tess auch nicht rüber, aber sie ist faszinierend und die Frage, was aus ihr geworden ist, treibt den Leser weitaus stärker an, als Leilas Schicksal.
Die anderen Charaktere des Buches sind kurze Wegbegleiter von Leila und Tess, viele lernt der Leser auch nur über erwähnte Facebook Nachrichten oder Emails kennen. Da die Handlung sich primär um Leila und Tess dreht, sticht passenderweise kein anderer Charakter deutlich hervor, sie sind aber alle ihren Rollen entsprechend ausgearbeitet und wirken glaubwürdig.
Aufmachung des Buches
„Ich bin Tess“ erschien als Hardcover mit Schutzumschlag. Das Cover ist in düsteren Tönen gehalten und verweist damit bereits auf den tiefgründigen Inhalt des Romans. Das dargestellte Bild - verschiedene, gezeichnete Profilbilder, die mit einem X anonymisiert wurden – ist ebenfalls eine Anspielung auf den Inhalt des Buches und rundet somit die sehr passende Gestaltung ab.
Im Inneren des Buches wird immer wird die Schrift an besonderen Stellen, zum Beispiel den Emails oder den Berichten direkt von Tess, durch Kursivstellung hervorgehoben.
Fazit
Lottie Moggach behandelt eine sehr ernste Grundidee und webt darum eine durchaus faszinierende Geschichte. Leider fehlt jedoch lange die Sympathie für die Hauptfigur und die Spannung, so dass das Buch zwar interessante, aber nicht 100%ig begeisternde Lektüre bietet.
Hinweise
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