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Kategorie: 1250 – 1450 Spätmittelalter

Bretagne, 1440. Grausame Dinge geschehen in dem kleinen Dorf Saint Mourelles. Menschen verschwinden und werden ermordet im Wald aufgefunden. Misstrauen und Angst machen sich breit und stellen die sonst so harmonische Dorfgemeinschaft auf eine harte Probe. Catheline, die Haushälterin des Dorfpfarrers, und der junge Bauer Mathis beschließen, den entsetzlichen Vorfällen auf den Grund zu gehen. Denn es gibt Spuren, und die führen zum nahegelegenen Schloss. Niemand ahnt, dass sich auch der Bischof von Nantes mit einer geheimen Untersuchung der Vorgänge einschaltet.

 

Sehet die Suender 

Autor: Liv Winterberg
Verlag: dtv
Erschienen: 01.01.2013
ISBN: 978-3423249409
Seitenzahl: 432 Seiten

 


Die Grundidee der Handlung
Ein Dorf in der Bretagne, Mitte des 15. Jahrhunderts: Ein Massenmörder treibt sein Unwesen und verbreitet Angst und Schrecken. Vom Lehnsherrn erwarten die Menschen Schutz und Hilfe, während der alte Pfarrer sich an den Bischof wendet und damit sogar die Inquisition auf den Plan ruft.

Liv Winterberg hat für ihren Roman Elemente eines historisch belegten Kriminalfalles verwendet, der sich zur genannten Zeit in Frankreich abspielte. Sie hat sich dabei  – nach eigenen Angaben – nicht für das tatsächliche Motiv des Massenmörders interessiert, sein Umfeld und seinen historischen Hintergrund aber für ihren Protagonisten fast gänzlich übernommen. Es gelingt ihr jedoch nur bedingt, etwas von der Dramatik der damaligen Vorkommnisse auf ihre Version zu übertragen.
Im Nachwort geht sie darauf ein, inwieweit sie sich an die bekannten Fakten gehalten hat, bzw. wo und warum sie davon abgewichen ist. Da dabei zwangsläufig der Täter verraten wird, sollte man die „historischen Anmerkungen zum Prozess“ nicht vorab lesen.


Stil und Sprache
Der Leser erlebt die Handlung als Beobachter von außen aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Orte und Personen wechseln dabei ständig, die Kapitel sind teilweise sehr kurz, oft endet eine Szene sehr abrupt und man bleibt etwas ratlos zurück. So kann man z.B. die Vielzahl der Morde gar nicht so schnell verarbeiten, wie sie geschehen. Eben traf man ein Opfer noch innerhalb der Siedlung oder im Schloß an und schon wird es tot in die Kapelle gebracht, fast bevor es überhaupt vermisst wurde. Der Tathergang bleibt völlig im Dunkeln, oft wird nicht einmal von der Suche und der Auffindung der Leiche berichtet. Kaum nachvollziehbar erscheint in diesem Zusammenhang das Verhalten der Dörfler. Zwar beschreibt die Autorin einerseits ihre Ängste und Gefühle, lässt sie aber andererseits dem Täter immer wieder „in die Arme laufen“, indem sie allein und schutzlos unterwegs sind. Es mutet schon etwas merkwürdig an, wenn Catheline mit einem der Dorfjungen schimpft, weil sie ihn ohne seinen Bruder antrifft, selbst aber unbegleitet zum Waschen an den Fluß geht. Solche Ungereimtheiten sowie die dauernden Szenenwechsel, vor allem aber die zahlreichen Toten, erwecken anfangs eher Verwirrung als Spannung. Dazu kommen eine zeitweise sehr „abgehackte“ Sprache, sowie ein „holperiges“ Schriftbild, die den Lesefluss manchmal etwas mühsam machen - Zitat Seite 26: 

„Die Baronin, die Nörglerin persönlich, war hier.
Bei ihnen.
Vor dem Schloss.
Um Kinder zu verköstigen“

Interessant wird die Geschichte, als sich die Inquisition einschaltet und der Prozess in Nantes beginnt. Hier erfährt man einiges über das Vorgehen der Kirche und den Ablauf von Verhören und Gerichtsverhandlungen im Mittelalter – und zwar ohne dass die Beschreibungen zu sehr in effekthaschende Grausamkeiten ausarten. Das historische Umfeld hat Liv Winterberg eng an die tatsächlichen Begebenheiten angelehnt, was aber – wenn einem diese nicht bekannt sind – erst durch das Nachwort richtig nachvollziehbar ist, genauso, wie das Motiv des Massenmörders erst dann „verständlich“ wird.


Figuren
Im Widerspruch zum Klappentext machen sich die Hauptpersonen Catheline und Mathis keineswegs gemeinsam auf die Suche nach dem Mörder. Ganz im Gegenteil sind sie – was ihn betrifft – gänzlich unterschiedlicher Meinung und handeln daher weitgehend auf eigene Faust. Vor Beginn der Handlung standen sie kurz vor der Hochzeit, durch eine schwere Verletzung wurde Mathis jedoch zum Krüppel, fühlt sich nicht mehr in der Lage, eine Frau angemessen zu versorgen und will die Beziehung lösen, damit sie sich einen „Besseren“ suchen kann. Für eine ehrliche Aussprache findet er aber nicht den Mut, eher zerfließt er in Selbstmitleid, weist Cathelines Hilfe zurück und fordert damit ihren Trotz heraus. Von der früheren Liebesbeziehung ist anfangs wenig zu spüren und auch am Ende wirkt sie nicht sehr überzeugend. 
Ebenso undurchsichtig ist das Verhältnis zwischen dem Baron und seiner Frau. Sie wirft ihm Verschwendung vor, erfreut sich aber gleichzeitig an den kostspieligen neuen Glasfenstern auf ihrem Landsitz und betrügt ihn mit dem Mann, der Herzog und Bischof dabei hilft, ihren Gatten um seinen Besitz zu bringen.

Bis auf wenige Ausnahmen – den Pfarrer, Avel – erweckt keine der Personen Sympathie. Einige stoßen schon allein durch die immer wiederkehrende Erwähnung eines besonderen körperlichen Merkmals ab: Die Schwester der Baronin hat einen säuerlichen Atem, der Hauptmann der Söldner „den bösen Blick“ und die Mägde im Schloß fürchten den Küchenmeister sobald er zu schwitzen beginnt, weil er immer dann seine Untergebenen schlägt.
Die Dorfbewohner sind auch nicht wirklich (be)greifbar. Sobald man mit einer Figur etwas warm geworden ist, wird sie ermordet, aber das ist dann oft so „nebenbei“ beschrieben, dass man meist gar nicht richtig mitfühlen kann.


Aufmachung des Buches
Das Taschenbuch ist sehr stabil, mit ausklappbaren Umschlagseiten aus fester Pappe. Das Cover zeigt schemenhaft den Innenraum einer Kirche. Unter dem Namen der Autorin ist das Emblem der französischen Könige – die Lilie – abgebildet. Darunter steht in erhaben geprägten Lettern der Titel. Die Ränder sind mit einer Blumenranke umgeben.

Den Anfang macht ein Personenregister, eingeteilt in: Die Schloßbewohner, die Dorfbewohner, die Geistlichkeit und ein paar wenige „weitere Personen“. Die Kapitel sind nicht numeriert, zum größten Teil sehr kurz und jeweils mit dem Ort der momentanen Handlung übertitelt. Der Anhang enthält einen Abschnitt mit Anmerkungen zum geschichtlichen Hintergrund Frankreichs nach dem Tod der „Jungfrau von Orleans“ und einen weiteren zu dem historischen Prozess, durch den die Autorin zu diesem Buch angeregt wurde. Ein ausführliches Glossar und eine Danksagung bilden den Schluß.


Fazit
Der Fall des Mörders, von dem sich Liv Winterberg zu ihrem Roman inspirieren ließ, ist mir seit vielen Jahren bekannt und wurde auch bereits von anderen Autoren thematisiert. Die „Vermischung“ des echten und des fiktiven Täters – besonders aber das geschilderte Motiv des Letzteren – ist für mich persönlich nicht ganz gelungen. Da ich aber davon ausgehe, dass die meisten Leser diese Geschichte nicht kennen und der Prozess und der historische Hintergrund in Verbindung mit dem Nachwort recht gut beschrieben sind, erscheint mir die Bewertung noch angemessen.


3 Sterne


Hinweise
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