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Nicht erst seit Joseph Conrads Klassiker Herz der Finsternis ist der Kongo Projektionsfläche europäischer Träume, Ängste und Klischees. Auf einer abenteuerlichen Reise durch das Land zeigt die Journalistin Andrea Böhm, dass der Kongo viel mehr ist als ein ewiges Katastrophengebiet oder ein Revier für die Jagd nach Bodenschätzen. Es ist ein Schlüsselland globaler Krisen und Hoffnungen. Für seine Bewohner gilt vor allem ein Gesetz: Das Unvorhergesehene ist das Normale.

 

Gott_und_die_Krokodile 

Autor: Andrea Böhm
Verlag: Pantheon
Erschienen: Februar 2011
ISBN: 978-3-570-55125-7
Seitenzahl: 268 Seiten

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Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Die renommierte deutsche Journalistin Andrea Böhm bereiste den Kongo viele Male, weshalb diesem Buch diverse Publikationen über den Kongo in Zeitschriften und Zeitungen wie GEO oder der ZEIT vorausgehen. Ihr Stil ist packend, lehrreich und unterhaltsam zugleich, indem sie Gegenwart und Vergangenheit nahtlos zu verweben weiß und auf diese Weise einen sehr umfassenden Blick auf das zentralafrikanische Land mit langer, leidgeprägter Historie wirft.

So spürt sie beispielsweise auf einer recht abenteuerlichen und beschwerlichen Reise per Sammeltaxi, Auto, Schiff und Motorrad dem schwarzen amerikanischen Missionar William Shepard nach und lässt gleichzeitig Kongos dunkles Kapitel der Kolonialzeit unter dem belgischen König Leopold II. aufleben. In der Hauptstadt Kinshasa trifft sie im heruntergekommenen Stadion Tata Raphael auf eine Gruppe junger Frauen und ihren Boxtrainer Judex. Den an diesem Ort stattgefundenen legendären Boxkampf zwischen Muhamed Ali und George Foreman im Jahr 1974, als der Kongo umbenannt in Zaire, unter Mobutu zurück zu seinen schwarzen Wurzeln geleitet wurde, kann man heute nur noch erahnen. Und während Andrea Böhm die Diamantenminen in Mbuji-Mayi besucht, berichtet sie über die wechselvollen Wirtschaftslagen des Kongo. Der Osten – Grenzgebiet zu Uganda, Ruanda, Burundi und Tansania – ist das Massengrab des Landes. In dieser Region forderten zwei verheerende Kriege zwischen 1994 und 2002 über 800.000 Menschenleben. Hier trifft sich die Autorin mit ehemaligen Rebellenführern, begleitet eine pakistanische UN-Schutztruppe genauso wie eine tapfere Polizistin im täglichen Kampf gegen Korruption und Kleinkriminalität und besucht ein gynäkologisches Hospital, das vollgestopft ist mit aufs brutalste vergewaltigten Frauen. Was Jahrzehnte andauernde blutige Kämpfe, Plünderungen und Massenvergewaltigungen in der Bevölkerung anrichteten und aktuell noch anrichten, denn der Frieden ist selbst nach knapp 10 Jahren in der Region immer noch ein sehr fragiles Gebilde, wird in Andrea Böhms erschütternden Berichten überdeutlich vermittelt.

Auf ihren Reisen war die deutsche Journalistin meist allein unterwegs. Auch wenn die Bürokratie sie häufig nur gegen satte „Gebühren“ weiterziehen ließ, hatte sie im Allgemeinen nichts zu befürchten, denn die Kongolesen sind freundlich und hilfsbereit. Oft wurde sie nur nachsichtig belächelt nach dem Motto: "Allein durch ein kaputtes Land zu reisen, auf diese Idee kann nur eine verrückte Weiße kommen." In jedem Satz spürt man die große Sympathie der Autorin für das Land und seine Menschen, mit denen sie nach eigener Aussage „noch lange nicht fertig ist“. Wiederholt bringt sie dem Leser nahe, mit wie viel Optimismus, Kreativität und Unerschütterlichkeit sich die Kongolesen trotz tiefgreifender Entbehrungen und Ängsten jeden Tag aufs Neue durchs Leben schlagen, wobei natürlich eine gesunde Portion Korruption, Kleinkriminalität und moralischer Verfall nicht ausbleibt. Das Zusammengehörigkeitsgefühl im Kongo beruht nicht wie in anderen Ländern auf Nationalstolz, sondern auf einer gemeinsam durchlebten Leidensgeschichte und der kollektiven Angst, denn ein momentaner Frieden und der emsige Beitrag der Chinesen zu einem wirtschaftlichen Aufschwung bedeuten noch lange keine langfristige Stabilität und Sicherheit. Gott ist im Kongo allgegenwärtig, nur dem Krokodil, Kongos mystischem Fabelwesen, ist Andrea Böhm bei ihren Reisen nicht begegnet. Um doch noch ein Exemplar sehen zu bekommen, musste sie sich eigens in den Zoo von Kinshasa begeben.

Dies ist bei weitem nicht nur eine Reisereportage. Vor allem an Geschichte und Kultur anderer Länder Interessierten kann ich Andrea Böhms Buch wärmstens ans Herz legen. Es bringt uns Kongos Vergangenheit und Gegenwart auf empathische Weise nahe, ohne mit den eingeflochtenen historischen und politischen Fakten zu ermüden, denn im Mittelpunkt stehen all diese großartigen Menschen, die uns beweisen, dass es trotz Unterdrückung, Krieg und Armut durchaus möglich ist, sich eine positive Grundhaltung zu bewahren. Von ihnen können wir uns alle eine Scheibe abschneiden!


Aufmachung des Buches
Das broschierte Taschenbuch ist sehr ansprechend und edel gestaltet mit seinen seidig glänzenden, fein geriffelten Umschlagdeckeln, die man auf den ersten Blick sogar für einen Krepp-Schutzumschlag halten könnte. Beim Aufschlagen der Klappen offenbart sich vorne und hinten jeweils eine Landkarte des Kongo mit eingezeichneten Reiserouten der Autorin, was ich während des Lesens sehr praktisch fand. Im Anhang befinden sich eine Vorschlagsliste mit deutsch- und englischsprachiger Literatur über den Kongo, eine historische Zeittafel und der Bildnachweis für die Fotos im Innenteil.
Auf dem stimmungsvollen Covermotiv ist die dunkle Silhouette einer jungen Kongolesin vor einem hellbraun eingefärbten Horizont zu sehen. Es stammt vom Fotografen Tim Freccia, der Andrea Böhm bei einzelnen Reisen begleitete.


Fazit
Eine absolut erhellende Lektüre über ein Land und seine Menschen, die trotz jahrhundertelanger Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg, einhergehend mit starken wirtschaftlichen Entbehrungen, sich dennoch als kreative und positiv gestimmte Lebenskünstler tagein tagaus wacker durchzuschlagen verstehen. Von den Kongolesen können wir noch einiges lernen!


5 Sterne


Hinweise
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