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Brisant: Archäologie im Dienste des Nationalsozialisten. In den frühen 1930er-Jahren begann eine verhängnisvolle Annäherung zwischen der archäologischen Wissenschaft und der NS-Politik. Stärker als zuvor suchten die Archäologen angeblich germanische Fundstellen, germanische Herrscher und eine germanische Hochkultur. Wie prägte Ideologie die Wissenschaft, wie stellte sich Wissenschaft in den Dienst der Politik? Dieser Band entlarvt diese Verflechtungen. Er zeigt, welche Rolle die führenden Wissenschaftler dieser Zeit und Nationalsozialisten wie Hitler, Himmler und Rosenberg spielten. Der Begleitband zur Ausstellung im Focke-Museum thematisiert die antiken Quellen, die ideologische Debatte um »Germanien« bis zu den Nachkriegskarrieren der Beteiligten und die Weitergabe falscher Bilder in der heutigen rechtsextremen Szene. Zahlreiche Abbildungen sowohl Funde als auch zeitgenössische Bilder illustrieren dieses lange Zeit totgeschwiegene Thema.

"Graben für Germanien - Archäologie unterm Hakenkreuz" ist der Tiitel einer Sonderausstellung, in der sich das Focke-Museum, das Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, mit der Bedeutung und Wirkungsweise der Archäologie in der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzt. Sie befasst sich mit einer bislang wenig beachteten Facette des Nationalsozialismus, der engen Verzahnung von Archäologie und Politik im dritten Reich und durchleuchtet ihr großes gemeinsames Thema Germanien. Zentrales Anliegen des Begleitbandes ist es, der Frage nachzugehen, wie der Mythos Germanien entstanden ist, sich über Jahrhunderte entwickelt hat und mit Hilfe der Archäologie im Nationalsozialismus ausgrenzend und übergreifend wurde. Noch heute sind zahlreiche der damals geprägten ideologisch verklärten Vorstellungen präsent. Die rechte Szene nutzt die mangelnde Aufklärung vieler Menschen gezielt aus und lässt den Mythos Germanien heute mit Zeichen, Symbolen und Ritualen auferstehen. Erklärtes Ziel der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie auch Ausstellungsmacherinnen und -macher ist es daher von Anfang an gewesen, über die Ideologisierung im Nationalsozialismus aufzuklären, den Mythos Germanien in unseren Köpfen zu entzaubern und seine Aktualität und Präsenz in der rechten Szene aufzudecken.

 

Graben fuer Germanien 

Autor: Focke Museum
Verlag: Theiss
Erschienen: März 2013
ISBN: 978-3-8062-2673-7
Seitenzahl: 192 Seiten

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Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Das Buch gliedert sich in 5 Kapitel, die aus 22 Fachaufsätzen unterschiedlicher Wissenschaftler aus den Bereichen Archäologie und Geschichte bestehen. Das erste Kapitel vermittelt zunächst die ideologischen Grundlagen der Germanenvorstellung im Nationalsozialimus und ihre geschichtlichen Wurzeln. Hier ist besonders interessant, dass die Erfindung des Begriffs der Germanen auf die Römer zurückgeht und nicht ein bestimmtes Volk meint, sondern eigentlich alle, die Julius Cäser auf der rechten Seite des Rheins nicht unterwerfen konnte. Tacitus benutzte den Begriff später, um der römischen Gesellschaft ihre Dekadenz zu zeigen. Der Mythos von den Germanen wurde später zur Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon, als die verschiedenen Völker begannen, eine eigene Identität zu beschwören, wieder aufgewärmt. Am Ende des 19. Jahrhunderts entstand daraus eine rassistisch motivierte "völkische Bewegung".

Im zweiten Kapitel "Auf der Suche nach Belegen" geht es u.a. um Laienforscher, die oft kuriose und fixe Ideen entwickelten, wie Mutmaßungen über Atlantis oder den Vergleich der sogenannten Hünengräber mit den Domen der Gotik, wobei man eine direkte Verwandtschaft zu sehen glaubte. Spannend und aufschlussreich sind auch die Darstellungen der verschiedenen Ämter und ihre Rivalität um die institutionalisierte Archäologie. Dass das Germanenbild aber im Nationalsozialismus nicht nur einheitlich war, kann man u.a. im dritten Kapitel erfahren, das sich mit der ideologischen Vermittlung der Germanen an das Volk beschäftigt. Vieles wurd selbst von den damaligen Wissenschaftlern als Germanenkitsch bezeichnet. Im Buch gibt es einige ausgesuchte Scheußlichkeiten zu diesem Thema zu sehen, beispielsweise einen betenden Germanen als Wecker. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der nationalsozialistischen Raubgräberei im eroberten Europa, das ist besonders spannend, da man sonst kaum weiß, dass "SS-Ahnenerbe" und "Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte" z.B. auch in Osteuropa und Skandinavien "archäologisch" tätig wurden. Im hier abgeschlossenen geschichtlichen Teil sollte dem Leser klar geworden sein, dass eine Archäologie ohne Parteizugehörigkeit oder Mitgliedschaft bei SS oder SD damals nicht möglich war und alle vermeintlichen Erkenntnisse unter dieser Prämisse zu sehen sind. Im letzten Kapitel geht es um das Weiterleben von "Wissenschaft" und Mythos bis hinein in unsere Zeit. Dass die Vorstellungen vom "alten Germanien" weiterhin lebendig sind, sieht man man nicht nur in der rechten Szene, sondern auch in Werbung und populären Sachbüchern.

Das Buch richtet sich zum einen an ein wissenschaftlich interessiertes Fachpublikum, aber die Texte sind so gehalten, dass auch andere Leser, wie zum Beispiel die Besucher der Ausstellung, etwas davon haben. Eine besondere Gruppe, die sich für das Buch interessieren sollte sind sicher auch Lehrer, da sie besonders zur Vermittlung von Geschichtsbildern beitragen.


Aufmachung des Buches
Das Buch zeigt auf dem Cover die historische Aufnahme einer Grabung, bei der u.a. nationalsozialistisch unifomierte Wissenschaftler, aber auch  die Medien in Form eines Filmteams anwesend sind. Die Schriftgestaltung des Titels erinnert an geschichtliche Fernsehsendungen in den öffentlich-rechtlichen Programmen. Das Buch beinhaltet auch ein reiches Bildmaterial, das natürlich auch zum Großteil in der entsprechenden Ausstellung im Bremer Focke-Museum zu sehen ist.


Fazit
"Graben für Germanien" ist ein Buch, das von der ersten bis zur letzen Seite fasziniert, da es den Leser mit seinen eigenen Vorstellungen von einem wie auch immer gearteten "alten Germanien" konfrontiert und zu einer "Entzauberung" des Begriffs beiträgt. Wenn sich Wissenschaft einer Ideologie dienstbar macht, befindet sie sich auf einem Abweg. So der klare Tenor der Aufsätze.



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