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Kategorie: Liebe und Erotik

Mit dem düster-romantischen Historien-Drama Sambre hat Yslaire einen modernen Klassiker des europäischen Comics geschaffen. Über Generationen tauchen im Stammbaum der von Sambres immer wieder Menschen mit roten Augen auf, die der Familie anscheinend Unglück bringen. Alle kämpfen um ihr Glück, aber niemand entkommt seinem Schicksal …

 

Der Krieg der Sambres Werner und Charlotte 2 

Originaltitel: La Guerre des Sambres – Werner & Charlotte 2
Autor: Bernar Yslaire
Übersetzer: Marcel Le Comte
Illustration: Marc-Antoine Boidin
Verlag: Carlsen Comics
Erschienen: Mai 2013
ISBN: 978-3-551-78275-5
Seitenzahl: 46 Seiten
Altersgruppe: ab 15 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)


Die Grundidee der Handlung
Zwischen dem Waisen Werner von Gotha mit den glühend roten Augen und  Charlotte de Sambre funkt es gewaltig, doch das zarte Pflänzchen ihrer Liebe kann nicht recht gedeihen, weil Charlottes Mutter Jeanne-Sophie mit fiesen Tricks und ganzem Körpereinsatz eine Annäherung geschickt zu verhindern weiß.

Der 2. Teil von Werner & Charlotte schlägt wieder in die gleiche Kerbe wie sein Vorgänger: das Familien- und Liebesdrama kommt im Gewand eines Gesellschaftspanoramas daher, wobei die spitzfindigen wie scharfzüngigen Dialoge den Comic auf Romanniveau anheben. Gepaart mit stilistisch meisterhaften Zeichnungen untermauert auch der neue Zyklus wieder die herausragende Stellung der gesamten Sambre-Reihe im franko-belgischen Comicgenre.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
War es noch in Band 1 der Kanoniker de Saintage, ist Jeanne-Sophies Gegenspieler diesmal eine Frau: Goetz von Gothas Schwester Alexandra. Die zwei Damen liefern sich beim geselligen Kartenspiel dermaßen scharfe Augen- und Wortduelle, die, wären sie mit Waffen ausgetragen, absolut tödlich enden würden. Nicht nur zu Alexandra von Gotha, überhaupt im ganzen Comic bauen Jeanne-Sophies nach strenger französicher Hofetikette weiß geschminktes Gesicht und ihre gepuderte Perücke eine unsichtbare Barriere zu den ungeschminkten Wiener „Provinzlern“ auf. Unzählige Male werden Letztere aufgrund ihrer harten Aussprache und ihrer Unbedarftheit Zielscheibe für Jeanne-Sophies Spott. Der österreichische Akzent wird in der deutschen Übersetzung z.B. mit Foltär statt Voltaire oder Matamm für Madame und Matmosell für Mademoiselle  verdeutlicht. Und noch ein Paradebeispiel für die kongeniale deutsche Übersetzung von Marcel Le Comte sei hier angeführt. Seite 6: Ich kann also keine Kinder haben? Helft mir, Jeanne-Sophie, Eure Sprache zu erwerben… Wenn ich diesen Werner in meinem Bett „empfange“, könnte man dann sagen, ich hätte dieses… nun… Kind „gehabt“?

Während sich also Charlottes Mutter bestens amüsiert, spielt sich im nächtlichen Garten der Sambres ein ganz anderes Drama ab. Hier bringt Boidin eine schaurig-schöne, ja schon märchenhafte Atmosphäre in die Bilder. Der Garten ist spätherbstlich kahl, nur noch ein paar vereinzelte vertrocknete Blätter bedecken den Boden, die knorrigen Äste der Bäume wirken gespenstisch, ebenso die vom feinen Nieselregen verschleierte Sicht. Hier nun harrt der arme, aus dem Waisenhaus vertriebene Werner aus, um wenigstens einen Blick auf seine angebetete Charlotte werfen zu können. Zu dumm, dass Charlottes Großvater seine Hunde auf den Jungen hetzt … Später, als der Regen aufhört und der Vollmond ein fahles Licht auf den an den Garten grenzenden kleinen See wirft, treffen sich Werner und Charlotte zu einer geheimen Bootspartie – auch diese Bilder sind nicht von dieser Welt. Nur ein Meister seines Fachs kann aus Rot, Braun, Beige und Weiß eine solche Traumkulisse erschaffen.


Aufmachung des Comics
Der Hardcoverband hat – wie die gesamte Sambre-Reihe – eine  absolut hochwertige Verarbeitung. Die matten Buchdeckel sind partiell mit zwei verschiedenen Lackverzierungen überzogen, was ihnen ein edles Äußeres verleiht. Praktische Übersichtstafeln vorne und hinten geben wie schon in Band 1 Orientierungshilfe für das stetig anwachsende Sambre-Universum.
Im Coverdesign hat sich nur der obere Teil verändert. Die Illustration sieht auf den ersten Blick abschreckend und gruselig aus, Fans erkennen aber sofort, dass es sich bei dem Geköpften nicht um den echten Werner von Gotha handelt, sondern nur um sein zerbrochenes mechanisches Abbild aus Porzellan, das an seinem Schreibpult sitzend unermüdlich Sittichpärchen zu zeichnen vermochte.


Fazit
Ich kann es nicht oft genug betonen: Die Sambre-Comics gehören zum Feinsten, was das anspruchsvolle Leserherz begehrt. Erzählerisch, sprachlich und graphisch allerhöchstes Niveau! Auch die wechselnden Zeichner in den einzelnen Zyklen sind ein absoluter Gewinn, weil sie Yslaires Epos graphisch immer wieder neue Facetten zu entlocken vermögen.


5 Sterne


Hinweise
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Backlist:

Der Krieg der Sambres – Zyklus Werner & Charlotte (1768-1769):
- Band 1

Der Krieg der Sambres – Zyklus Hugo & Iris (1830-1847):
- Band 1
- Band 2
- Band 3

Sambre – Erster Zyklus (1847-1848):
Sammelband 1-4: Der Krieg der Augen

Sambre – Zweiter Zyklus (1856-1862):
Band 5: Verflucht sei die Frucht ihres Leibes
Band 6: Das Meer, vom Fegefeuer aus gesehen