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»Gestern Nacht ist etwas mit dir geschehen. Etwas hat sich verändert. Deine Träume haben sich verändert.« Ich nickte, zu verwirrt, um mich über das kleine selbstgefällige Lächeln zu ärgern, das über Marians Gesicht huschte, bevor er weitersprach. »Hast du dich nicht schon mal gefragt, was mit dem Bewusstsein der Menschen geschieht, wenn sie schlafen?«, fragte er.

Als wäre Floras Leben tagsüber nicht chaotisch genug, wird sie neuerdings auch noch um ihren wohlverdienten Schlaf gebracht: Nacht für Nacht besucht sie Eisenheim, die rätselhafte Stadt der Träumenden. Aber statt sich in aller Ruhe an diese Doppelbelastung zu gewöhnen und – vor allem – herauszufinden, ob der nervtötende Marian nicht auch seine guten Seiten hat, muss Flora dringend ein paar Dinge klären: Denn jemand hat den Schicksalsstein von Eisenheim gestohlen und allem Anschein nach war es – Flora.

 

Stadt aus Trug und Schatten 

Autor: Mechthild Gläser
Verlag: Loewe
Erschienen: 16. Januar 2012
ISBN: 978-3-7855-7402-7
Seitenzahl: 416 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Als Flora eines Tages im Deutschunterricht einschläft, ist das für sie schon seltsam, aber erst recht merkwürdig ist, dass sie dabei sogar träumt, wo sie sonst immer einen traumlosen Schlaf hat. Was sie allerdings geträumt hat, irritiert sie zusätzlich, fand sie sich doch in einer Art ‚Frankenstein-Labor‘ wieder. Die Sache wird noch kurioser, als sie auf dem Heimweg ständig Schatten sieht, die sie verfolgen und von einem Tag auf den anderen ein finnischer Austauschschüler namens Marian bei ihrem Vater, ihrer Haushälterin Christabel und ihr einzieht. Und das, obwohl ihr Vater sonst keinerlei Besuch erlaubt und nicht einmal Floras beste Freundin Wiebke jemals die Wohnung betreten durfte. Als sie nach diesem mehr als ungewöhnlichen Tag einschläft, gerät sie in eine Schattenwelt, in der ungeahnte Gefahren auf sie warten … und auch Marian trifft sie dort wieder!

Was diese Traumwelt, dieses Schattenreich, in dem Flora sich von da an zu bewegen lernt, ausmacht, ist zuerst einmal die ewige Dunkelheit und die Farblosigkeit, alles erscheint dort schwarzweiß. Ebenso bedeutsam ist, dass nur wenige Menschen so wie Flora in der Lage sind, die Geschehnisse ihrer Seele im Schlaf bewusst mitzuerleben. Sie sind ‚erwacht‘, sind die wandernden Seelen, und leben ziemlich gut, wohingegen die anderen Menschen, die Schlafenden, nichts von der Schattenwelt mitbekommen und in Fabriken schuften müssen, um aus der ‚Dunklen Materie‘ Energie zu gewinnen. Nicht alle Wandernden sind jedoch mit diesen Zuständen einverstanden und verschiedene Akteure versuchen, ihre jeweiligen Ziele umzusetzen. Dazu benötigen sie den weißen Löwen, einen Stein, den Floras schlafende Seele gestohlen und versteckt hatte. Nun, als Wandernde, erinnert sie sich jedoch nicht mehr daran und weiß weder, was es mit dem Stein auf sich hat, noch, wem sie wirklich trauen kann …

Der Autorin gelingt es, eine interessante Welt darzustellen, die vielleicht noch einen Tick ausgefallener hätte sein dürfen. Die Figuren handeln recht nachvollziehbar, doch die Geschehnisse sind stellenweise etwas vorhersehbar. Trotzdem bietet Stadt aus Trug und Schatten eine kurzweilige Lektüre und der Titel passt gut, muss Flora doch versuchen, Trug und Schatten um sich herum zu lichten. Etwas Unwohlsein verursacht aber die Tatsache, dass Flora im Verlauf der Handlung zu einer drastischen Maßnahme greifen muss, um sich zu verteidigen, und als ihr die Ausmaße jener Tat bewusst werden, erschüttert sie dies zwar, aber das war‘s dann auch.


Stil und Sprache
Stadt aus Trug und Schatten
wird im Präteritum und in der Ich-Form aus der Perspektive Floras erzählt und manchmal werden Kommentare zum zukünftigem Geschehen gegeben: „Wir winkten und sahen dem Zug nach, ohne zu ahnen, was uns unmittelbar bevorstand.“ (S. 151). Dass die Figurenbeschreibungen durch Floras Sicht zugleich mit Wertungen versehen sind, verwundert daher nicht und der relativ einfache Schreibstil und umgangssprachliche Formulierungen passen ebenfalls gut dazu. Der eiserne Kanzler, der schon längere Zeit in Eisenheim lebt, wird dagegen entsprechend seines Alters mit einer etwas antiquiert anmutenden Sprache bedacht.

Während die Handlung in der realen Welt auf Essen und das Ruhrgebiet beschränkt ist, stellt die Schattenwelt eine Mischung aus verschiedenen Metropolen der Welt dar. So begegnen dem Leser Eifelturm, Sydney Opera, Big Ben, Notre-Dame usw. Die Stadt, die die von einem ‚Nichts‘ begrenzte Schattenwelt ausmacht, heißt Eisenheim und stellt mit ihrem Namen sowie der Tatsache, dass es Minen und ein großes Industriegebiet mit rauchenden Schloten gibt, wiederum einen Bezug zum Ruhrgebiet her. Interessant sind zudem die Erfindungen, die zum Leben in Eisenheim dazugehören, beispielsweise Zeppeline, die fliegenden, ballgroßen ‚Heliometer‘, die aus Magma bestehen, eine Art kleine Sonne darstellen und dem jeweiligen Besitzer folgen. Oder der ‚Materienkiesel‘, ein kleiner Stein, dessen Maserung Worte bildet und mit dem sich Amadé, die nicht mehr spricht, verständlich macht. Bemerkenswert ist auch, dass Tiere in Eisenheim ebenfalls vorkommen, jedoch unterscheiden sich im Gegensatz zu den Menschen die Erscheinungen ihrer Seelen von ihrem Aussehen in der realen Welt.

Gläser gelingt es somit, die Schattenwelt lebendig wirken zu lassen, ohne diese zu wenig oder zu ausufernd zu beschreiben. Das schafft sie unter anderem durch die Vergleiche, die sie Flora anstellen lässt, beispielsweise das ‚Frankenstein-Labor‘ vom Anfang oder ein Haus, dass sie mit einen aus einem Rosamunde Pilcher Film vergleicht. Auf diese Art und Weise erzeugt die Autorin auch Humor und allgemein sorgt sie durch Situationskomik dafür, dass das Lesen mitunter zum Lächeln anregt. Angenehm ist außerdem, dass Wiederholungen sich in Grenzen halten, jedoch mit Ausnahme einiger häufig wiederkehrender Figurenbeschreibungen, z.B. Marians gläserne Augen und sein helles Haar oder das Lächeln des eisernen Kanzlers und dessen jugendliches Aussehen. Sehr selten fallen Übergänge im Text etwas rabiat aus und wirken abgehackt, doch zumeist wird der Lesefluss nicht gestört und die Lektüre ist durch viele kleine Wendungen und eine sich zuspitzende Handlung kurzweilig und spannend.


Figuren
Wie bereits erwähnt, geht mit den Figurenbeschreibungen oft eine Wertung einher, da sie aus Floras Sicht geschildert werden. Da wären z.B. Madame Mafalda, die so fett ist, dass ihre Armgelenke den Umfang von kleinen Baumstämmen haben, Marian, der mit grünen Augen und blonden Haaren Floras Herz zum Klopfen bringt, oder Katharina, die aufgrund eines Muttermals über dem rechten Mundwinkel hochnäsig wirkt.
Insgesamt erscheint Flora dadurch ziemlich oberflächlich und es ist ein wenig schwierig, sich mit ihr ‚anzufreunden‘. Das liegt auch daran, dass sie anderen wenig zutraut, so hält sie ihren Vater für nicht in der Lage, ohne ihre Hilfe, z.B. beim Kochen oder Bügeln, zu leben. Der Grund für diese Ansicht ist, dass ihre Mutter die Familie verließ, als sie noch ein Kind war, was bei Flora Narben hinterließ. Anderen zu vertrauen, fällt ihr schwer und um ihrem Vater zu helfen bürdete sie sich viel Hausarbeit auf. Tatsächlich hat die 17-jährige nur zwei wirkliche Freunde, Wiebke und deren Zwillingsbruder Linus, die leider etwas blass bleiben, so wie andere Nebencharaktere (Barnabas, Christabel, Floras Vater) auch. Auf den Hauptfiguren liegt dagegen größeres Augenmerk, sodass diese mehr Tiefe gewinnen und in ihren Handlungen nachvollziehbar sind. Marian verfolgt beispielsweise seine eigenen Ziele, ebenso wie der eiserne Kanzler seine Interessen vertritt, dessen Person besonders heraussticht, geht er doch aufgrund seiner Erfahrungen anders vor als Marian.


Aufmachung des Buches
Stadt aus Trug und Schatten ist als Hardcover mit Schutzumschlag und mit weißem Leseband verlegt. Auf dem ebenfalls weißen Schutzumschlag sind in violetten und rosafarbenen Relieflack der Titel, Autorenname, Ornamente und eine Abbildung Eisenheims zu sehen. Auf dem Rücken sind Titel und Autorin nochmals mit Relieflack verzeichnet und auf der Rückseite des Umschlags ein Auszug aus dem Buch und ein Klappentext abgedruckt, in dem der weiße Löwe als Schicksalsstein bezeichnet wird - was seltsam wirkt, da er sonst nirgendwo mehr so genannt wird. In der Inhaltsangabe, die auf der linken Klappenseite des Schutzumschlages platziert ist, ist denn auch direkt vom weißen Löwen die Rede. Auf der rechten Klappenseite finden sich schließlich noch ein Foto der Autorin sowie ein kurzer Text über diese. Das Hardcover selbst zeigt auf der Front erneut die Abbildung des Schutzumschlags, allerdings in einem etwas kleiner gefassteren Ausschnitt. Auf dem Buchrücken sind analog zum Schutzumschlag Autorin, Titel und Verlag gedruckt, die Buchrückseite hingegen bleibt leer.

Die vom Cover bekannte Abbildung ist auch zu Beginn nochmals zu sehen, ein zweiseitiges Inhaltsverzeichnis befindet sich am Ende des Buches und eine Danksagung, in der die Autorin sich bei Familie, Freunden, Mitwirkenden und den Lesern bedankt, schließt sich dem letzten Kapitel an. Die Schrift ist recht groß gehalten, sodass sich der Text problemlos lesen lässt. Neue Kapitel beginnen auf der jeweils folgenden Seite und stellen Kapitelnummer und -name voran, die stilistisch ähnlich zum Autorennamen auf dem Umschlagcover umrahmt sind. Zudem sind die Kapitelnamen durchgängig in Versalien gesetzt und der erste Buchstabe des Kapiteltextes ist in derselben Schriftart gedruckt.


Fazit
Mit ihrem Debütwerk legt Mechthild Gläser ein kurzweiliges Buch vor, mit dem man sich gut unterhalten kann, auch wenn mitunter einiges vorhersehbar ist und man erst einmal mit der Protagonistin warm werden muss.


3 5 Sterne


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