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Das Landstädtchen Stockton ist der durchschnittlichste aller Orte auf dieser Welt: niemand Berühmtes wurde hier geboren, nichts erfunden, keine berühmten Schlachten sind hier geschlagen worden. Genau das, was die Kugels gesucht haben. Einen Neuanfang. Nochmal von vorne beginnen.

Doch schon kurz nach dem Umzug geht einiges schief: Kugels sture Mutter zieht ein und treibt alle in den Wahnsinn. Dann zündet ein Unbekannter in der Nachbarschaft Farmhäuser an, genauso eines wie das, das Kugel gerade gekauft hat. Und dann, eines Nachts, hört Kugel das komische Tappen vom Dachboden. Schlaflos, angsterfüllt steigt er hinauf. Und dieses kleine Überbleibsel der Vergangenheit, das er dort entdeckt, diese fiese sarkastische Spitze der Geschichte, macht alles nur noch viel, viel schlimmer.

Hoffnung: eine Tragödie ist bitterböse und unendlich komisch, ein galoppierendes Gespenst der Geschichte, eine Abhandlung über die conditio humana und eine Komödie zugleich.

 

Hoffnung Eine Tragoedie 

Originaltitel:  Hope: A Tragedy
Autor: Shalom Auslander
Übersetzer: Eike Schönfeld
Verlag: Berlin Verlag
Erschienen: Februar 2013
ISBN: 978-3-8270-1078-0
Seitenzahl: 336 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Man stelle sich vor, man wagt einen Neuanfang, lässt das alte Leben samt seiner Probleme hinter sich und zieht in einen Ort im Nirgendwo, berühmt für sein „Nichts“, und findet eine alte Anne Frank auf seinem Dachboden.
Anne Frank, die den Holocaust überlebt und sich seit über 40 Jahren auf diesem Dachboden vor der grausamen Welt versteckt hält, entwickelt sich zu einer griesgrämigen alten Frau mit drahtigen Haaren, die auf das schlechte Gewissen der Anderen vertraut. „Sie sind Jude und haben ein schlechtes Gewissen, weil sie keine Gräuel erlitten haben“ (S. 60), sagt sie zu Kugel, als er erwägt, sie mit Wagner zu vertreiben.

Zudem treibt seit einigen Wochen ein Brandstifter in Stockton sein Unwesen und auch das pittoreske Farmhaus von Solomon Kugel scheint eben dieser Gefahr ausgesetzt zu sein. Kugel, der in dem Ort Ruhe und Hoffnung suchte, findet die grausame Vergangenheit auf dem Dachboden und eine zerstörerische Zukunft auf dem sicheren Land.

Kugel, dessen Leben einerseits von der Suche nach bedeutungsschweren letzten Worten bestimmt wird, andererseits von einer Mutter, deren Leben bedauerlicherweise zu glücklich verlaufen ist und sich als Nachkriegsgeborene eine Vergangenheit als Holocaust-Überlebende zurechtlegt, treibt die Hoffnung, auf der anderen Seite des Lebens sei alles besser. Nur dass Hoffnung in diesem Fall das Axiom der Ausweglosiglosigkeit ist. Hoffnung kann man nicht entgehen, genauso wenig dem Schicksal. Ob mit oder ohne Hoffnung.


Stil und Sprache
Anne Frank, Symbolfigur des Holocausts, sagt irgendwann zu Kugel: „Ich habe die ganze Holocaust-Scheiße so satt.“ Diese drastische Aussage, die Shalom Auslander seinem Protagonisten in den Mund legt, ist durchaus autobiographisch. Auslanders Jugend ist geprägt von einem isolierten jüdisch-orthodoxen Milieu in New York und der Holocaust ein über seinem Kopf dauerhaft schwebendes Wahngebilde. Er lebt mit der Gewissheit, dass es einen zweiten Holocaust geben und er grausam umkommen werde. Voller Sarkasmus wagt sich Auslander an den Rockstar des Holocausts heran und beschreibt Anne Frank als stinkende, alte, bucklige Greisin mit gelbunterlaufenden Augen.

Nicht nur Anne Frank und Kugel hadern mit dem Holocaust, auch Kugels Mutter, die leider keine Holocaust-Überlebende ist, sich aber genau das ersehnt. Sie stellt dem jungen Kugel eine Nachttischlampe ans Bett und erklärt, dies sei sein Großvater. Als er daraufhin protestiert und sagt „Da steht Made in Taiwan“, antwortet die Mutter schnippisch „Na, sie werden ja wohl nicht Made in Buchenwald draufschreiben“ (S. 79).

In einem humorvoll-bissigen und lakonischen Ton erzählt Kugel von seinen Bedenken Anne Frank der Polizei zu übergeben, seinen Wünschen, seinem Hadern mit der Welt schlechthin.
Die Direktheit der Sprache geht oft über die Schmerzgrenze hinaus. Kugel quittiert Anne Franks selbstgefälliges Verhalten mit zynischen Bemerkungen und man ertappt sich dabei, Kugel zuzustimmen. Auslander treibt den Leser durch die Geschichte, dass einem die Luft wegbleibt.

Der Wingate Prize Gewinner Auslander balanciert gekonnt zwischen Ironie und Respektlosigkeit, zwischen politischer Unkorrektheit und Situationskomik. Sein Ziel ist nicht, den Holocaust ins Lächerliche zu ziehen, sondern die zum Teil exzessive Erinnerungskultur, die ideologische Herangehensweise deutlich zu machen.


Figuren
Kugel erinnert sich, als er als Jugendlicher bei einem Berlin-Besuch mit seiner Mutter ein Konzentrationslager besuchen wollte, sie sich lediglich das nah gelegene Sachsenhausen und nicht die wahren Vernichtungslager anschauen konnten. Die Mutter war verärgert und nörgelte, sie wolle keinen aufgeräumten Park vorfinden. Kugel, der noch nichts von seiner Zöliakie ahnte, und während des Besuches mit Durchfällen kämpfte, bekam den Zorn seiner Mutter zu spüren, er habe ihr schließlich das Konzentrationslager versaut.
Er entwickelt sich zu einem manisch-depressiven Mann und befindet sich im intellektuellen und emotionalen Krieg mit dem Holocaust. Richtig sarkastisch wird er, wenn er darüber nachdenkt, wie und ob er Auschwitz überleben würde oder ob einer seiner neuen Nachbarn ihn und seine Familie verstecken würde.

Kugels Zwiesprache mit seinem Therapeuten und Alter Ego Professor Jove geben Einsicht in das Leben einer jüdischen Familie, die der Holocaust auch nach siebzig Jahren noch in Atem hält.

Das kleine Figurenensemble macht den Roman überschaubar. Kugels Frau Bree tritt hin und wieder als das verantwortungsvolle Gewissen auf und seine Schwester Hannah unterstützt die Mutter in ihrem Glauben als Überlebende. Kugel sieht sich zwischen der Vernunft und dem lasst-mich-doch-alle-in-Frieden hin- und hergerissen.


Fazit

Shalom Auslander hat ein wütendes, komisch-polemisches Buch geschrieben und konfrontiert es mit der Unausweichlichkeit der Geschichte und der Zweideutigkeit der Hoffnung. Es ist bitter, grandios, pointenreich und in einer kongenialen Übersetzung von Eike Schönfeld. „Hoffnung: Eine Tragödie“ offenbart, die Hoffnung ist eine klare Lüge. Unbedingt lesen!


5 Sterne


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