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Kategorie: Krimis

In einer Nacht im Mai 1948 verliert der begnadete Geiger Ilja Grenko seine beiden wertvollsten Schätze: seine Familie und seine Stradivari. Erst dem eigensinnigen Sascha Grenko, Iljas Enkel, wird es viele Jahrzehnte später gelingen, Licht in das grausame Geschehen von damals zu bringen. Doch der Preis dafür ist hoch – viel zu hoch …

 

Der Geiger 

Autor: Mechtild Borrmann
Verlag: Droemer
Erschienen: August 2012
ISBN: 978-3426199251
Seitenzahl: 298 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Ilja Grenko ist einer der besten Geiger Russlands und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Der gefeierte Star, der eben noch auf der Bühne Applaus erntete, sieht sich jedoch plötzlich mit der harten Realität der Stalinzeit konfrontiert: verhaftet, gefoltert, eingesperrt. Iljas Leben gleicht von einem auf den anderen Moment ohne eine Erklärung einem Albtraum. Er hat alles verloren. Ein Verlust, der noch Generationen später das Leben der Grenkos bestimmen wird. Sasha, der Enkel von Ilja, beginnt nachzuforschen und mit jedem neuen Schritt enthüllt er mehr und mehr aus einer Zeit, über die noch immer der Mantel des Schweigens gedeckt wird.

Mechtild Borrmann vereint in ihrem neuesten Roman erneut verschieden Zeitebenen miteinander und verwebt sie zu einer spannenden Geschichte, die sich über mehr als fünfzig Jahre erstreckt. Mit erzählerischem Feingefühl beschreibt sie die grausamen Erlebnisse in den russischen Gulags und in der Verbannung und zeichnet dabei ein unglaublich realistisches, gut recherchiertes Bild der Stalinzeit.


Stil und Sprache
„Der Geiger“ wird aus verschiedenen Perspektiven jeweils in der dritten Person erzählt. Abwechselnd erfährt man dadurch die Geschichte von Ilja, seiner Frau Galina und ihrem Enkel Sasha. Die Perspektivwechsel werden geschickt als Instrument des Spannungsaufbaus eingesetzt. So werden die Zusammenhänge nach und nach, über drei Personen und zwei Zeiten, entwirrt. Auch wenn bei zweien der Charaktere früh klar ist, welches Ende ihre Geschichte nimmt, bleibt die Spannung doch bis zur letzten Seite erhalten, bis auch wirklich das letzte Puzzleteil am richtigen Platz sitzt. Leider ist das Ende bis dahin nicht mehr völlig unvorhersehbar, aber ein paar interessante, unerwartete Details halten die Spannung und sorgen für den Aha-Effekt zum Schluss.

Der Schreibstil von Mechtild Borrmann ist absolut herausragend. Sie schafft es mit wenigen Worten, die Atmosphäre einer Szene aufzubauen und den Leser alleine dadurch zu fesseln. Ihre Beschreibung besonders der Ereignisse während der Stalinzeit ist unglaublich bewegend und gleichzeitig so realistisch, als wäre sie selbst dabei gewesen. Sie kombiniert die geschichtlich bekannten Grausamkeiten dieser Zeit mit einem persönlichen Schicksal, so dass sie keine leeren Fakten bleiben und den Leser auch lange nach dem Ende des Buches nicht loslassen.


Figuren
Ilja Grenko ist als Stargeiger in Russland berühmt und reist durch die Konzertsäle Europas. Gerüchte über Verhaftungen von Künstlern hat er schon gehört, aber das alles ist fern von seinem Leben. Bis er plötzlich selbst verhaftet wird. Die nun folgende Zeit, erst im Gefängnis, dann im Gulag, erlebt man aus Iljas Perspektive und leidet mit ihm. Durch die realistische und bewegende Beschreibung der Autorin lernt man Ilja in all seinen Facetten kennen. Die schwierige Entwicklung vom selbstbewussten Geiger zum gebrochenen Gefangenen beschreibt Mechtild Borrmann dabei absolut glaubwürdig und wird zu keiner Zeit zu pathetisch oder unrealistisch. Gerade weil Ilja selbst zu unmenschlichen Handlungen getrieben wird und die Autorin den Leser so intensiv an seinen Zweifeln teilhaben lässt, schließt man ihn schnell ins Herz und weint um seinen Verlust.

Ebenso vielschichtig und glaubwürdig wie Ilja ist auch seine Frau Galina dargestellt. Sie erleidet ein ebenso schweres Schicksal. Verbannt und aus ihrem bisherigen Leben ausgeschlossen, kämpft sie doch weiter für ihre beiden Kinder und schließlich für das Ansehen ihres Mannes. Jeder schwere Schicksalsschlag entfernt sie weiter von der Frau, die sie einst war und auch ihr Leben hat Mechtild Borrmann so eindringlich beschrieben, dass man meint eine reale Person kennen zu lernen.

Sasha Grenko, der Enkel von Ilja und Galina, lebt in unserer Zeit und beginnt seine Familiengeschichte zu recherchieren, nachdem seine Schwester wegen eben jener Geschichte erschossen wurde. Trotzdem er eigentlich nur die vergangenen Ereignisse aufdeckt, hat die Autorin ihn doch sehr vielschichtig beschrieben. Einzig die Entscheidung, für die Recherche alles zu riskieren, hat er ein wenig zu schnell und routiniert getroffen. Ansonsten wurde sein Charakter so angelegt, dass die folgenden Handlungen glaubwürdig bleiben. Die Nebenfiguren begleiten die Protagonisten teilweise nur für wenige Seiten, teilweise über viele Lebensjahre. Sobald sie eine bedeutendere Rolle spielen, sind sie ebenfalls sehr differenziert dargestellt und fernab der bekannten Klischees.


Aufmachung des Buches
„Der Geiger“ erschien als Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen. Das Cover ist in zurückhaltenden Farben gehalten und zeigt eine einsame Person, die durch einen Park geht. Auch wenn der inhaltliche Zusammenhang zum Buch nicht deutlich wird, passt die Atmosphäre sehr gut zum Schreibstil und der Geschichte. Die Gestaltung im Inneren ist zurückhaltend und schlicht, lediglich Sterne zu Beginn eines neuen Kapitels sind neben dem Text abgedruckt. Vor den ersten beiden Kapiteln sind zusätzlich Ort und Zeit angegeben, damit der Leser sich in die zwei Zeitebenen einfindet. Im weiteren Verlauf ist eine solche Angabe durch den chronologischen Fortgang der Handlung nicht mehr nötig. Ergänzend findet sich am Ende des Buches ein Verzeichnis der Personen und der verwendeten russischen Ausdrücke.


Fazit
Mechtild Borrmann erzählt in „Der Geiger“ eine spannende und nachdenklich stimmende Geschichte. Die Kombination aus der Spannung der Krimi-Elemente mit den zeitlichen Verstrickungen und dem bewegenden Schreibstil ist herausragend und das Schicksal von Ilja und Galina lässt den Leser auch lange, nachdem die letzte Seite gelesen ist, nicht los.


4 Sterne


Hinweise
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