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Seine große Liebe hat er beim Studium verlassen - Herr Blanc ist ein Held der versäumten Gelegenheiten. Jahrzehnte später schwingt er sich auf zu einer gedanklichen Tour de Force darüber, was ihm das Leben hätte sein können.

Vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Mara-Cassens-Preis für den ersten Roman und dem Förderpreis zum Bremer Literaturpreis.

 

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Autor: Roman Graf
Verlag: dtv
Erschienen: 2011
ISBN: 978-3-423-14028-7
Seitenzahl: 218 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Das Buch handelt von dem schweizer „Otto-Normal-Bürger“ Herr Blanc, der nur für seine Arbeit lebt und sich weiter keine Gedanken über sein Leben macht. Er verbringt es in Einsamkeit, nur durchbrochen durch die zweimal wöchentlich stattfindenden Besuche bei seiner Mutter, die ihn bekocht. Nach dem Tod seiner Mutter heiratet er doch noch, die Witwe Vreni. Es wird eine Ehe ohne Höhen und auch ohne Tiefgang. Vreni liebt immer noch ihren verstorbenen Mann, den sie regelmäßig auf dem Friedhof besucht, und Herr Blanc denkt an Heike, seine Freundin aus Studienzeiten, die - so erkennt er fast am Ende seines Lebensweges angekommen - seine große Liebe ist. Der Zufall will es, dass Herrn Blanc noch eine letzte Begegnung mit Heike möglich ist, wenn auch nur als Besucher ihres Grabes in Polen. Diese Reise wird für Herrn Blanc eine Reise zum Mittelpunkt seines eigenes Herzens.

Die Grundidee dieser Handlung ist von Roman Graf gut umgesetzt. Obwohl die Geschichte an sich nicht spannungsgeladen ist, gelingt es dem Autor, den Leser zu fesseln. Seite um Seiten erfährt man mehr über den Sonderling Herr Blanc, Seite um Seite steht man ihm heimlich mehr bei und entwickelt am Ende eine sonderbare Sympathie für diesen Menschen, den man sonst in die Kategorie „Spießer“ eingeordnet hätte.


Stil und Sprache
Roman Grafs Sprachstil ist für ein Roman-Debüt überraschend ausgereift. Er verwendet gerne lange, verschachtelte Sätze, die an Lesbarkeit allerdings nichts einbüßen. Duch die trockene, beschreibende Sprache gelingt es dem Autor, die verschrobenen Eigenheiten seiner Hauptfigur mit einem Augenzwinkern darzustellen. Dieser Eindruck wird duch die häufige Verwendung der indirekten Rede unterstützt. Überwiegendes Stilelement ist der innere Monolog, in dem Grafs Hauptfigur seine Schrulligkeit ausleben kann und Herr Blancs Gefühlswelt aus eigener Sicht vor dem Leser ausgebreitet wird. Auch die absichtlich eingebauten Wiederholungen dienen Roman Graf dazu, die leicht neurotischen Ansichten von Anton Blanc hervorzuheben und den Leser gleichzeitig für seinen Protagonisten einzunehmen.

Roman Graf gelingt spielend die schwierige Balance zwischen Humor und Ernsthaftigkeit zu halten, was das Buch zu einer amüsanten, nicht aber flachen Geschichte macht. Eine Besonderheit des Romans ist auch die Einteilung in zwei Teile: einem ersten Teil "In dem alles möglich ist" und einem zweiten Teil "In dem alles möglich war", sowie die enormen Zeitsprünge, die sich daraus ergeben.

 
Figuren
Der Roman „Herr Blanc“ lebt eindeutig von seinen Figuren. Die ganze Geschichte dient eigentlich nur dazu, ein überzeugendes Psychogramm dieses sonderbaren Schweizers zu erzählen und vielleicht auch ein wenig, um die vermeintliche Sonderstellung und ausufernde Gründlichkeit der Schweizer auf die Schippe zu nehmen.

Herr Blanc, der schon ab und zu über das eigene Leben sinniert und sich wünscht: „Wäre ich doch nur ein anderer geworden“ (S. 23), ist zu sehr Realist, als dass er in seinem Alter noch an ein anderes Leben glaubt. Daher bleibt ihm nichts anderes übrig, als den großen Sinnzusammenhang seines Lebens auszublenden und über die kleinen Gegebenheiten und Unwägbarkeiten des Lebens zu grübeln. So macht er sich z.B. dafür verantwortlich, den mühsam von seiner Mutter zusammengesparten Konfirmationsanzug nicht ihr zuliebe öfter getragen zu haben. „Herr Blanc brauchte nichts Spektakuläres, er war, das konnte er mit Fug und Recht behaupten, bescheiden. Das Einzige was er sich wünschte, war, dass das Wenige, was er erwartete, ausnahmslos funktionierte.“ (S. 57), so ein kurzer charakterisierender Textauszug. Dieses Dürsten nach einem tadellos funktionierenden Leben ohne störende Unterbrechungen der liebgewonnenen Gewohnheiten und ohne „Ausnahmen“ vom Üblichen führen dazu, dass Anton Blanc im Verhalten zu seiner Frau Vreni leicht tyrannische Züge an den Tag legt. Ganz anders war sein Verhältnis zu Heike. Heike musste nicht wissen, wie man ihn anzufassen hatte, ihr hatte er auch spontane Einfälle und ebensolche Abweichungen von der Gewohnheit zugestanden, die er Vreni vorwirft. Dabei gesteht sich Blanc ein, dass Vreni weder mit Heike noch mit seiner Mutter konkurrieren kann, ja er wirft ihr sogar vor, ihm absichtlich Unannehmlichkeiten zu bereiten z.B. als sie „den Eistee nicht brachte, um ihn gezielt zu ärgern.“ (S. 63). Der so in sein eigenes Leben gepferchte Herr Blanc ist alles in allem doch eine tragische Person, und nur sein Besuch an Heikes Grab in Polen kann ihn noch einmal für kurze Zeit aus der Lethargie seines Lebens reißen.


Aufmachung des Buches
Das Buch ist 2011 als dtv Taschenbuch erschienen. Das Cover ist recht unspektakulär und zeigt einen ledernen Ohrensessel, was allerdings zum Thema des Buches und der biederen Hauptfigur des Romans recht gut passt. 2009 wurde der Roman bereits im Züricher Limmat Verlag veröffentlicht.


Fazit
„Herr Blanc“ ist ein großartiges Psychogramm eines Sonderlings. Eines Menschen, der als Beispiel dienen könnte, wie man es im Leben nicht machen sollte. Dass man am Ende dieses Buches Herrn Blanc eine so ungeteilte Sympathie entgegen bringen kann, liegt nicht zuletzt an der überragenden Erzählweise des jungen Autors Roman Graf. Ein wunderbares und spezielles Buch, das ganz ohne Effektheischerei auskommt.


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