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In seinen Heidelberger Poetikvorlesungen (Mai/Juni 2010) denkt Bernhard Schlink darüber nach, was ihn beim Schreiben bewegt und welche Maximen für ihn dabei Gültigkeit haben. Selbsterforschung und Werkstattgespräch, eindrücklich und aufschlussreich für alle, die sich für den Autor Bernhard Schlink und dafür interessieren, wie gute Geschichten zustande kommen.

 

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Autor: Bernhard Schlink
Verlag: Diogenes Verlag
Erschienen: Mai 2011
ISBN: 978-3-257-06783-5
Seitenzahl: 112 Seiten


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Während der Vorbereitungen zu den Vorlesungen ahnte der gelernte Jurist schon, er wolle sich keine Gedanken über das Schreiben machen, sondern einfach nur schreiben. Einer Einladung zu einer Poetikprofessur in seiner Heimatstadt Heidelberg folgend, musste er sich Gedanken machen. Herausgekommen sind drei Vorlesungen, die nun als Essays in Buchform vorliegen, in denen er über die Vergangenheit, die Liebe und die Heimat referiert.

„Dass ich über die Liebe schreibe, haben mich erst meine Leser gelehrt“ (S.37), so der Autor zahlreicher Bestsellerromane am Anfang seiner Vorlesung Über die Liebe schreiben. Eine immer wiederkehrende Frage von Lesern lautet, ob er nicht normal über die Liebe schreiben könne. Wer Bernhard Schlink kennt, weiß um die Divergenzen in seinen Geschichten. In Der Vorleser ist Hanna Schmitz doppelt so alt wie Michael Berg und die Liebe in seinen Büchern nimmt selten ein gutes Ende. Die heutige schnelllebige Zeit ist auch in der Liebe angekommen und es scheint Schlink verwunderlich, dass Leser in der Literatur die normative Vorstellung einer „richtigen Liebe“ aufrecht erhalten wollen. Seine Erinnerung, in der Literatur entziehe sich die Liebe immer wieder dem normativen Zugriff, man denke an die ihrem Mann überlegene Madame Bovary oder die Liebe Humbert Humberts zu Lolita, scheint erfolglos zu bleiben. „Über die Liebe schreiben heißt über die Lieben schreiben, die Liebe in ihrer Vielgestaltigkeit bewahren, sie vor dem normativen Zugriff schützen.“ (S.42)

„Ich muss“, so Bernhard Schlink in seiner Vorlesung Über die Heimat schreiben, „was ich schreibe, vor mir sehen, und wenn sich keine anderen Bilder aufdrängen und ich keine anderen Bilder suche, stehen immer Heidelberg-Bilder bereit.“ (S.61). Für den Autor ist es von großer Bedeutung, über das zu schreiben, was für ihn Heimat ist. Gerüche und die Wahrnehmung der Umgebung prägten sich ihm im Laufe der Jahre ein und er trägt sie immer bei sich. Heimat ist für ihn ein Fundus an Geschichten, auch wenn sie nicht in seiner Heimat spielen, sondern weit weg zum Beispiel in Massachusetts. Dieses Kapitel ist Schlinks unmittelbarstes, der Autor reflektiert über die Erkenntnis, was genau Heimat ausmacht, woher sie kommt und wie man daraus eine literarische Heimat heraufbeschwört. Anekdotenreich und unterhaltsam veranschaulicht Schlink den Einfluss seiner Heimat, die Vertrautheit der Umgebung in der Kindheit, denn eine literarische Heimat zu erschaffen, bedeutet nichts anderes als über die kindliche Heimat zu schreiben; über einen überschaubaren und geschützten Ort mit eindrücklichen Geschehnissen wie einer frühkindlichen Überforderung und Vergeblichkeit.
„Vielleicht ist die Vorstellung von der Kindheit als Heimat sogar die Erklärung, warum alle Religion lehrt, dass unser Leben ein Leben im Exil und dass das Leben im Exil als ein Teil der conditio humana ist. Die Juden haben es besonders konkret erlebt.“ (S.67)

Schlink, der die jüngere und jüngste Geschichte immer wieder zum Gegenstand seiner Romane macht, setzt sich in seiner Vorlesung Über die Vergangenheit schreiben mit der Wahrheit in der literarischen Unterhaltung auseinander. Die Schatten des Dritten Reichs und der DDR reichen bis in die Gegenwart und es stellt sich die Frage, ob es für die Aufarbeitung dieser Vergangenheiten besonderer Regeln bedarf? Hat man als Künstler das Recht, den Holocaust als eine Satire oder gar Komödie präsentieren? Autoren, die über die DDR oder die Shoa fiktionalisieren und sich außerhalb der Moralvorstellungen über den Umgang des Themas befinden, begeben sich auf eine Gratwanderung, die laut Schlink nicht immer gelingt, wie er an Benignis Filmkomödie Das Leben ist schön in einer subjektiven Beweisführung darstellt. Ist die Sorge berechtigt, die Wahrheit aus den Augen zu verlieren, wenn man den Deutschen über die Täterrolle hinaus während der NS-Zeit auch eine Opferrolle zuschreibt? Schlink plädiert für eine zweiseitige Sicht der Dinge, denn in den seltensten Fällen sind Täter ausschließlich Monster, es gibt auch die menschliche Seite, die es zu erwähnen gilt. Ein zwiespältiges Thema, das Schlink auch immer wieder in seinen Romanen aufgreift und in dieser Vorlesung behutsam anhand seines Romans Der Vorleser reflektiert. Überhaupt trifft man immer wieder auf bekannte Figuren aus seinem literarischen Werk, sodass er eher den Leser seiner Romane apostrophiert als ein angehendes literaturwisschenschaftliches Publikum.

Gleichwohl wird der aufmerksame Leser dem Buch einige Anregungen für das eigene Schreiben entnehmen, sowohl über die Liebe des Autors zu seinen Figuren, die sich ihm immer wieder entziehen und ein Eigenleben entwickeln, als auch allgemeingültige Regeln wie das Vermeiden von Stereotypen und gängigen Klischees. Schlink gibt hier mehr als nur eine Orientierungshilfe, vielmehr bietet er den erforderlichen Raum für weiterführende Diskussionen für eigene Gedanken und Assoziationen mit der literarischen Heimat.


Aufmachung des Buches
Diogenestypisch ist das Hardcoverbuch im Taschenbuchformat komplett in Weiß gehalten. Auf dem Cover ist ein Bild August Mackes „Rote Tulpen in weißer Vase“ abgebildet.


Fazit
Gedanken über das Schreiben ist keine literaturtheoretische Auseinandersetzung über die Bedeutung und die Entstehung von Literatur. Vielmehr sind seine Vorlesungen an ein größeres Publikum gerichtet, das sich unbedarft einem Schreibprozess nähern will, das nicht wissen will, wie eine zweite, eine literarische Heimat erschaffen wird und welche Wirkungen damit erreicht werden können.


4 Sterne


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