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Marie Lu 2


Marie Lus Debüt "Legend" ist wie eine Bombe eingeschlagen, alle reißen sich darum. Auf der Frankfurter Buchmesse hat sie einige Fragen beantwortet - was hat sie zu "Legend" inspiriert, was mag sie am Schreiben am liebsten und was passiert im nächsten Buch, "Prodigy"? Das Treffen war großartig, Marie Lu ist ein sehr herzlicher Mensch.


Hallo Frau Lu. Wann haben Sie das Schreiben von Romanen für sich entdeckt?

Ich habe ernsthaft angefangen zu schreiben, als ich in der Highschool war. Ich habe immer aus Spaß geschrieben, aber erst in der Highschool realisiert, dass echte Menschen Bücher veröffentlichen können. Das war der Zeitpunkt, an dem ich anfing, ernsthafter für eine Veröffentlichung zu schreiben.


Bis zu Ihrem enormen Erfolg mit "Legend" haben Sie als künstlerische Leiterin in der Videospiele-Branche gearbeitet. Diesen Job haben Sie mittlerweile an den Nagel gehängt. Ein mutiger Schritt! Hatten Sie keine Angst, sich falsch zu entscheiden?

Dieser Wechsel war ein bisschen einschüchternd und Vollzeit-Autor ist eine andere Art des Arbeitens. Ich bleibe den ganzen Tag zu Hause, es ist ein wenig eigenartig, dass ich nicht viel mit anderen Menschen spreche. Aber es macht Spaß und ich genieße es.

Manchmal vermisse ich die Videospiel-Branche, da ich diesen Beruf ebenfalls sehr geliebt habe, aber wir haben begonnen, auch ein wenig an Videospielen zu arbeiten, weil wir ein Facebook-Spiel zu "Legend" entwickeln. Ich bin in der glücklichen Lage, hierbei eine Hilfe zu sein.


Ist es Ihrem ehemaligen Beruf zu verdanken, dass Sie so bildgewaltig schreiben?

Ein bisschen, denke ich. Wenn ich anfange eine Geschichte zu schreiben, muss ich zunächst die Charaktere ausarbeiten, um über sie schreiben zu können. Das ist meine Art, sie ein bisschen besser kennen zu lernen. Ich habe während des Schreibens bemerkt, dass mein Stil dazu neigt, sehr bildlich zu sein, weil ich alles, was ich schreibe in meinem Kopf sehen können muss. In meinem Kopf ist eine Art Film und ich beschreibe, was ich dort sehe. Ich bin mir sicher, dass mein alter Beruf Einfluss darauf hat.


Haben Sie bestimmte Rituale, die Sie beim Schreiben einhalten, beispielsweise eine feste Schreibzeit oder eine festgelegte Seitenzahl pro Tag?

Habe ich. Ich schreibe am liebsten morgens. Ich finde, dass meine Schreibe immer schlechter wird, wenn ich erst nachmittags beginne. Daher versuche ich, alles bis ein Uhr zu schreiben, ich schreibe also von sieben Uhr morgens bis ein Uhr.

Ich höre aber auch viel Musik beim Schreiben. Mir fällt es schwer zu schreiben, wenn es ruhig ist, und ich liebe es, Soundtracks zu hören, während ich schreibe.


Welcher Soundtrack war das für "Legend"?

Bei "Legend" habe ich am meisten dem "Tron"-Soundtrack - ein neuer Disneyfilm - gelauscht. Und es ist echt lustig, weil ich finde, dass dieser sehr gut zur Stimmung in "Legend" passt. Ich mag aber auch die Musik von "Two steps from hell", die viel Trailer-Musik - beispielsweise für "Narnia" und "Der Herr der Ringe" - machen. Deren Musik mag ich ebenfalls sehr.


Planen Sie Ihre Romane erst bis ins kleinste Detail, bevor Sie mit dem Schreiben beginnen, oder schreiben Sie einfach drauflos?

Ich versuche zu planen, aber ich bin kein so guter Organisator wie Autor, daher tendiere ich dazu, oft von meinen Aufzeichnungen abzuweichen. Normalerweise plant ein Autor in kleinen Absätzen wohin die Kapitel führen werden, wobei die Kapitel über meine Charaktere immer irgendwohin davonlaufen. [lacht] Ich weiß nicht mehr, was sie machen und folge ihnen, sodass es für mich ein sehr chaotischer Prozess ist und ich nicht das Gefühl habe, viel Kontrolle über meine Figuren zu haben. Sie beginnen selbstständig zu leben. Aber es macht mir so mehr Spaß und ich kann die Geschichte gemeinsam mit ihnen entdecken. Ich weiß also nicht wirklich, was als nächstes passiert, und muss ihnen vertrauen, dass es am Ende funktionieren wird.


Was fasziniert Sie an Dystopien?

Ich finde Dystopien faszinierend, weil sie irgendwie eine Art Spiegel der Realität sind. Nordkorea war eine Inspiration für "Legend" und einer der größten Faktoren für die Ausarbeitung der Welt. Ich war ein Kind - ich war im Jahre 1989 fünf Jahre alt - und lebte in Beijing, wo sich das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens ereignete. Meine Tante nahm mich an diesem Tag mit zu dem Platz, damit ich die protestierenden Studenten sehen konnte, und ich erinnere mich daran, die Panzer auf den Straßen gesehen zu haben. Das hat auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck hinterlassen und ich denke, dass diese spezielle Sichtweise während des Schreibens in "Legend" eingeflossen ist.

Es macht irgendwie Spaß eine Dystopie auszuarbeiten, weil ich viele der dortigen Elemente in unserer heutigen Welt sehe. Und daher liegt es nahe, sich dies für die Vereinigten Staaten auszumalen.


Marie LuEin Artikel über die Auswirkungen der Klimaerwärmung war der zündende Funke, der zu dem Auftakt der Dystopie „Legend“ führte. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Genau, ich war wirklich inspiriert, diese Art der Klimaveränderung - basierend auf einem Artikel, den ich kurz bevor ich ich mit dem Schreiben begann, gelesen habe - einzubringen. Es war ein Artikel darüber, wie unsere Welt aussehen würde, wenn die Meere aufgrund der schmelzenden Polkappen um hundert Meter ansteigen. Mir ist dieser Artikel aufgrund der Karte in Erinnerung geblieben, die faszinierend anzusehen war. Ganz Europa war im Meer versunken, der komplette Südosten der USA war weg und von Los Angeles - wo ich lebe - erstreckte sich ein gigantischer See die ganze Strecke bis nach San Francisco. Das war einfach eine interessante und verstörende Ansicht der Welt. Und ich wollte meine Stadt ein wenig zerstören [lacht] Es hat Spaß gemacht, Los Angeles zu fluten. Und deshalb habe ich das Ganze so festgelegt. Ich fand es interessant die Stadt als eine Art Uferland im Wasser darzustellen.

 

„Legend“ wurde in mehrere Sprachen übersetzt und auch die Filmrechte sind bereits verkauft - etwas, wovon sicherlich jeder Autor träumt. Was ist das für ein Gefühl, wenn das eigene Buch nicht nur tatsächlich veröffentlicht wurde, sondern sich auch noch alle darum reißen?

Es ist wirklich erstaunlich und ich kann es nach wie vor kaum glauben, weil es manchmal so surreal für mich ist. Und jeden Morgen wenn ich aufwache, muss ich mich kneifen, um sicherzugehen, dass ich mir das Ganze nicht eingebildet habe. Ich habe immer gehofft, eines Tages ein professioneller Autor zu werden und hatte diesen Traum, daher wusste ich, dass ich dafür arbeiten muss. Aber Dinge wie den Film und die Übersetzungen gingen darüber hinaus, ich habe nie gedacht, dass mir das passieren würde. Das war alles sehr, sehr aufregend.


Die verschiedenen Ausgaben von "Legend" haben auch unterschiedliche Cover. Welches gefällt Ihnen am besten?

Oh, das weiß ich nicht. Sie sind auf ihre eigene Art alle großartig. Ich muss sagen, dass ich die deutsche Ausgabe wirklich liebe, weil sie sich von vielen, die ich gesehen habe, so unterscheidet. Ich liebe die Qualität und das Leinenpapier, auf das es gedruckt wurde, und dass manche Dinge golden und geprägt sind. Ich finde das gesamte Design sehr schön.


Sie zeichnen auch sehr gerne. Würden Sie gerne die Cover Ihrer Bücher selbst entwerfen oder Ihre Bücher im Innern mit Illustrationen versehen?

Ich habe darüber nachgedacht, aber ich glaube nicht, dass ich die beste Person dafür wäre, weil ... möglicherweise bin ich zu dicht an der Geschichte, um das richtige Cover zu entwerfen, weil ich wahrscheinlich alles auf dem Cover unterbringen wollte [lacht] - die Leute und Orte und zu viele Sachen. Es ist vermutlich das Beste, dass ich es nicht gemacht habe und der Verlag dafür verantwortlich war.


Day und June erzählen in wechselnden Perspektiven ihre Geschichte in der ersten Person. Wieso haben Sie sich für diese Erzählweise entschieden?

Ich fand es interessant zwei Ich-Erzähler zu haben, weil ich finde, dass ich in der ersten Person natürlicher schreibe. Ich kann viel einfacher in den Kopf der Figuren schauen und beschreiben, wer sie wirklich sind und was sie denken. Aber ich wollte ebenso von beiden Standpunkten aus die Geschichte erzählen, also entschied ich mich für die wechselnde Perspektive. Das war interessant, weil ich die Geschichte so umsetzen wollte, dass Day und June sich gegenseitig als Bösewichte sehen. Je nachdem, aus welcher Perspektive gerade erzählt wird, ist einer der Protagonist und einer der Antagonist und es ist sehr unterschiedlich, auf wessen Seite du bist. Das macht mir viel Spaß zu erkunden.


Beide Figuren sind sowohl Protagonisten als auch Antagonisten – es kommt nur auf den Standpunkt an. Ein interessantes Spiel! Haben Sie dieses bewusst inszeniert oder hat es sich eher durch Zufall ergeben?

Ich denke, das war schon eine bewusste Entscheidung. Als ich mit dem Schreiben anfing, war ich unmittelbar von "Les Misérables" beeinflusst und ich wollte eine Teenager-Version von „Verbrecher gegen Kriminalbeamter“ schreiben. Und ich wusste von Anfang an, dass ich etwas machen wollte, bei dem ich beide Seiten der Geschichte zeigen kann, und ich wollte zeigen, dass beide ihre eigenen Gründe für das haben, was sie tun und beide zunächst denken, dass sie auf der richtigen Seite sind. Das ist auch etwas, dass im zweite Buch eine Rolle spielen wird.


Hatten Day und June von Anfang an eine vollständige „Geschichte“ oder haben Sie diese erst im Laufe der weiteren Bücher entwickelt?

Ich denke, ich hatte sie - zumindest zur Hälfte [lacht] - ausgearbeitet, als ich mit dem Schreiben begann. Dann, als ich zu Schreiben anfing, habe ich Kleinigkeiten ihrer Persönlichkeit und Eigenarten bei der Art, wie sie sprechen und denken, entdeckt. Manches habe ich definitiv erst im Schreibprozess herausgefunden, aber ich kannte ihre Geschichte und die Hintergründe, als ich mit dem Schreiben begann.


Teilen Sie Days Motto ‘Walk in the light’?

[lacht] Ich bin nicht so cool wie Day. Aber ich versuche seine Philosophie zu übernehmen, optimistisch zu bleiben - egal, wie schlecht der Tag war oder was auch immer - und dass von da an alles besser werden kann, zu beherzigen. Und ich denke, es ist wichtig die generelle Philosophie "Walk in the light" zu verinnerlichen, um die Wahrheit hinter den Lügen zu erkennen, und ich hoffe, dass manches davon junge Leser in ihr Leben mitnehmen, damit sie nicht alles, was ihnen gesagt wird, für bare Münze nehmen, sondern für sich selbst entscheiden und selbst über die Wahrheit lesen - was immer es auch ist, auf das sie in ihrer Welt blicken.


Die Charakterisierung der Figuren ist Ihr Lieblingsteil beim Schreiben eines Buches. Was mögen Sie daran so sehr?

Ich finde es faszinierend mir Personen auszudenken und diese zum Leben zu erwecken, und ich fand schon immer, dass dies definitiv der interessanteste Part am Schreiben ist. Ich liebe es ebenso, die Welt auszugestalten, aber für mich ... Wenn ich ein Buch zu schreiben beginne, zeichne ich immer zunächst die Charaktere und dann, basierend auf ihrer Persönlichkeit und der Art, wie sie ihr Leben leben, arbeite ich die Welt um sie herum aus. Für mich hängt alles davon ab, wie deren Charakter ist und es macht Spaß, sie zu entdecken, weil es ein bisschen so ist, als würde ich mich in Kleinigkeiten selbst entdecken, denen ich bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt habe. Daher finde ich es sehr amüsant, diese ausgedachten Personen zu erkunden.


Beim Schreiben einer Dystopie ist es - neben glaubhaften Figuren - ebenso wichtig, eine nachvollziehbare Welt auszuarbeiten. Ist Ihnen das für "Legend" leicht gefallen?

Es war ... es kam stückchenweise, während ich die Welt betrachtete. Ich habe mir zunächst ein Grundverständnis für die Welt überlegt und dann, während des Schreibens, wollte ich sie nach und nach freilegen, so, wie die Geschichte es erforderte und wie die Figuren auf Dinge reagieren. Die Ausgestaltung der Welt kam also zufällig nach und nach und ich musste mit dem Schreiben beginnen und verschiedenes recherchieren. Beispielsweise ist "Legend" sehr militärisch, daher musste ich immer wieder mit dem Schreiben aufhören und etwas über das Militär lesen, um das Buch realistischer zu gestalten.


Haben Sie eine der beiden Hauptfiguren – oder sogar eine ganz andere – besonders ins Herz geschlossen?

Ich glaube nicht, dass ich mich in jemanden von ihnen verliebt habe [lacht], aber ich fühle mich wie ihre Tante, wie ein Beschützer, als wären sie meine Kinder. Ich weiß nicht ... vielleicht habe ich mich ein wenig in den jungen Elektor verknallt [lacht], den Sohn des Diktators. Und dieser spielt im zweiten Buch eine große Rolle.


Trotz der düsteren Ereignisse spielt Liebe eine große Rolle in "Legend", aber nicht nur romantische Liebe. Stimmt es, dass sich dies eher zufällig ergeben hat?

Ich denke, es war ein wenig unterbewusst, aber ich habe während des Schreibens bemerkt, dass ich dazu tendiere, ständig Familienverhältnisse in meine Geschichten zu packen, besonders die Beziehung zwischen Geschwistern, weil ich selbst ein Einzelkind bin. Aufgrund von Chinas Ein-Kind-Politik habe ich keine Brüder oder Schwestern. Und ich fand es schon immer interessant, diese Art Bindung zu jemandem zu haben, der Teil der Familie ist. Weil ich dies nie selbst erlebt habe, ertappe ich mich dabei, dass ich ständig über diese Art der Beziehung schreibe.


Marie Lu 3Im Januar erscheint der zweite Band „Prodigy“. Können Sie uns verraten, was Ihre Leser in diesem Buch erwartet?

"Prodigy" wird direkt am Ende von "Legend" ansetzen, es spielt also direkt im Anschluss. Day und June befinden sich nun außerhalb von Los Angeles, daher werden wir mehr von den Städten der Republik sehen und mehr über darüber hören, wie die Welt außerhalb der Vereinigten Staaten ist. Im zweiten Buch wird es darum gehen, dass Day und June von den Patrioten, den Rebellen, angeheuert wurden, um den neuen Elektor zu töten, wodurch ein neuer Konflikt zwischen Day und June entsteht, dem sie sich stellen müssen.

Im ersten Buch haben sie sich gut die Hälfte des Buches richtig gehasst und sind am Ende zu einer vernünftigen Übereinkunft gekommen. In der Fortsetzung vertrauen sie sich immer noch nicht, weshalb weitere Auseinandersetzungen auf sie warten. Sie haben sehr unterschiedliche Ansichten, wie die Republik sein sollte, was sicherlich an ihren unterschiedlichen Hintergründen liegt und für einige Konflikte zwischen ihnen sorgt.


Haben Sie schon Ideen für die Zeit nach der "Legend"-Trilogie? Oder haben diese derzeit keinen Platz in Ihren Gedanken?

Immer, wenn ich ein bisschen erschöpft vom Schreiben an "Legend" bin, bastele ich an anderen Ideen herum und denke, dass ich für die nächste Reihe außerhalb von "Legend" zurück zur Fantasy gehe. Dieses Genre war mein Liebling, als ich ein Kind war, und ich wollte immer eine Fantasy-Reihe schreiben. Ich denke, das werde ich tun.


Ich danke Ihnen vielmals für das Interview.

Dankeschön!


Viel Spaß auf der Frankfurter Buchmesse!

Vielen Dank, es war wundervoll!

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