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Man kann diesen erstmals 1932 erschienenen Roman eine Wiederentdeckung nennen, aber das trifft es nicht wirklich. Vielmehr ist es eine Offenbarung, eine intensive, erschütternde und ungemein authentische Lektüre, die das Schicksal einiger obdachloser Jugendlicher in Berlin der frühen 1930er Jahre schildert. Mit einem tieftraurigen Realismus folgt Ernst Haffner der Clique der Blutsbrüder, lässt den Leser teilhaben an ihrem oft grausamen Überlebenskampf und schildert den unbändigen Freiheitswillen der Jugendlichen, der mitunter in dunklen Orgien gipfelt. Aber Haffner gesteht seinen beiden Helden auch Würde, Hoffnung und einen Ausweg zu, an dessen Ende ein besseres Leben wartet. 

 

Blutsbrueder 

Autor: Ernst Haffner
Verlag: Walde + Graf bei Metrolit
Erschienen: August 2013
ISBN: 978-3-8493-0068-5
Seitenzahl: 260 Seiten 


Die Grundidee der Handlung
Die Geschichte der „Blutsbrüder“ wurde von Ernst Haffner bereits 1932 unter dem Titel „Jugend auf der Landstraße Berlin“ veröffentlicht, später durch die Nazis verboten und bei den Bücherverbrennungen öffentlich zerstört. Nun unverändert neu herausgegeben, über 80 Jahre später, ist es faszinierend, den Schicksalen dieser Jugendlichen im Alter von 16 - 20 Jahren im Berlin der 30er Jahre zu folgen. Der Autor schreibt in der Sprache der damaligen Zeit, unglaublich, wie stark diese sich über die Jahrzehnte hinweg verwandelt hat. Er schildert die brutale Realität dieser Jugendlichen, noch nicht erwachsen, ohne deren Freiheiten und Rechte, immer auf der Flucht vor Polizei und Fürsorge, ohne Chance auf ein geregeltes Leben, angetrieben von Hunger und Kälte, immer auf der Suche nach dem nächsten Schlafplatz, dem nächsten warmen Essen. Ein bedrückender und umso fesselnderer Roman. Ein Zeitzeugnis, aber auch eine Mahnung an heute, die Probleme der Jugend ernst zu nehmen, das Schicksal des Einzelnen zu betrachten und nicht an ihm vorbeizugehen. 
 

Stil und Sprache
Der Autor schreibt nicht mit einem Blick von außen, er scheint mitten drin zu sein. Dieses Berliner Millieu der obdachlosen Jugendlichen, der Cliquen und Jugendbanden, der Kleinkriminalität und Prostitution ist ihm sehr vertraut. Er hat als Journalist und Sozialarbeiter in dieser Zeit das Geschilderte tagtäglich selbst erlebt und gibt es mehr als authentisch in diesem Roman wieder. Die Sprache der Jugendlichen, der Proletarier, der höheren Beamten, Anstaltsleiter und Polizisten, alles unterscheidet sich und auch der Berliner Straßenjargon kommt nicht zu kurz. Es ist faszinierend, wie dieses Milieu so fremd und doch so überzeugend beim Leser ankommt. Es ist eine vergangene Zeit, heute nicht mehr vorstellbar und hat dennoch auch heute noch ihre Präsenz und rüttelt den Leser auf. In seinem ganz eigenen Stil, nichts beschönigend aber auch nichts verheimlichend, führt der Autor dem Leser die jugendlichen Schicksale vor Augen. Man sieht deren Mitschuld, aber auch deren Verzweiflung und Alleingelassen-Sein, deren geringen Chance auf ein normales Leben. Dieser Roman ist unglaublich fesselnd geschrieben, ohne auch nur annähernd pathetisch oder übertrieben emotional zu werden.


Figuren
Die acht Jungen der Jugendlichen-Clique „Blutsbrüder“ werden nicht alle gleich stark beschrieben und im Detail dargestellt. Einige tauchen nur am Rande auf und deren Schicksal erscheint als eines der vielen hunderten Jugendlichen der damaligen Zeit. Sie müssen tagtäglich ums Überleben kämpfen, suchen Halt und Schutz in der Gruppe, ordnen sich unter. Jonny, ihr Anführer, nimmt eine zentrale Rolle ein, ebenfalls Fred. Sie sind den anderen intellektuell wie körperlich überlegen, führen ohne Kompromisse. Jonnys Entscheidungen werden nicht hinterfragt. So werden sie zu organisierten Kleinkriminellen, Taschendieben, aber erleben dafür auch eine Zugehörigkeit, ein Füreinander-Dasein. Ludwig und der später dazukommende Willi erkennen erst spät diese Vorgehensweise. Sie wollen keine Leute bestehlen, die selbst kaum etwas haben und suchen dann ihren eigenen Weg. Diese beiden spielen neben der Clique eine zentrale Rolle, sie werden ausführlich beschrieben und in ihnen zeigt der Autor auch einen Weg aus dem ganzen Sumpf heraus.


Aufmachung des Buches
Das gebundene Buch hat ein sehr gelungenes Cover mit originalen Schwarz-Weiß-Fotos damaliger Jugendlicher. Die insgesamt 20 Kapitel beginnen ebenfalls mit einem Schwarz-Weiß-Foto des damaligen Berlin. Alleine schon diese Bildergalerie verschiedener Orte und Straßen in Berlin ist sehr sehenswert und wird am Ende des Buches auch nochmals erklärend als Bildnachweis aufgeführt.


Fazit
Ein Berliner Cliqenroman der 30er Jahre, der wirklich empfehlenswert ist, einmal hinsichtlich der geschilderten Zeit, aber auch der Geschichte wegen. Ein Roman, der gleichsam fasziniert wie schockiert und vor allem zum Nachdenken anregt, insbesondere das Schicksal der heutigen Jugend betreffend.


5 Sterne


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