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Kategorie: Historische Krimis

Ein kleines Dorf im Bayerischen Wald, 1944: Schwanger kehrt die junge Afra zurück in die Enge ihres Elternhauses, das sie Jahre zuvor verlassen hat. Als Albert geboren wird, nehmen die Auseinandersetzungen mit dem strenggläubigen Vater zu, dem das Kind im Wege ist. Dann eines Tages ist Afra tot, blutüberströmt liegt sie neben ihrem schwerverletzten Sohn in der karg eingerichteten Wohnstube … Einmal mehr hat Andrea Maria Schenkel einen historischen Mordfall in einen atemberaubend spannenden Krimi verwandelt.

 

Finsterau 

Autor: Andrea Maria Schenkel
Verlag: Hoffmann und Campe
Erschienen: 5. März 2012
ISBN: 978-3455403817
Seitenzahl: 125 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Die Kurzbeschreibung fasst im Grunde das Wesentliche des Inhaltes zusammen. Schon mit ihrem Debütroman „Tannöd“ hat die Autorin viele Preise gewonnen und das hohe Niveau des Schreibens hat sie auch in diesem, ihren 4. Roman, beibehalten. Als spannender Krimi wird das Buch vom Verlag bezeichnet und im Grunde genommen ist dies auch einer. Allerdings darf man keinen „normalen“ Krimi erwarten, denn Andrea Maria Schenkel ist mit diesem Buch (wieder) auf den Spuren der Vergangenheit und hat eine reale Geschichte in dem ihr ganz eigenen Stil wiedergegeben.


Stil und Sprache
Hermann Müller – ein Name prangt über dem ersten Kapitel und noch einige Namen werden mit weiteren Kapiteln folgen. Schon nach den ersten, wenigen Sätzen befindet man sich mitten in der Schankstube, in der die erste Szene spielt. „Die erste Szene“, diese Formulierung ist passend, denn schnell wähnt man sich in einem Theaterstück, dessen Atmosphäre einen aber zu erdrücken scheint. Die Autorin beherrscht ihr Metier perfekt; mit nur wenigen, aber dennoch stets den Kern des Wesentlichen treffenden Worten umreißt sie mit kargen, glatten und auch sehr nüchtern wirkenden Sätzen das Geschehen. Schonungslos direkt zeichnet sie die Welt der einfachen Leute nach dem 2. Weltkrieg, gibt Einblicke in das hoffnungslose (Über)Leben der Menschen, die noch schwer traumatisiert von den unheilvollen Jahres des Krieges sind, und es nun irgendwie schaffen müssen, ihr Leben fortzuführen. Im Zentrum steht die junge Afra, die schwanger in ihr Elternhaus zurückkommt. Der Vater, der nicht weiß, wie er die Mäuler seiner Familie stopfen soll, lässt den Unwillen an seiner Tochter aus. Als es eines Tages zu dem tragischen Mord kommt, ist schnell klar, wer der Täter ist.

Die Autorin reduziert die Erzählung auf das Wesentlichste und hält in knappen, kurzen Kapiteln aus einer jeweils anderen Perspektive der Figuren das damalige Geschehen fest. Durch diesen ständigen Sichtwechsel dreht sich für den Leser das schlimme Ereignis immer mehr, und war zu Beginn alles klar, so beginnt man langsam zu zweifeln, ob die so eifrig ans Werk gegangenen Ermittler damals wirklich alle Eventualitäten berücksichtigt haben. Obwohl so minimalistisch erzählt, ist Spannung gegeben und man ertappt sich dabei, wie bei einem selbst die Gedanken kreisen, wie denn der grausige Mord nun abgelaufen ist.


Figuren
Die Figuren lernt man in einzelnen Kapiteln kennen (die auch mit deren Namen betitelt sind), erfährt aus ihrer Sicht den Verlauf der Dinge und bekommt, trotz der extrem reduzierten Erzählweise, einen tiefen Einblick in das seelische Leben der einzelnen Figuren. Obwohl Afra im Zentrum der Geschichte steht, erfährt man von ihrer Seelenwelt relativ wenig. Umso mehr hat die Autorin ihr Augenmerk auf die vielen männlichen Figuren gelegt, von denen Afra umgeben war.

Schenkel stößt den Leser nur kurz an, zeigt ihm den Weg, den er aber selbst beschreiten muss, ohne viel Hilfe erwarten zu dürfen. Der Leser ist selbst gefordert sich ein Bild der Szenerie zu machen. Polizisten berichten nach 18 Jahren des Mordes noch einmal, wie sie selbst alles erlebt haben, warum welche Maßnahmen ergriffen wurden und warum es eigentlich von Beginn an klar war, wer der Mörder ist, der noch dazu voll geständig war.
Es sind doch einige Leute in den Fall verwickelt und versucht der eine sein Handeln vor sich selbst zu rechtfertigen und zu erklären, weiß der andere, dass er damals vieles - teils aus Ignoranz, teils aus Unerfahrenheit - außer Acht gelassen hat. Schenkel hat die Gabe, ihren Lesern mit wenigen Worten die Empfindungen der Figuren zu umreißen, ohne diese in irgendeiner Weise zu beschreiben oder zu benennen. Alleine das Verhalten und vereinzelte Gedankengänge der Darsteller sind so intensiv gehalten, dass eine separate Charakterisierung nicht mehr notwendig ist.


Aufmachung des Buches
Ein schönes gebundenes Buch, welches auch in der Aufmachung vollends die Stimmung des Inhaltes widerspiegelt. Ist schon der kartonierte Umschlag in sattem Grau gehalten, so dominiert am Hochglanzschutzumschlag ein tiefes Schwarz, auf dem sich lediglich eine sehr einfache, alte Holztür ausmachen lässt. Diese schon vom vielen Gebrauch gezeichnete Tür kann man auch als Metapher der Geschichte sehen, in der es letztendlich auch darum geht, nicht herauszukönnen aus der Welt, in die man geboren wurde.
Lediglich 125 Seiten umfasst das schmale, aber sehr eindrucksvolle Buch. Einziges Manko ist, dass es von der Autorin weder eine Anmerkung noch ein Nachwort gibt. Allzu interessant wäre es gewesen zu erfahren, weshalb sie sich gerade diese Geschichte ausgesucht hat, wie viel Fiktion und wie viel Wahrheit enthalten ist und wie sich die Recherche gestaltet hat.


Fazit
Wenn man keinen Krimi auf 08/15 Basis erwartet und bereit ist, sich auf eine ungewöhnliche, aber äußerst gelungene Erzählweise von hohem Niveau einzulassen, wird einem mit diesem Bücherl ein literarischer Leckerbissen serviert. Sprachstil, Figuren und die dichte Atmosphäre bleiben einem nachhaltig im Gedächtnis haften.


4 Sterne


Hinweise
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