Smaller Default Larger

Argentinien, 50er Jahre: Im Colegio Friedrich, der deutschen Schule in La Plata, herrscht eine explosive Stimmung. Denn hier lernen Kinder aus jüdischen Emigrantenfamilien zusammen mit Kindern von Naziverbrechern – und bilden zutiefst verfeindete Gruppen. Tom, der 17-jährige Sohn eines untergetauchten Nazis, kommt neu an die Schule, und noch bevor er den anderen klarmachen kann, wer er ist, lernt er das jüdische Mädchen Walli kennen. Aus Liebe zu ihr verschweigt er seinen Familienhintergrund und verstrickt sich in eine unvorstellbare Lebenslüge.

 

Das Paradies der Taeter 

Autor: Jürgen Seidel
Verlag: cbj
Erschienen: 03/2013
ISBN: 978-3-570-15577-6
Seitenzahl: 398 Seiten

Hier geht's zur Leseprobe


Die Grundidee der Handlung
Tom ist der Sohn eines aus dem untergehenden Dritten Reich geflohenen Nazis und lebt mit seiner Familie in La Plata. Er verachtet seinen Vater für dessen Grausamkeit und der vermeintlichen Verbrechen, die er für das Regime begangen haben mag, hierüber aber schweigt. Als es an Toms erstem Schultag zu einer Schlägerei zwischen jüdischen und nationalsozialistischen Jugendlichen kommt, stellt er sich auf die Seite der Schwächeren – der Juden. Und als er sich dann noch in ein jüdisches Mädchen verliebt, sieht er zunächst keinen Ausweg, als seine wahre Herkunft zu verleugnen. Doch die Fronten zwischen den „Weißen“ und den Juden verhärtet sich zunehmend …

Das Paradies der Täter von Jürgen Seidel enthält Elemente eines Thrillers, eines Dramas und eines Jugendbuchs und beschreibt das Zusammenleben ehemaliger Verfolger und Verfolgter im Argentinien der 50er Jahre anhand von Einzelschicksalen. Seine Geschichte ist einerseits bedrückend, andererseits auch aufschlussreich und spannend und richtet sich an eine ebenso jugendliche wie erwachsene Leserschaft.


Stil und Sprache
Erzählt wird Jürgen Seidels Geschichte in dritter Person aus Sicht von Tom Blume, dem Sohn eines aus dem untergehenden Deutschland geflohenen SS-Adjutanten. So nimmt man Teil an seinen Gedanken, Wünschen, der Liebe für das jüdische Mädchen Walli Löwenstein, aber auch der abgrundtiefen Verachtung für seinen Vater und dem faschistischen Herrenmenschen-Anspruch der Nazis, der auch in seiner neuen Heimat noch zu spüren ist. Da seine Erzählung sowohl in seiner Gegenwart spielt, aber insbesondere zu Beginn des Buches auch immer wieder in deutlich herausgestellte Rückblenden in die Vergangenheit springt, mag der Anfang des Buches ein wenig verwirrend erscheinen. Aber zugleich ist dieser Stil wichtig, um Toms Situation, das katastrophale Verhältnis zu seinem schweigenden Vater und dessen (ehemaligem) Vorgesetzten, dem ebenfalls die Flucht gelang, darzustellen und den Hintergrund dieser Figuren zu beschreiben.

Seidel hat eine schöne, einfühlsame Art, die Dinge zu formulieren und beim Namen zu nennen, so beispielsweise auf Seite 70: "Wir trugen die neue Welt auf unseren Schultern und bewegten sie zu einem Ort, an dem es keinen Krieg gibt, keinen Hass zwischen 'Kippot' und 'Weißen', kein Misstrauen Fremden gegenüber". Sein Schreibstil ist der Zielgruppe sowie der Thematik angepasst und liest sich flott, aber anspruchsvoll.

Die dramatischen Ereignisse, die Tom in seiner Jugendzeit in La Plata erlebt, ziehen den Leser hinein in den Strudel des Geschehens, in dem sich einige der Deutschen im Exil auch weiterhin wie in ihrer einstigen Heimat aufführen. So geht es in dieser Geschichte nicht nur um Tom und Walli, sondern auch um einen Krieg, den sich jüdische und nationalsozialistisch denkende Jugendliche liefern, die in einer deutschen Schule gemeinsam unterrichtet werden, den Auswirkungen, die der Nationalsozialismus auch zu Beginn der 50er Jahre in Argentinien immer noch hatte. Zudem spielt eine graue Mappe, die gesammelte Fakten über die Nazis enthält und für diese – sollte sie dem israelischen Geheimdienst in die Hände fallen – eine erhebliche Gefahr darstellt, eine zentrale Rolle. Während die Situation für Tom zunehmend bedrohlicher wird und er immer stärker zwischen die Fronten gerät, nimmt zugleich die Spannung der Geschichte kontinuierlich zu und gipfelt in mehreren Höhepunkten, während sich verschiedene Fragmente wie bei einem Puzzle zusammenfügen und schließlich ein Gesamtbild ergeben.


Figuren
Sowohl die Haupt-, als auch die Nebenfiguren sind Jürgen Seidel sehr glaubhaft gelungen. Von Aussehen und Charakter sehr unterschiedlich, spielen sie alle auf nachvollziehbar-realistische Weise ihre Rolle und erhalten nach und nach, ihrer Bedeutung entsprechend, einen mehr oder weniger ausgeprägten Hintergrund. Insbesondere manchen der geflüchteten Nazis haftet eine rätselhafte Vergangenheit aus der Zeit des Dritten Reiches an, daher tun sie alles dafür, diese zu verheimlichen.

Im Mittelpunkt der Handlungen steht der 17-jährige Tom. Der Zorn und die Scham, die er für seine Eltern und die untergetauchten Täter empfindet, scheinen zwischen den Zeilen des Romans nur so zu brennen, während er zerrissen scheint zwischen seiner Liebe für Walli und dem Wunsch zu erfahren, was seine Eltern tatsächlich während des Krieges getan haben, zerrissen zwischen seinem Leben, das aus Lügen über seine Herkunft besteht und dem Wunsch, Walli und seinen jüdischen Freunden die Wahrheit sagen zu können.

Toms zunächst brutaler und verschlossener Vater ist von den ersten Seiten an unsympathisch. Seine hartnäckige Verleugnung von Todesopfern, die von den Nationalsozialisten zu verantworten sind, steht sinnbildlich für die noch heutigen Parolen, die der rechten Szenen in Deutschland zugeschrieben werden. Und doch wandelt sich die Perspektive auf ihn im Laufe der Handlungen zumindest ein wenig.


Aufmachung des Buches
Das gebundene Buch ist in einem kühlen Blauton gehalten, während der Schutzumschlag – bis auf die Vorderseite – in ein kräftiges Orange getaucht ist. Als Cover des Umschlags wurde eine blau getönte Schwarzweißfotografie eingefügt, die ein Klassenzimmer der 50er Jahre zeigt, in dem ein einzelner Schüler mit Gelb eingefärbter Jacke hervorsticht. An sich eine sehr treffende Gestaltung, nur wirken die zu sehenden Schüler auf mich ein wenig zu jung für das im Buch beschriebene Alter.


Fazit
In einer gelungenen Mischung aus Thriller, Drama und Jugendbuch hat sich Jürgen Seidel dem Paradies der Täter gewidmet – dem Argentinien der 50er Jahre, in dem sowohl Nazis als auch aus Deutschland geflüchtete Juden im Exil eine neue Heimat finden. Anhand von einzelnen Schicksalen beschreibt er die gesellschaftliche und politische Situation spannend, macht aber zugleich nachdenklich. Wirklich empfehlenswert!


4 5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo