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Unter den Räubern, die Ende des 18. Jahrhunderts Angst und Schrecken verbreiten, ist Hannikel einer der gefürchtetsten. Vor seinem Namen zittert im Schwarzwald und im Elsass jedes Kind. Nun ist er auf der Flucht, mit seinen loyalsten Männern, mit Frauen und Kindern. Wo soll er für seine Sippe einen sicheren Ort finden? Jacob Schäffer, der Oberamtmann von Sulz, ist besessen von einer Mission: Räubern, Jaunern und Zigeunern das Handwerk zu legen. Nach einem Ehrenmord ist er Hannikel endlich auf der Spur – in Chur, in Graubünden, wurde er gesichtet. Wilhelm Grau, Schäffers Schreiber, ist bei der Jagd auf die Hannikel-Bande von Anfang an dabei. Immer schwerer fällt es ihm jedoch, diese Menschen bloß als Verbrecher zu sehen – besonders Dieterle, Hannikels elfjährigen Sohn.

 

Raeuberleben 

Autor: Lukas Hartmann
Verlag: Diogenes
Erschienen: März 2012
ISBN: 978-3-257-06806-1
Seitenzahl: 352 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Lukas Hartmann gibt in seinem Buch einen großartig leisen und subtilen Einblick in das Lebensgefühl und die Lebensbedingungen in Süddeutschland zur Zeit der Französischen Revolution. Anhand mehrerer Schicksale und aus wechselnden Perspektiven wird von der Jagd auf den berüchtigten Räuberhauptmann Hannikel und seine Familie erzählt. Hierbei kommt der ausgestoßene Zigeuner ebenso zu Wort wie der Landesfürst Karl Eugen und der kleine Schreiber Grau, der die Jagd auf den Dieb und Mörder schreibend zu protokollieren hat. Somit erhalten Leser und Leserin einen Panoramablick auf Lebensumstände und Denkweisen dieser bewegten Zeit. Ganz nebenbei erfährt man, dass die Folter bereits als Zugeständnis an die Würde des Menschen der vorherigen Erlaubnis des Fürsten bedarf, dass die Umstände in den Waisenhäusern und Gefängnissen katastrophal waren, dass es aber schon Regungen der Humanität, selbst bei den Machthabenden gab. Und man erfährt auch, dass die Umsetzung dieser Bestrebungen oft an den allermenschlichsten Regungen scheitern. Das hat mich beim Lesen sehr berührt, obwohl das Buch gar nicht offensichtlich auf Emotionen zielt.

Der Plot ist eigentlich einfach: Hannikel hat mit seinem halbwüchsigen Sohn Dieterle und einigen Kumpanen einen „Verräter“ umgebracht, also jemanden, der versuchte sesshaft zu werden und einem der Zigeuner die Frau ausgespannt hat. Diesen Mann quälen die „Jauner“ zu Tode, deswegen und wegen zahlreicher anderer Vergehen werden sie gejagt, schon seit Jahren. Treibende Kraft der Verfolgung ist Jakob Schäffer, ein Amtsmann, der unbedingt die Lorbeeren für die Ergreifung der Zigeuner und vor allem Hannikels einstreichen will. Schäffers rechte Hand ist der traurige Schreiber Grau, der Frau und Kind verloren hat und seine Einsamkeit mit der Insektenkunde zu vertreiben sucht. Ihm ist die Besessenheit Schäffers zuwider, er hat Mitleid mit den Zigeunern und vor allem mit Dieterle. Doch er kann nicht verhindern, dass die Schuldigen verhaftet und gerichtet werden.

Das Buch beruht auf wahren Begebenheiten, Hannikel, Schäffer und Grau gab es wirklich - hier kann man eine Liste der verwendeten Quellen einsehen.


Stil und Sprache
Den größten Teil des Buches erzählt Hartmann aus der Perspektive des Schreibers Grau. Der begeisterte Insektenforscher korrespondiert mit einer Koryphäe dieses Gebietes, der sein Ansprechpartner für noch nicht kategorisierte Exemplare ist. Doch teilt Grau nicht nur seine wissenschaftlichen Entdeckungen mit, sondern er vertraut sich dem Kieler Forscher an, erzählt von seiner Einsamkeit und immer wieder von der Jagd auf Hannikel. Hartmann wechselt aber auch in die personale Perspektive, wenn er Grau sprechen lässt. Auch der Herrscher des Landes, Karl Eugen, der junge Dieterle und der Zigeuner Hannikel bestreiten Teile des Buches. Dabei springt Hartmann immer wieder in der Zeit, vieles wird rückblickend erzählt. Da aber meist, zumindest bei den Briefen, Jahreszahlen angegeben sind, kommt man nicht durcheinander.

Man merkt an der Sprache, dass der Autor Schweizer Muttersprachler ist, auch ist die Sprache teilweise etwas antiquiert, der Historie angepasst. Ich fand das zu Anfang etwas sperrig und es hat ein wenig Distanz zu den Personen geschaffen, aber man gewöhnt sich daran und es passt zu der eigenen Stimmung des Stoffs.

Ich habe zunächst nicht sehr viel von dem Buch erwartet, dann habe ich aber immer wieder an die Figuren gedacht und ihr (Er-)Leben hat mich doch beschäftigt. Spannend ist, wie sich die Figuren verhalten werden, wie sie all das erleben, nicht so sehr die Handlung. Wir wissen von vornherein: Hannikel wird gefasst, es gibt keine plötzliche Rettung, nichts wird gut. Trotzdem hofft man und fühlt mit den so verschiedenen Helden.


Figuren
Die Figuren sind durchweg sehr einprägsam charakterisiert, sie sind es, die die Geschichte tragen. Der Schreiber Grau entwickelt sich im Verlauf des Buches, vom tieftraurigen Witwer wird er zu einer vitalen Person, die menschliche Probleme löst statt Tote zu betrauern. Man lernt ihn als den Prototyp des trockenen, überkorrekten Amtsmannes kennen und nach der Lektüre hat man ihn als tief empfindenden, in seiner eigenen Welt leidenschaftlichen und engagierten Mann lieben gelernt. Dass der Mann Insekten liebt ist ein schillerndes Detail. Hartmann gibt all seinen Figuren Leben. Auch Hannikel, den Mörder, den Streuner lernen wir von seiner zarten Seite kennen als wir mit ihm durch Schnee und Eis fliehen, wenn wir seine Liebe zu seiner Käther mitfühlen und wenn wir dabei sind, wenn er aufgibt, wie er kapitulieren und sich in Haft begeben muss.

Man kann die Distanz nicht halten zu diesen Figuren, selbst dem fetten Fürsten, der die Tiere für seine Jagden zusammentreiben lässt und trotzig seine Augen vor dem Elend der Menschen verschließt, weil er nicht sehen will, kommt man nahe – vielleicht näher als man selbst es möchte – wenn man sieht, wie er um die Liebe seiner Frau fleht, wie große Angst er hat, ihr nicht zu genügen, weil er dick und grausam ist.

Es fällt leicht, das Handeln jeder einzelnen Figur aus ihrer Geschichte heraus zu verstehen. Weniger brutal – so sind die Menschen halt – wird es nicht.


Aufmachung des Buches
Das Buch ist gebunden, hat einen Schutzumschlag und ist wie für Diogenes üblich schön weit gesetzt. Diogenes-Titel sind immer auch für Menschen geeignet, die sonst schon Probleme haben mit engem Satz und kleiner Schrift. Das Cover spricht mich nicht an, aber man kann ja den Schutzumschlag entfernen solange man liest.


Fazit
Das Buch ist zu empfehlen, wenn jemand ein Faible für den ungewöhnlichen historischen Roman hat. Es handelt sich um ein emotionales Sittengemälde, das einen auf sprachlich hohem Niveau unterhält und auch weiterbildet. Ein trauriges, aber schönes Buch, das vor allem durch seine ungewöhnlichen Charaktere besticht und durch sie emotionale Tiefe erhält. Ich würde nach der Lektüre von „Räuberleben“ auf jeden Fall gern mehr von Lukas Hartmann lesen.


alt


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