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Annie Leibovitz, gefeierte Photographin und Bestsellerautorin, legt ein Buch vor, das entfernt an die derzeit im Buchhandel so erfolgreichen Pilgerreisen nach Santiago de Compostela erinnern mag. In der Tat hat Annie Leibovitz mit ihrer Kamera und – das ist neu – auch mit normalem Notizblock und Schreibgerät Kultorte ihrer persönlichen spirituellen Obsessionen aufgesucht und ihre Erinnerungen in ein Buch gegossen, das nicht nur als Bildband, sondern auch als Lesebuch daherkommt. Ihre Wahl ist verständlicherweise angelsächsisch-amerikanisch zentriert. Aber der Horizont ihrer spirituellen Reise ist weit gefasst: von geographischen Kultorten, wie etwa den Niagarafällen, führt uns Annie Leibovitz zu Kultorten der Literatur, der Malerei, der Popkultur und der intellektuellen und politischen Geschichte. Von Charles Darwin über Sigmund Freud zu Elvis Presley und Abraham Lincoln reicht der Radius ihrer Pilgerreisen, an denen sie uns in Wort und Bild teilhaben lässt. Ein Buch zum Sehen, Lesen und Staunen.

 

Pilgrimage 

Originaltitel: Pilgrimage
Autor: Annie Leibovitz
Übersetzer: Ursula Wulfekamp
Fotograf: Annie Leibovitz
Verlag: Schirmer/Mosel
Erschienen: November 2011
ISBN: 978-3-8296-0552-6
Seitenzahl: 246 Seiten


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Bücher über Pilgerreisen boomen nun schon seit längerem und überschwemmen geradezu den Buchmarkt. Also denkt man automatisch bei jeder weiteren Neuerscheinung: bitte nicht noch eins von der Sorte! Doch Annie Leibovitz‘ Bildband kommt ein besonderer Stellenwert zu und sollte deshalb nicht außer Acht gelassen werden. „Pilgerreisen zu Kulturorten“ wäre der treffendere Titelzusatz gewesen, denn besucht wurden Wohn- und Wirkungsstätten bedeutender, hauptsächlich nordamerikanischer Künstler (Dichter, Schriftsteller, Bildhauer, Architekten, Fotografen, Maler, Sänger). Dabei kam für die Autorin und Fotografin oft eins zum anderen, völlig ungeplant. So weckte beispielsweise der Besuch des ‚Lincoln Memorial‘ näheres Interesse an der farbigen Sängerin Marian Anderson, die dort 1939 ein Konzert unter freiem Himmel gab, oder dem Bildhauer Daniel Chester French, der die sitzende Lincoln Statue fürs Memorial schuf. Ausnahmen bilden höchstens die Niagarafälle, mit denen alles begann und wo der Grundstock zu diesem Buch gelegt wurde, das Yosemite Tal und der Yellowstone Nationalpark.

Annie Leibovitz begab sich mit großer Sorgfalt auf Spurensuche. Ihre Fotografien zeugen von längst Vergangenem – von verlassenen, einst mit Leben erfüllten Orten, genauso von Gegenständen, die ihren Besitzern lieb und teuer waren, nun aber dem erbarmungslosen Zahn der Zeit ausgesetzt sind, auch wenn das wertvolle Kulturgut meistens in Museen oder an geschützten, unzugänglichen Orten verwahrt wird. Unabhängig davon, ob die Bilder im Freien oder in kleinen, dunklen und muffigen Kammern gemacht wurden, schimmern sie alle gleich in gedämpftem, diffusem Licht. Bei vielen Aufnahmen musste ich regelrecht verweilen und über die grandiose Licht- und Schattenwirkung staunen.

Ganzseitige Text- und Bildseiten wechseln sich in dem hochwertigen Fotoband laufend ab. Während die Bildseiten unbeeinträchtigt von Begleittext sind, um das Auge nicht abzulenken, wurden in den Textteil zusätzlich noch Fotos von kleinem Format locker eingebettet. Ich fand es unheimlich interessant und lehrreich, Annie Leibovitz‘ Ausführungen zu folgen, die in Zusammenarbeit mit Sharon DeLano entstanden, verschmelzen doch ihre persönlichen Eindrücke und Erlebnisse nahtlos mit historischem Hintergrundwissen; zudem berichtet sie über Menschen, die mir bis dato kein Begriff waren. Ein Haken, der meinen Lesegenuss deutlich schmälerte, darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, denn die Fotostrecken eilen dem Text weit voraus, so dass eine Synchronisation leider nur am Anfang und am Schluss gegeben ist.

Abgesehen von Sigmund Freud und ein paar vereinzelten Engländern, widmet sich Annie Leibovitz in ihrem Buch hauptsächlich Amerikanern, weshalb es dieser Bildband in Deutschland schwer haben wird, eine große Käuferschar anzusprechen. Ich selbst hatte mir aufgrund des irreführenden Titels auch etwas ganz anderes, Globaleres vorgestellt.


Aufmachung des Buches
Der Bildband ist in grobes, helles Leinen gebunden, was ihm einen sehr edlen Anstrich verpasst. Auf dem vorderen Buchdeckel wurde der Titel „Pilgrimage“ hinein gestanzt. Der Seitenteil besteht aus einem außergewöhnlich dicken, mattglänzenden Papier, das auch bei oftmaligem Durchblättern nicht knittern wird. Das Vorwort hat Historikerin Doris Kearns Goodwin geschrieben. Der Anhang besteht aus einer Chronologie aller Persönlichkeiten dieses Buches und einer Bibliografie sämtlicher Orte.

Der Schutzumschlag zeigt die Niagara Horseshoe Falls auf kanadischer Seite, von einer ganz bestimmten Stelle aus fotografiert, wo man den Eindruck hat, dem leicht schäumenden Wasser zum Greifen nah zu sein, so dass einem schwindlig wird. Ich selbst stand auch schon dort, seitdem bin ich der besonderen Faszination dieser Wasserfälle hoffnungslos erlegen. Autoren- und Titelnahmen sind auf eine separate helle Banderole gedruckt, die sich um den Schutzumschlag lose herum legt.


Fazit
Annie Leibovitz, eine der bekanntesten Fotografinnen der letzten 40 Jahre, hat sich mit Kamera und Notizblock ausgerüstet auf Spurensuche nach bedeutenden Persönlichkeiten (Schriftsteller, Sänger, Präsidenten, Wissenschaftler, Maler etc.) ihrer Heimat begeben. Herausgekommen ist ein durch und durch amerikanisches Werk, das in Deutschland nur schwerlich Interesse wecken wird, es sei denn man ist anglophiler Kulturfetischist oder ausgesprochener Annie Leibovitz Fan.


3 Sterne


Hinweise
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