1943: Der Zweite Weltkrieg überzieht Europa mit Angst und Schrecken. David Auberson ist Skipper auf einem schweren Bomber, einer britischen Lancaster mit dem Spitznamen S-Snowwhite. Von einer Basis in Südengland aus fliegt er mit seinen Kameraden Angriffe auf Nazi-Deutschland. Ihre Bomben legen die Welt unter ihnen in Schutt und Asche und immer wieder ist Berlin das Ziel der Einsätze.
1948: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende, der kalte Krieg dämmert herauf. Im zerstörten Berlin stehen sich die Alliierten Mächte gegenüber und verhandeln über eine neue Weltordnung. Roy Stuart, ehemaliges Besatzungsmitglied der S-Snowwhite, fliegt nun Einsätze nach Westberlin. Über die Luftbrücke gelangen trotz der sowjetischen Blockade Kohle, Medikamente, Nahrungsmittel und viele andere Dinge in die Stadt.
1961: Roy Stuart begibt sich auf die Suche nach Helena, der Liebe seines Lebens. Er hat sie im zerstörten Berlin kennengelernt, dann jedoch aus den Augen verloren. Er weiß, dass sie das Konzentrationslager Auschwitz-Monowitz überlebt hat und jetzt in der DDR lebt. Er möchte sie in den Westen holen, doch der Bau der Berliner Mauer steht kurz bevor.
Ein Krieg ist nicht zu Ende, wenn die Kanonen schweigen.
Originaltitel: Berlin Intégrale (tomes 1-3) |
Die Grundidee der Handlung
Mit dieser Ausgabe erscheinen erstmals alle drei Teile von Marvanos Berlin-Trilogie auf Deutsch. Im Thomas Tilsner Verlag wurde 1995 zwar der erste Teil als „Die sieben Zwerge“ herausgebracht, der Rest allerdings blieb hierzulande bis dato unveröffentlicht.
Dem Inhalt selbst möchte ich nichts mehr hinzufügen, weil die Zusammenfassung des Verlages ihn sehr gut wiedergibt. Während die ersten zwei Teile direkt erzählt werden, erschließen sich die Zusammenhänge des dritten Kapitels erst nach und nach aus einer gegenwärtigen Erzählperspektive mit Rückblenden in die Vergangenheit. So konnten mich dann auch die ersten zwei Geschichten durch das hautnahe Miterleben des geschichtsträchtigen Hintergrundes, wo Leben und Schicksal der Figuren oftmals am seidenen Faden hingen, an das Buch fesseln, die dritte Geschichte dagegen empfand ich sehr verwirrend, zudem rückt sie Personen und Zusammenhänge in den Vordergrund, die den Leser kaum interessieren, während die Hauptpersonen aus der Vorgeschichte, Helena Koenig und Roy Stuart, über die man mehr lesen möchte, zu kurz kommen.
Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Teil 1: Mit sehr feiner Feder gezeichnet wirken die Szenen am Boden filigran und zart, was gut zur Grundstimmung passt. Jede friedliche Minute erscheint doch umso zerbrechlicher und kostbarer bei dem Gedanken, dass man vielleicht schon vom nächsten Flugeinsatz nicht mehr zurückkehrt. Die trotz dünnem Strich nur grob umrissenen Landschaftsformen von der Gegend rund um den Fliegerstützpunkt in hellleuchtenden, lebensfrohen Farben setzen einen deutlichen Kontrapunkt zu den Flugszenen am nächtlichen Himmel.
Der Großteil dieses Kapitels spielt sich in der Luft ab, wo sich die siebenköpfige britische Besatzung (Die sieben Zwerge) des Bomberfliegers S-Snowwhite mit Zielrichtung Berlin und die deutsche Luftabwehr ihre nervenzerreißenden Gefechte liefern. Die Bilder in kräftigen, dunklen Farben mit viel Schwarz haben Dynamik und Speed, lassen einen jedoch in einzelnen Panels aufgrund unglücklicher Perspektive oder Ungenauigkeit der Zeichnung im Unklaren, welches Flugzeug gerade in der Bredouille ist - das der Briten oder eines der Deutschen? Möglicherweise auch Marvanos Taktik, um die Spannungsschraube hoch zu halten. Die Dialoge der britischen Besatzung über Funk sind wie Erzähltext eckig umrandet, da aus dem Off, wobei der saloppe Ton untereinander wahrscheinlich die einzige Möglichkeit ist, sich vor Angst nicht in die Hose zu machen. Ein Auszug von Seite 30 führt einem recht deutlich vor Augen, dass diese taffen Jungs in ihren schicken Fliegeruniformen doch kaum den Kinderschuhen entwachsen sind: „Die meisten von uns sind zu jung zum Wählen oder zum Autofahren, aber nicht zu jung, um die Krauts zu bombardieren. […] Nicht zu jung zu sterben.“
Teile 2 und 3: Hier wirken die Zeichnungen, als ob sie von einem ganz anderen Zeichner stammen. Dicker und expressiver die Umrisslinie, die Gesichter ebenfalls kantiger und grobschlächtiger, die Farbpalette gedeckt und nicht mehr so kontraststark, haben diese Bilder mit dem ersten Teil so gut wie nichts mehr gemein. Die Ausarbeitung ähnelt allerdings dem vorigen Teil: in den Vordergründen sind Figuren und Setting auch ohne große Detailversessenheit mit dynamischem Strich ausdrucksfähig und authentisch gezeichnet, in den Tiefen verliert sich dann alles ins Grobe, z.B. werden Personen zu einfarbigen, vagen Silhouetten, Landschaft und Horizont zu einfach skizzierten, größeren Flächen.
Der Erzählstil ist ebenfalls komplett neu, da in die Handlung immer wieder mehrseitige Informationstafeln zum geschichtlichen und politischen Background, ganzseitige Porträts der Hauptpersonen (Teil 2) oder Rückblenden (Teil 3) eingeschoben sind. So nützlich das Ganze auf der einen Seite (vor allem für Leser, die in Geschichte nicht so bewandert sind) auch sei, gerät der Lesefluss dadurch aber deutlich ins Stocken. Etwas weniger Sachwissen hätte es auch getan. Teil 3 war für mich nicht nur wegen des konfusen, puzzleartigen Handlungsaufbaus ein einziges großes Fragezeichen. Eine namenlose, langweilige Hauptperson mit grauen Haaren und Schmerbauch, über deren Identität ich lange rätselte, geistert durch die Bilder und recherchiert hauptsächlich Sachverhalte, die kaum noch jemanden interessieren, wobei sich die farbig bunten Bilder der Gegenwart und die blau-grau eingefärbten Panels der Vergangenheit stets abwechseln.
Aufmachung des Comics
Die Verarbeitung des gebundenen Bandes mit hochglänzenden Buchdeckeln ist absolut hochwertig. Vor- und Nachsatz sind mit (Militär-)Flugzeugen bedruckt, die Papier- und Druckqualität ist vom Feinsten, das Einzige, was die Ausstattung noch hätte toppen können, wäre ein Anhang mit Zusatzmaterial gewesen.
Passend zum Titel sieht man auf dem Cover Berlins Markenzeichen: das Brandenburger Tor in der Abenddämmerung, davor die zwei Hauptpersonen aus dem Mittelteil, Stuart und Helene, auf einem Motorrad. Durchaus bemerkenswert finde ich, dass sich Stuart mit dem Soziussitz begnügt.
Fazit
Ein Comic, der Berlin in seinen bewegendsten und dramatischsten Momenten zwischen 1943-1961 thematisiert und sich damit vor allem an Fans von historischen Plots wendet. In drei Teilen aus britischer Sicht erzählt, vermögen die ersten zwei – trotz ein paar Schwächen – inhaltlich zu fesseln, der dritte ging für meinen Geschmack total daneben. Das Artwork differiert zum Teil stark, kommt insgesamt jedoch über Durchschnitt nicht hinaus.
Hinweise
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