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Michael Geithner und Martin Thiele sind in der DDR geboren. Doch sie verbrachten nur ihre früheste Kindheit im Arbeiter- und Bauernstaat. An das geteilte Deutschland erinnern sie sich nicht. Im Gedächtnis blieben ihnen jedoch die Brett- und Kartenspiele ihrer Kindheit, handgemachte Unikate, die nach der Wende plötzlich verschwanden. Erst vor einiger Zeit begriffen Geithner und Thiele: Die nachgemachten Spiele erzählen auf ungewöhnliche Weise vom Alltag der DDR. Unter dem Titel Nachgemacht - Spielekopien aus der DDR sammeln Thiele und Geithner seit Mai 2011 Brettspiele, die erstmals in einer Publikation präsentiert werden: Auf 156 Seiten zeigen sie hunderte Farbfotografien von handgefertigten Spielen wie Monopoly, Heimlich & Co., Sagaland und vielen mehr. Zudem findet der Leser historische Dokumente, Stasi-Akten, Interviews mit Spielebastlern sowie Texte von renommierten Autoren, darunter Stefan Wolle (Wissenschaftlicher Leiter DDR Museum), Bernward Thole (Gründungsmitglied Spiel des Jahres), Cynthia Schönfeld (Direktorin Deutsches SPIELEmuseum Chemnitz), Sebastian Wentel (freier Journalist, zuspieler.de). 



Nachgemacht 


Autor: Martin Thiele, Michael Geithner
Verlag: DDR Museum Verlag
Erschienen:  22. April 2013
ISBN: 978-3939801184
Seitenzahl: 154 Seiten


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Die Autoren stellten eines Tages fest, dass es in ihren Familien nachgemachte West-Spiele wie Monopoly gab und daraus entstand die Idee mal zu schauen, wieviel davon denn die Wendezeit überlebt haben – weniger als erhofft, aber doch mehr als erwartet. Wieso wurde überhaupt kopiert? Banale Antwort: weil es West-Spiele nicht zu kaufen gab und die heimische Industrie wenig bis keine Spiele für Erwachsene anbot, Schach und Skat mal ausgenommen.

Spiele bilden gesellschaftliche Realitäten ab und das in mehrfacher Hinsicht, so könnte man Monopoly durchaus auch als Kapitalismuskritik verstehen - wenn man will. In der DDR sah man das aber nicht so, sondern es handelte sich um ein Spiel des Klassenfeindes, der die sozialistische Gesellschaft unterwandern möchte und so war das Spiel zwar nicht offiziell verboten, aber auch nicht erlaubt. Interessanterweise ist es das am meisten kopierte Spiel. Mal dem Original sehr nah, mal sehr frei interpretiert und in unterschiedlicher Qualität, denn es mangelte an allem, was man braucht um ein Spiel herzustellen – stabile Pappe, Sperrholz usw. Und so bilden die nachgemachten Spiele doch den DDR-Alltag auf eine Art und Weise ab, die man zunächst nicht vermutet hat. In einem der Beiträge gehen die Autoren auch der Frage nach, ob es sich beim Kopieren der Spiele um einen politischen Akt handelte und kommen zu dem Schluss, dass es in erster Linie ein kreativer war. Die Spiele verließen selten den engen Familienkreis und wurden schon gar nicht in Serie hergestellt. Subversiv konnten sie aber auch sein, wie das Beispiel von Martin Böttger und seinem Spiel Bürokratopoly zeigt, das dann auch prompt einen Eintrag in seiner Stasi-Akte nach sich zog.

Auf sehr kurzweilige Weise gelingt es den Autoren durch Gastbeiträge, Interviews und einem eigenen "Blog", die kopierten Spiele und ihre Macher vorzustellen und den Nachgeborenen und den "Westlern" den real existierenden Sozialismus näher zu bringen. Das hatte ich so nicht erwartet. Interessanterweise sind es oft die kleinen eher unbeachteten Dinge, wie hier die Spiele, die ein Einfühlen und Verstehen ermöglichen. Dieses Buch hat mir in der Hinsicht mehr gebracht, als dicke wissenschaftliche Werke.

Großen Spaß gemacht haben mir auch die vielen, vielen Fotos der handgemachten Spiele. Obwohl kein Fan von Monopoly fand ich die kreativen Spielbretter,  Ereigniskarten etc. so toll, dass ich gerne losgespielt hätte. Zum Schluss zwei Textbeispiele: "Du hast unter dem Ladentisch Bananen verkauft! Zahle eine Strafe von 400 Mark." (Seite1) und "Nacktbaden an der Gummiwiese – Ordnungsgeld 10 M." (Seite 45).


Aufmachung des Buches
Die Broschur ist quadratisch mit einer zum Thema "Nachgemacht" passenden Aufmachung, der Einband scheint aus Karton und Klebeband zu bestehen. Die "aufgeklebte" DDR-Fahne beginnt sich bereits abzulösen. Echt clever finde ich die ausgestanzte Spielfigur, die gleichzeitig in ihrer Form an ein Schlüsselloch erinnert, das auch folgerichtig den Blick auf einen Ausschnitt der Seite 1 mit oben erwähntem Text ("Du hast unter ...") freigibt. Ich mag Doppeldeutigkeiten.
Auch das Layout überzeugt, vor allem die Präsentation der Fotos ändert sich immer wieder – mal Collage, mal Einzelbild, mal in den Text eingefügt, dann wieder ganzseitig, in der Totalen, als Ausschnitt oder im Detail. Mit Register und Danksagung schließt das Buch ab.


Fazit
Unterhaltsamer kann man Geschichte nicht erzählen.


5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de 

Mehr zum Thema (mit Fotos der Spiele) unter http://www.nachgemacht.de/

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