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Kategorie: Interviews mit Autoren

Tad Williams klein


Hallo Herr Williams! Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview nehmen.

Sie haben eine sehr bewegte Vergangenheit hinter sich: Studieren kam für Sie nicht in Frage, da Sie lieber früh auf eigenen Füßen stehen wollten. Daher hielten Sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, spielten in einer Rockband und moderierten sogar eine Talkshow. Wie haben Sie dabei Ihren Weg zum Schreiben gefunden?

Ich habe "nebenher" immer kreative Dinge getan - das heißt, ich habe gearbeitet, um die Miete, Essen und so weiter zu bezahlen, während ich mich in meiner Freizeit der Musik, meiner Kunst und anderen Dingen, die ich liebte, gewidmet habe. Aber ich war mehr interessiert an Dingen, die ich selbst zu ungewöhnlichen Zeiten machen konnte, und so entschied ich, mich am Schreiben zu versuchen. Das stellte sich als eine glückliche Entscheidung heraus, denke ich.


Was macht für Sie den Reiz am Schreiben aus? Ist es der Schreibprozess selbst oder vielmehr das Gott-spielen, das Schaffen eigener Welten, Figuren, Religionen ...

Beides. Was ich am liebsten mag ist die Möglichkeit, Dinge zu entwerfen, die vorher nicht existierten, und diese real genug erscheinen zu lassen, dass sie eine Bedeutung für die Leser haben - Figuren, Schauplätze, Ideen. In meinem Herzen bin ich noch ein Kind, das mit Plastiksoldaten spielt und Comichelden zeichnet - ich liebe es einfach, ein großes, komplexes Szenario zu entwickeln und alles (hoffe ich) für den Leser befriedigend darzustellen.


Die ersten Bücher, die ich von Ihnen gelesen habe, waren die vier Bände von "Das Geheimnis der Großen Schwerter" - eine fantastische Geschichte! Mit "Shadowmarch" sind Sie wieder in eine ähnliche Richtung gegangen, nachdem "Otherland" doch etwas ganz anderes war. Wollten Sie zurück zu Ihren Wurzeln?

Es war komplizierter als das. Ich habe "Shadowmarch" nicht als eine Art Zurück-zu-epischen-Fantasy-Romanen begonnen, sondern als ein völlig anderes Projekt: ein Versuch, eine Romanreihe im Internet zu schreiben. Die Umstände zwangen mich, das Ganze in ein Buch aus Papier umzuwandeln, aber das war nicht die ursprüngliche Idee. Ich wollte eigentlich eigenständige Geschichten schreiben (wie ich es bei "Der Blumenkrieg" getan habe), während ich "Shadowmarch" online schrieb.


Eine Frage, die mich brennend interessiert: Besteht die Chance, dass Sie noch einmal nach "Ostern Ard" zurück kehren, sodass es ein Wiedersehen mit Binabik, Simon und all den anderen Figuren gibt?

Ich habe vor, eines Tages eine Art Rückkehr nach Osten Ard zu unternehmen, und meine Verleger haben geduldig jahrelang gewartet, aber es wird wahrscheinlich nicht so unkompliziert sein wie eine andere epische Fantasy-Trilogie oder so etwas. Ich habe darüber gesprochen, eine Sammlung verknüpfter Geschichten mit einem wirklich interessanten Rahmen zu schreiben, und das ist es, was ich vermutlich tun werde, zumindest beim ersten Mal.


Ihre Buchserien umfassen mehrere tausend Seiten und Sie verbringen sicherlich Jahre mit den Figuren und in der erschaffenen Welt. Fällt der Abschied - wie zuletzt bei "Shadowheart" -, schwer, wenn Sie nach all der Zeit das letzte Wort unter das Manuskript setzen?

Nicht für mich, weil ich in der Zeit, in der ich eine Geschichte beende, normalerweise bereits die nächste plane, und egal, an was ich gerade in meinem Kopf arbeite - das ist immer das, was mich am meisten interessiert. Ich glaube nicht, dass ich meine Figuren auf die Art vermisse, wie es die Leser tun, weil ich bereits mit neuen Figuren arbeite. Außerdem bin ich, wenn ich fühle, dass ihre Geschichte "zu Ende" ist - zumindest vorerst - ziemlich glücklich, sie gehen zu lassen.


Sie schreiben vor allem Fantasy- und Science-Fiction-Romane, mit den "Drachen der Tinkerfarm" auch für eine jüngere Zielgruppe. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, einen Abstecher in ein ganz anderes Genre - beispielsweise Thriller - zu wagen?

Oh, natürlich, aber das Problem ist, dass man in einer Karrierelaufbahn nur einige wenige Male eine völlig neue Leserschaft erschließen kann. Es gibt viele andere gute Schriftsteller, die bereits gute Thriller entwerfen. Aber ich denke, dass meine nächste Buchreihe (welche wir entweder die "Bobby Dollar Bücher" oder die „Angel Doloriel Bücher" nennen werden) einen starken Thriller-Anteil hat.


Ist es für einen Fantasy-Autor hart unter dem Schatten Tolkiens zu stehen, der als Vater dieses Genres gilt?

Nicht für mich, weil ich seine Arbeit liebe, aber niemals daran gedacht habe, dass ich versuchen würde, ihn zu imitieren. Zunächst einmal schreibe ich mehr Arten von Fiktion als Tolkien es getan hat, außerdem habe ich nie so viel Zeit in einer einzigen Welt verbracht, wie er in Mittelerde. Zudem sind wir philosophisch sehr verschieden, daher habe ich nie angezweifelt, dass da Platz für einen kleinen Tad Williams unter dem großen Schatten Tolkiens ist.


Sie arbeiten zudem als Comic-Autor. Was macht für Sie den Reiz an dieser Art der Story-Entwicklung aus?

Ich liebe Comics, ich liebe es, mit anderer Leute Spielzeug zu spielen (damit meine ich anderer Leute Schöpfungen und Figuren) und ich bewundere die Kürze, die mit ungebremster Vorstellungskraft gekoppelt wird, und die man in den besten Comics findet. Außerdem stimme ich mit Scott McCloud überein, dass Worte-mit-Bildern eine eigene Kunstform sind, und ich würde gerne die Zeit haben, diese richtig zu erforschen und versuchen, sie zu meistern. Traurigerweise zeigt mir die ökonomische Realität, dass sie wohl mit großer Sicherheit für immer eine hintangestellte „Amour“ für mich bleiben werden.


Wann haben Sie Ihre Liebe für Comics entdeckt?

Ich weiß nicht mehr, abgesehen davon, dass ich jung war. Ich fing an, die Comics meines Cousins Gary zu lesen, als ich vielleicht sechs oder sieben war, und wurde sehr schnell ein ausgewachsener Marvel-Junkie (wenngleich ich den DC-Stoff ebenfalls mochte). Sie hatten großen Einfluss auf mich und meinen Schreibstil.


Alles in allem scheinen Sie ein viel beschäftigter Mensch zu sein: Romane schreiben, Comics entwerfen, Romane mit Ihrer Frau verfassen, Interviews für Literaturportale beantworten ... Haben Sie eine Möglichkeit gefunden, die Stunden Ihres Tages zu vermehren?

Ich habe das Glück ein Vollzeit-Autor zu sein, was mir mehr Zeit gibt, als den meisten Menschen, aber ich habe die schlechte Angewohnheit, immer "Ja" zu neuen Projekten sagen zu wollen - es gibt so viele Dinge, die ich gerne ausprobieren möchte, und so viele Geschichte, die ich erzählen will. Ich wünsche mir zudem mehr Zeit für Musik, Kunst, und andere Dinge, die ich liebe.


Nun habe ich noch ein paar Fragen zum Schreiben selbst: Haben Sie bestimmte Rituale, die Sie einhalten, beispielsweise eine feste Schreibzeit oder eine festgelegte Seitenzahl pro Tag?

Generell denke ich die erste Tageshälfte nach und schreibe dann nachmittags. Weil ich zuerst nachdenke, ist meine Schreibzeit normalerweise sehr konzentriert. Ich haue mehr oder weniger die ganze Zeit, die ich sitze, in die Tasten, und haue ab, sobald ich zwischen fünf und zehn Seiten geschrieben habe.


Ihre Romane sind stets sehr umfangreich, die Welten überaus detailliert ausgearbeitet. Planen Sie Ihre Romane erst bis ins kleinste Detail, bevor Sie mit dem Schreiben beginnen?

Ich kann nicht alles planen, weil ich so viele neue Dinge entdecke und so viele neue Ideen habe, während ich eine lange Geschichte schreibe. Aber ich versuche einige Dinge vorauszuplanen, vor allem da ein Mehrteiler genau wie ein Einzelband Anspielungen auf Schlüsselelemente und das Mitschwingen von Symbolen benötigt.


Kürzlich waren Sie in Deutschland auf Lesereise und haben den abschließenden "Shadowmarch"-Band, "Shadowheart" vorgestellt. Wie wichtig ist Ihnen dieser direkte Kontakt mit Ihren Lesern?

Unglaublich wichtig, nicht nur, weil es das direkteste Feedback ist, das ich bekomme, sondern weil ich im Herzen schon immer ein Performer war und es liebe, in einen Raum voller Menschen zu kommen und zu versuchen, diese für einige Stunden zu unterhalten. Aber es ist auch beeindruckend und wundervoll, Menschen zu treffen, die weit entfernt leben, und herauszufinden, dass sie meine Bücher nicht nur lesen, sondern auch über sie nachdenken. Ich glaube, das ist das Beste daran, ein Schriftsteller zu sein.


Als Sie das letzte Mal in Deutschland auf Lesereise waren, haben Sie von Ihren Katzen und der damit einhergehenden Notwendigkeit, im Haus einen Hut zu tragen, erzählt. Auch die Beagles, die Ihre Frau unbedingt haben wollte, fanden Erwähnung. Gibt es Neues von der Haustierfront?

Wir haben mehr Tiere als Nordkorea Militärparaden. Wir haben vier Hunde (Beagle, Pudel, zwei Chihuahuas), zwei Katzen, eine Eidechse, einen Fisch und eine Schildkröte, und wir leben auf einem von verschiedenen Vögeln, Kaninchen, Eichhörnchen, Rotluchsen, Rehen, Waschbären, Schlangen, Eidechsen und nicht zuletzt mindestens einem wilden Truthahn bewohnten Anwesen. Ich leide nicht an einem Mangel an Tieren. Manchmal wünschte ich, es wäre so ...


Worauf dürfen sich Ihre Leser als Nächstes freuen? Woran arbeiten Sie derzeit?

Aktuell arbeite ich am zweiten der "Bobby Dollar Bücher", während ich darauf warte, mich mit meinen Herausgebern über den ersten Band zu unterhalten, "THE DIRTY STREETS OF HEAVEN" (in etwa: „Die dreckigen Straßen des Himmels“). Bobby Dollar ist der menschliche Name eines Engels namens Doloriel, der der Erde als ein kleiner Staatsdiener zugewiesen wurde und sich in einer bizarren Verschwörung im langen Kalten Krieg zwischen Himmel und Hölle verheddert, die schwerwiegender ist, als man ahnt. Zudem wird er von uralten, sumerischen Dämonen gejagt, hängt mit Geistern und Werschweinen herum, und hat eine leidenschaftliche Affäre mit einer hochrangigen Teufelin. Der zweite Band heißt „HAPPY HOUR IN HELL“ (in etwa: „Happy Hour in der Hölle“) und der dritte „SLEEPING LATE ON JUDGMENT DAY“ (in etwa: „Den Jüngsten Tag verschlafen“).


Und nun noch eine letzte Frage: Was bzw. welche Autoren lesen Sie selbst gerne?

Mensch, das ist schwer auf die Schnelle zu beantworten - ich mag so viele Arten von Büchern. Ich gebe Ihnen einen Überblick über das, was derzeit auf meinem Nachttisch liegt:

Eine Menge Graphic Novels.
„Große Erwartungen“ von Charles Dickens.
Ein Buch über die Übersetzung der „King James Bible".
Simon Schaumas Buch über die Französische Revolution.
Nick Hornbys Buch über das Lesen (“Mein Leben als Leser“).
Ein Inspektor Rebus-Roman von Ian Rankin.
Keith Richards Autobiographie „Life“.

Normalerweise habe ich dort auch einige Fantasy- oder SF-Bücher liegen, aber ich habe kürzlich einige beendet (einschließlich eines Scott Bakker-Romans) und noch keine neuen begonnen.


Ich danke Ihnen für das Interview und wünsche Ihnen weiterhin viel Spaß und Erfolg!

Gern geschehen, gleichfalls! „Bitte sehr!"