Am Fuße des Snaefellsgletschers im äußersten Westen Islands versieht Pfarrer Jon Primus sein Amt. Doch seine Art der Seelsorge ist sehr eigen, und was dem Bischof davon zu Ohren kommt, gibt Anlass zur Besorgnis: Der Mann repariere die Kirche nicht, taufe die Kinder nicht und beerdige die Toten nicht. Und was hat es mit dem Sarg auf sich, der oben auf dem Gletscher liegt?
Diese Zustände soll ein junger Theologe untersuchen, der als Vertreter des Bischofs in die abgeschiedene Gemeinde geschickt wird. Keine leichte Aufgabe: Er macht skurrile Bekanntschaften, hört sagenhafte Erzählungen und wird in krude Dispute verwickelt. Und er trifft auf Ua, die verschollen geglaubte Pfarrfrau.
Originaltitel: Kristnihald undir Jökli |
Die Grundidee der Handlung
Ein junger Theologe, der sich selber kaum etwas zutraut, beugt sich dem Wunsch seines Bischofs und fährt an den Snaefellsgletscher. Dort soll er in einer kleinen Pfarrgemeinde nach dem Rechten sehen. Denn Pfarrer John Primus hat sein Gehalt seit 20 Jahren nicht mehr abgeholt und soll auch die Arbeit in der Pfarre vernachlässigen. Der junge Mann, der keine andere Aufgabe hat, als zu protokollieren, was er sieht und hört, gerät in eine höchst sonderbare Umgebung. Er macht Bekanntschaft mit Seelenwandlern und der Pfarrfrau Ua, die unmittelbar nach der Hochzeit verschwunden ist.
Halldór Laxness schafft in diesem Buch eine höchst skurrile Umgebung. Düster und bedrückend nimmt sich die Umgebung aus, die Laxness durch den jungen Theologen beschreiben lässt. Es ist - obwohl mit einzelnen Details über das Leben am Gletscher versehen - keineswegs eine Schilderung der tatsächlichen Lebensumstände. Vielmehr handelt es sich hier um eine bitterböse Parodie auf Menschen, die mit ihrem einfachen Leben kokettieren und auf Weltverbesserer, Esoteriker und andere Vertreter von ungewöhnlichen Lehren. Eine Parodie, die alle Grenzen auslotet. Laxness hat die Protagonisten dazu in jeweils klare Funktionen gesetzt: Pfarrköchin Stössel-Dora backt nur Kuchen und kocht Kaffee, Pfarrer Jon Primus repariert alles mögliche und beschlägt Pferde, hält aber keine Gottesdienste ab und der Vorsteher der kleinen Kirchgemeinde glaubt an die Transzendenz. Auch der unbedarfte Protokollist zeigt kaum menschliche Regungen. Genau hier liegt die Faszination des Ganzen: Die Einseitigkeit der Gestalten wird zu einem düster-anziehenden Gesamtbild.
Darstellung des Hörbuchs
Es scheint, als habe sich Sprecher Peter Jordan zunächst intensiv mit dem Roman von Laxness auseinander gesetzt. Er erzählt - sozusagen als Stimme des protokollierenden Theologen - gleichzeitig lebendig wie er auch die monotone Welt spiegelt, die Laxness in seinem Roman gezeichnet hat. Mit stimmlichen Variationen geht der Sprecher auf die einzelnen Situationen ein und verleiht dadurch einzelnen Szenen Tiefe oder ein gewisses Mass an Lebendigkeit. Seine eindrückliche Art, den Roman wiederzugeben ist nicht nur angenehm - sie ist manchmal höchst mitreißend und dadurch auch belastend. Denn durch seine Erzählweise transportiert Peter Jordan auch die Düsterkeit des Romans. Auf eine musikalische Unterstützung wurde hingegen verzichtet, weder Hintergrundmusik noch Liedpassagen kommen im Hörbuch vor. Dies ist aber angesichts der hervorragenden Lesung durchaus zu verkraften.
Eindrücklich liest schließlich auch Julia Nachtmann das Essay von Susan Sontag, das als Plus mitgeliefert wird. Tatsächlich lohnt es sich, sich das Essay anzuhören und man sollte sich überlegen, ob es nicht als Einstieg ins Hörbuch selber genossen werden sollte. Zwar wird darin die eine oder andere Passage erklärt, doch nimmt es kaum etwas vorweg, was sich nicht aus dem eigentlichen Romantext schnell einmal herauslesen - oder hier heraushören - lässt. Julia Nachtmann liest das Essay unaufgeregt und ohne große Variationen, was angesichts der Ausrichtung des Textes allerdings auch nicht gefordert ist.
Beides zusammen - Roman und Essay - sind sowohl vom Inhalt her als auch von den beiden geübten und hörbar ausgebildeten Stimmen her ein Genuss.
Aufmachung des Hörbuchs
Der Verlag hat sich mit der Aufmachung des Hörbuchs Mühe gegeben. Ein Aufklapp-Schuber mit passendem Cover beinhaltet die sechs CDs - auf den ersten fünf findet sich der Roman, auf der - farblich abgesetzten - Zusatz-CD das Essay. Alle relevanten Informationen finden sich in die Innenseite des Aufklapp-Schubers gedruckt, das kleine Begleitheft enthält lediglich noch Hinweise auf andere Hörbücher sowie einen kleinen Exkurs in die Welt der Hörbuch-Macher. Da das Begleitheft dem Schuber nur beigelegt ist und deshalb schnell aus der Verpackung rutscht, war es ein kluger Entscheid, keine Fakten zu "Am Gletscher" darin unterzubringen.
Fazit
Wer Laxness mag, wird mit diesem Hörbuch eine besondere Seite des Autors kennen lernen. Wer zum ersten Mal von ihm etwas hört, wird wohl überrascht sein, mit welchen Gedanken sich der Autor Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bereits beschäftigt hat. Um dieses Hörbuch allerdings in all seinen Besonderheiten genießen zu können, sollte man ein Faible für Skurrilität und die Bereitschaft haben, sich mit einer völlig ungewohnten Denkweise auseinander zu setzen. Zudem verlangt "Am Gletscher" einige Aufmerksamkeit, ist also nicht zur reinen Unterhaltung oder Zerstreuung geeignet.
Hinweise
Dieses Hörbuch kaufen bei: amazon.de