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Ein Reisebericht der ganz besonderen Art

Im März 2010 ging Emmanuel Lepage für mehrere Wochen an Bord des Versorgungsschiffs Marion Dufresne, um die TAAF, die Französischen Süd- und Antarktisgebiete, zu bereisen, das Meer verstehen und zeichnen zu lernen und um sich von den eisigen Landschaften verzaubern zu lassen, die in der Lage sind, einen in längst vergangene Zeiten zu versetzen.

 

Reise zum Kerguelen Archipel 

Originaltitel: Voyage aux îles de la Désolation
Autor: Emmanuel Lepage
Übersetzer: Tanja Krämling
Illustration: Emmanuel Lepage
Verlag: Splitter
Erschienen: Juni 2012
ISBN: 978-3-86869-492-5
Seitenzahl: 158 Seiten
Altersgruppe: ab 14 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)

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Die Grundidee der Handlung
Mit diesem Comic wurde eine sehr ungewöhnliche Idee verwirklicht. Für den französischen Comic-Zeichner Emmanuel Lepage, in Deutschland bekannt geworden mit der Graphic Novel Oh, diese Mädchen! (Splitter), ging 2010 ein Kindheitstraum in Erfüllung, als sich ihm die einmalige Gelegenheit bot, auf dem französischen Versorgungsschiff ‚Marion Dufresne‘ einige der südlich des Indischen Ozeans gelegenen subantarktischen Inseln zu bereisen, darunter auch die mit dem wohl sehnsuchtsvollsten Namen ‚Kerguelen Archipel‘. Den 30-tägigen Reiseablauf hält Lepage in Form eines reich illustrierten Tagebuchs fest – eben diesem Comic.

Das großformatige Buch ist überwiegend sachlich und informativ gehalten. Die teils ziemlich turbulenten Ereignisse während der Reise, die Begegnung mit vielen außergewöhnlichen Menschen und Lepages ganz persönlichen Eindrücke von einer atemberaubenden, rauen und weitgehend unberührten Natur fesseln ungemein, wenn man – wie ich – generell an Reise- und Abenteuerdokumentationen interessiert ist. Wer hingegen eine comicübliche, fiktive Abenteuergeschichte erwartet, der wird vom Inhalt sicher bitter enttäuscht sein. Hier ist es einfach wichtig, genau zu wissen, auf was man sich einlässt.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Vergleichbar eines Reisebildbands, erhalten Lepages Illustrationen durch das große Buchformat den entsprechenden Rahmen, ihre Wirkung zu entfalten und einen Teil der außergewöhnlichen Atmosphäre an den Leser weiterzugeben, die der Künstler während seiner Reise erlebte. Wie schon erwähnt, ist der Reiseablauf in Tagebuchform chronologisch geordnet und im Bild wird einfach alles festgehalten, was dem Franzosen unter die Augen kam: das Schiff, die Menschen, das Meer, die Inseln, die Tiere.

Zunächst widmet er sich seinen Mitreisenden. Man erfährt kurz ihren beruflichen Hintergrund (Wissenschaftler, Arbeiter, Politiker, Medienvertreter, Touristen), während jeder von ihnen mittels Porträt und Signatur festgehalten wird. Andere Bilder von kleinem bis mittlerem Format berichten vom genauen Ablauf der Versorgungsfahrt. Während die Männer ihrer Arbeit nachgehen, guckt ihnen Lepage mit dem Zeichenstift in der Hand über die Schulter. Trotz aller Routine stehen unvorhersehbare Pannen, die teilweise nur unter Einsatz von Leben gemeistert werden können, aufgrund der schwer kalkulierbaren Witterung an der Tagesordnung. Da sind bei der Mannschaft vor allem Erfahrung und ein kühler Kopf gefragt. Diese Abschnitte fand ich immer extrem spannend, so dass ich sie mit angehaltenem Atem las.
Legt das Schiff an, so haben die Passagiere ein wenig Zeit, die jeweiligen Inseln zu erkunden. Diese Bilder haben absolut nichts mehr von der eben beschriebenen Sachlichkeit. Subjektiv, atmosphärisch und atemberaubend schön wie Gemälde vermitteln sie die Flüchtigkeit des Augenblicks, in der sie Lepage skizzierte und gleichzeitig die Unvergänglichkeit, mit der sie später aus dem Gedächtnis fertiggestellt wurden. Von extremer Witterung bizarr geformte Landschaften, genauso wie die einzigartige Tierwelt der Subantarktis laden in großformatigen Panels zum Innenhalten und Staunen ein -  wie es Lepage sicher auch getan hat - doch halt, er musste ja (für uns) zeichnen.
Dazwischen schieben sich unschöne Szenen mit Überbleibseln vergangener Tage, als man zu Beginn der Industrialisierung meinte, man könne sich die Südgebiete, so wie alles andere auch, einfach Untertan machen, um sie aus reiner Profitgier auszuschlachten. Zum Glück waren diese Vorhaben nur von kurzer Dauer. Heute wird alles dafür getan, der Natur ihre Ursprünglichkeit  zurückzugeben und sie vor menschlichen Einflüssen zu schützen, was viel schwieriger ist als man denkt. Auch das vergisst Lepage nicht mit etlichen alltäglichen Beispielen zu belegen.

Kommen wir nun zum Artwork selbst: die Zeichnungen wurden vor Ort immer mit Bleistift vorskizziert. Nachbearbeitet sind sie mit schwarzer Tinte oder Wasserfarben, allerdings verblieben vereinzelt auch welche in Skizzenform. Die Qualität von Lepages Arbeit kann man durchweg als künstlerisch anspruchsvoll und hochwertig bezeichnen, nur gefällt es mir nicht sonderlich, dass in dem Comic ein wildes Durcheinander an Schwarz-Weiß und Farbe herrscht. Gerade die wunderschönen Farbaquarelle lassen ahnen, um wie viel schöner der Comic in durchgehendem Farbdruck hätte sein können.

Sprech- und Erzähltext sind einheitlich rechteckig umrandet und bieten in der Darstellung mit kursiver Großschrift absolut keine Überraschungen. Die Panels auf weißem Seitenuntergrund dagegen sind nicht einheitlich schwarz umrahmt, größere, kolorierte Ansichten kommen meistens ohne aus.


Aufmachung des Comics
Vor Eintreffen des Comics dachte ich, er würde zur Books-Reihe im kleineren Graphic Novel-Format gehören, umso angenehmer war die Überraschung, als er sich als großformatig herausstellte. Zur Bindungs- und Druckqualität muss man bei Splitter nicht mehr viel schreiben, weil diese wie immer hervorragend ist. Vor- und Nachsatz zeigen die ‚Marion Dufresne‘, dezent aquarelliert in Blau-Weiß mit einem Klecks Rot. Im Anhang gibt es ein Foto von Emmanuel Lepage „bei der Arbeit“, flankiert von Pinguinen, und die Danksagung.

Das vordere Cover ist zweigeteilt. Oben in schwarz-weiß sieht man Emmanuel Lepage mit der Zeichenmappe unter dem Arm an Bord, im unteren kolorierten Teil die ‚Marion Dufresne‘ bei rauer See. Den hinteren Buchdeckel ziert ganzseitig eine recht dunkle Illustration mit den bizarren Felssäulen auf Kerguelen, umspült vom eiskalten Wasser der Subantarktis. Die Covergestaltung gibt insgesamt einen passenden Eindruck vom Innenteil ab.


Fazit
Hier ist es vor allen Dingen wichtig, im Vorfeld zu wissen, auf was man sich mit diesem außergewöhnlichen Comic einlässt, sonst könnte die Enttäuschung eventuell groß sein. Ich jedenfalls begrüße es, dass sich der Autor mit einer gezeichneten Reise-Dokumentation auf ganz neues Terrain wagt.


4 Sterne


Hinweise
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