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Wer empfindet beim Liebesakt größere Lust, der Mann oder die Frau? Diese weltbewegende Frage treibt die Götter auf dem Olymp um und ebenso die Sterblichen auf Erden. Der flotte junge Tiresias, als Bettgenosse beliebt bei Mann und Frau, hat natürlich auch eine Meinung zu dem Thema – die ihm allerdings zum Verhängnis wird. Denn manchmal verstehen die Götter gar keinen Spaß.

Eine Komödie mit Tempo und Tiefgang von zwei großen Meistern des Bildromans.

 

Tiresias 

Originaltitel: Tirésias Intégrale
Autor: Serge Le Tendre
Übersetzer: Resel Rebiersch
Illustration: Christian Rossi
Verlag: Schreiber & Leser
Erschienen: Oktober 2011
ISBN: 978-3-941239-72-2
Seitenzahl: 96 Seiten
Altersgruppe: ab 16 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)

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Die Grundidee der Handlung
Dem Gespann Le Tendre & Rossi ist mit diesem Comic eine herrlich leichtfüßige, optisch opulent ausgestattete Komödie über die alten Griechen gelungen, die man in einem Rutsch verputzt und sich am Schluss mehr Seiten wünscht, obwohl es eigentlich keinen Grund zum Beanstanden gäbe, so rund und stimmig, wie sie sich liest. Für mich persönlich eines der besten Comic-Alben des Jahres! Nach der Inhaltsangabe zu urteilen, hätte ich zwar mehr vordergründige Erotik erwartet, allerdings kommt sie nicht zu knapp und erfreulicherweise hat der Plot darüber hinaus - ähnlich wie in Djinn - noch viel mehr zu bieten als Bettlakengewühle.
Die Götter treiben ihren Schabernack mit den Menschen, vermutlich weil sie sonst vor Langeweile nichts mit sich anzufangen wüssten, und so wird Herzensbrecher Tiresias zum Leidtragenden einer ihrer obskuren Scherze, indem Athene ihn in eine Frau verwandelt. Persönliche Rache, Freundschaft, Liebesleid und –glück, jede Menge Kriegsgetümmel und noch einiges mehr ist hier auf knapp 100 Seiten untergebracht; und zum Schluss hält Tiresias, der dank Athenes Launen einschlägige Erfahrungen in der Haut beider Geschlechter sammeln durfte, für Göttervater Zeus und seine Gemahlin Hera eine sehr überraschende, aber einleuchtende Antwort auf die zentrale Frage parat, wer beim Liebesakt eigentlich mehr Lust empfindet, der Mann oder die Frau.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Die üppig ausgestattete Szenerie im Zusammenspiel mit den leuchtenden Farben hatte auf mich eine wahrhaft berauschende Wirkung beim Lesen.

Christian Rossi hält sich zwar im Allgemeinen an die klassischen Motive des Hellenismus und all das, was wir uns gemeinhin unter griechischer Antike vorstellen, dennoch lassen seine Illustrationen an vielen Stellen augenzwinkernd noch jede Menge künstlerische Freiheiten erkennen. Diese lockere, verspielte Interpretation passt meiner Meinung nach sowieso viel besser zum satirischen Plot als eine strenge und exakte Anlehnung an historische Überlieferungen.
Die Szenen wechseln ständig zwischen städtischer bzw. häuslicher Idylle und Kriegsschauplätzen, denn die Thebaner befinden sich mit den „Schweinehunden“ aus Orchomenos im Dauerclinch. Turbulent und heiter, oftmals auch verbunden mit großen Menschenansammlungen, geht es dabei allerorts zu, mit dem einzigen Unterschied, dass zu Hause in Theben etwas weniger Blut fließt. Allzu zimperlich sollte man in der Hinsicht nicht sein, aber richtig bluttriefend, wie man es von anderen Comics kennt, sind Rossis Bilder nicht.
Was mich bei den Erotik- und Nacktdarstellungen überraschte war die Tatsache, dass die Herren der Schöpfung hier viel öfter in ihrer vollen Mannespracht gezeigt werden als Frau. Hut ab vor Rossi, in dem Punkt mal ausgleichende Gerechtigkeit walten zu lassen. Wie bei der Gewalt, sind seine Zeichnungen sehr deutlich; ins Gesamtbild der Handlung integriert, erwecken sie allerdings nie den Anschein von Pornografie.

In kräftig leuchtenden Farben wie Gelb, Orange oder Gelbgrün begegnen einem die Bilder bei sonnendurchflutetem Tageslicht, nachts beherrschen gedeckte Grau- und Violett-Töne die Szenerie. Die Gelbstichigkeit der Tages-Kolorierung mag vielleicht gewöhnungsbedürftig sein, doch fand ich sie auch nicht unpassend gewählt für ein Sujet unter sengender mediterraner Sonne. Einhellig dürften dagegen die Meinungen über Rossis akribisch ausgearbeitete Licht- und Schattenreflexe ausfallen, wenn sich das Geschehen im Freien unter Bäumen abspielt. Ähnlich penibel habe ich derlei Szenen bisher nur bei Loisel & Tripp in Das Nest gesehen.

Bei den Textdarstellungen gibt es hier eine kleine Abweichung vom Comic-Standard, weil außer den üblichen Sprechblasen auch Stimmen aus dem Off vorkommen, wenn sich Göttin Athene zu Wort meldet. In dem Fall ist der Text in „zittrigen“ Großbuchstaben unterschiedlicher Größe (je nach Lautstärke und Intensität) direkt in die Zeichnungen gedruckt. Soundwords begegnen einem dafür so gut wie keine.


Aufmachung des Comics
Genauso opulent wie die erzählerische und grafische Ausstattung des Comics ist auch seine gesamte Aufmachung. Die Buchdeckel in edel wirkender Kombination aus matter und glänzender Oberfläche sehen unverwüstlich aus, genauso tragen Bindung und Papierqualität (sowohl im Innenteil als auch beim teils farbigen Skizzenanhang) zu einem überdurchschnittlich hohen Maßstab in der Verarbeitung bei.

Das vordere Cover zeigt Tiresias in Frauengestalt. Mit ihrem anmutigen, perfekt geformten Körper ist es wahrlich kein Wunder, dass alle Männer verrückt nach ihr sind und ihr Leben für sie opfern würden. Die dafür gewählten Erdfarben wirken sehr harmonisch und weich. Die Rückseite des Buches zeigt das klassische Motiv eines Kriegsstreitwagens, dem zwei edle Pferde vorgespannt sind, wie man es z.B. von antiken griechischen Gefäßen und Vasen kennt.


Fazit
Erotische Schelmengeschichte aus dem antiken Griechenland in berauschender Optik. Lange habe ich mich nicht mehr so köstlich amüsiert. Eines der originellsten und gelungensten Comic-Alben des Jahres!


5 Sterne


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