Seit fast 500 Jahren findet die Seele der Fingerhütin keine Ruhe. Unschuldig wurde sie als Hexe verbrannt. Doch sie hat noch eine Rechnung zu begleichen.
Autor: Dietlof Reiche Verlag: Reihe Hanser Erschienen: 02/2009 ISBN: 978-3-423-62387-2 Seitenzahl: 352 Seiten |
Die Grundidee der Handlung
Lennart soll eigentlich in seinen Ferien in Ingos Ferieninstitut Mathe lernen, genau wie Katja, die er auf dem Weg dorthin kennen lernt. Doch schon kurz darauf geschehen seltsame Dinge und es fällt den beiden schwer, sich weiter auf Mathe zu konzentrieren, denn nun heißt es, eine mehrere Hundert Jahre alte Hexenakte zu entziffern. Was wie ein Abenteuer anfängt, wird immer gefährlicher, doch Lennart und Katja sind sich bewusst, dass sie ihre Aufgabe zu Ende bringen müssen. Und so entwickelt sich eine Art Schnitzeljagd, gespickt mit Hinweisen der Fingerhütin, deren Akte sie lesen sollen.
Stil und Sprache
In dem in der ersten Person verfassten Vorwort weist der Autor Dietlof Reiche darauf hin, dass der folgende Roman auf Tatsachen beruht. Die Fingerhütin war eine Vorfahrin seiner Mutter. Dennoch ist es wohl besser, sich vorzustellen, dass die teilweise doch sehr grausamen Geschehnisse Fiktion sind, denn alles andere ist zu schwer begreiflich, um nicht zu sagen: unvorstellbar. Dabei verzichtet der Autor darauf, die Foltermethoden der damaligen Zeit (1593) detailliert zu beschreiben, sondern macht stattdessen lediglich Andeutungen und überlässt den Rest der Fantasie des Lesers.
Immer wieder finden sich kurze Sätze in der alten Schrift, der sogenannten Schmuckschrift, oder auch Passagen, die in der damaligen, nicht leicht verständlichen, Schreibweise verfasst sind. Dennoch kann der Leser sich denken, was dort steht, in den meisten Fällen ergibt es sich aber auch aus dem nachfolgenden Geschehen. So hatte ich an keiner Stelle das Gefühl, mit dieser alten Schrift und Ausdrucksweise allein gelassen zu werden.
Insgesamt gibt es drei Haupt-Erzählstränge in diesem Buch, die sich regelmäßig abwechseln; die Perspektivwechsel sind durch Leerzeilen und ein Sternchen gekennzeichnet. So wird aus der Sicht der Protagonisten Lennart und Katja erzählt, aber auch aus der Sicht des unfreiwilligen Helfers des Antagonisten. Der Leser bekommt so die Möglichkeit, das Geschehen einmal aus Lennarts, aber auch aus Katjas Sichtweise zu verfolgen, was durchaus interessant ist. Auch der Einblick in Dr. Henning Falks Gedanken und Gefühle ist lesenswert, denn so erfährt man einiges über diesen armen Tropf. Zudem sorgen die Perspektivwechsel dafür, dass die Neugier des Lesers aufrecht erhalten wird.
Ein weiterer Erzählstrang, dem immer ein eigenes Kapitel gewidmet ist, welches wiederum durchweg kursiv gedruckt ist, ist der aus Sicht der Fingerhütin. Der Leser erfährt so auch ihre Geschichte, ihre Gefühle und Gedanken.
Der Erzählstil Reiches ist einfach und schnörkellos, mit meist kurzen Sätzen, die Beschreibungen sind nicht zu ausufernd, sondern gerade so detailliert, dass der Leser sich ein Bild machen kann. Auch baut der Autor Spannung auf und bringt Tempo in den Text, wenn es angebracht ist.
Negativ aufgefallen ist mir, dass Reiche immer wieder mal zu Wortwiederholungen neigt, die sicherlich vermeidbar gewesen wären. So tritt beispielsweise auf Seite 11 innerhalb von vier Zeilen das Wort „Rabenkrähe“ dreimal auf. Doch im Großen und Ganzen schadet dies dem Lesevergnügen nicht.
Was mir ebenfalls aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass Probleme, wie beispielsweise das Auffinden des Notebooks der Schriftstellern Pepe, zu schnell und einfach gelöst werden. Wie selbstverständlich schüttelt Lennart die Lösung aus dem Ärmel und Schwups ist alles gut. Hier hätte der Autor den Figuren ruhig öfter einen Knüppel zwischen die Beine werfen können. Andererseits handelt es sich zugegebenermaßen um ein Buch für Leser ab 12 Jahren, sodass es verständlich ist, dass der Autor auf zu starke Verwicklungen verzichtet hat.
Figuren
Die Figuren sind gut ausgearbeitet, wenn auch nicht so vielschichtig, wie in manch anderen Büchern. Doch da es sich hier um ein Buch für Leser ab 12 Jahre handelt, finde ich die Figuren absolut ausreichend dargestellt und die angesprochene Zielgruppe wird sich gut mit den Protagonisten identifizieren können. Da es sich dabei um einen Jungen, Lennart, und ein Mädchen, Katja, handelt, werden sowohl männliche, als auch weibliche Leser angesprochen.
Lennart ist ein manchmal unsicherer, aber auch immer wieder selbstbewusster Junge, der spontan, aber auch witzig und lässig ist und durchaus Mut beweist. Katja ist ein intelligentes, durch und durch sympathisches Mädchen; das perfekte Gegenstück zu Lennart.
Zwischen „Gut“ und „Böse“ gibt es eine starke Abgrenzung. Während die Protagonisten durch und durch gut sind, ist der Antagonist Gundelfinger von der Haarspitze bis zum kleinen Zeh ein widerlicher Bösewicht. Es ist unmöglich, auch nur etwas Gutes an ihm zu finden, ist er doch immer nur auf seinen Vorteil aus und geht dabei über Leichen. Lediglich Dr. Henning Falk ist weder gut noch böse, sondern hängt irgendwo dazwischen. Er ist ein Mimöschen, das Gundelfinger gegenüber nichts zu melden hat und so kuscht er wie ein geprügelter Hund. Doch er ist in der Lage, sich weiter zu entwickeln!
Aufmachung des Buches
Das Cover des Buches zeigt eine lose Blattsammlung – die Hexenakte – auf der eine schwarze Rabenkrähe hockt. Sehr passend zum Inhalt des Buches! Der Text der Buchrückseite ist sehr kurz, macht allerdings auch sehr neugierig. Ein Grund, weshalb ich das Buch gerne lesen wollte.
Am Ende finden sich 11 Anhänge, die als Erläuterung für den Inhalt des Buches dienen, aber nicht unbedingt gelesen werden müssen, um der Geschichte folgen zu können. Innerhalb des Romans wird anhand von Sternchen und zugehörigen Fußnoten auf diese Anhänge aufmerksam gemacht. Der geneigte Leser findet Informationen zum Inquisitionsverfahren, sowie die Verhöre der Anna Böckhlerin, genannt Fingerhütin.
Eine Karte Rottlingens rundet das Ganze noch ab.
Fazit
Ein durchaus lesenswertes Buch für alle jungen Leser, die sich für außergewöhnliche Ereignisse bzw. explizit für die Hexenverfolgung interessieren oder einfach eine abenteuerliche Geschichte lesen wollen. Es macht Spaß, Lennart und Katja zu begleiten und mit ihnen nach und nach die Wahrheit aufzudecken. Nebenbei erfährt der Leser, wie ein Prozess gegen eine (vermeintliche) Hexe ablief und wie viel Macht der Ratsherr der Stadt in dieser Zeit hatte.
Hinweise
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