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Hier schlummern dreißig Jahre Schwarz-Weiß-Fotos, Bilder aus einer Welt, die es nicht mehr gibt: aus dem China, das ich in den ersten Jahren zu Gesicht bekam, aus Vietnam, Mustang – eine Unmenge an Material. Manchmal habe ich davon geträumt, etwas daraus zu machen, nur ist es eine Heidenarbeit, aus diesen Bergen von Fotos die besten auszuwählen. Deshalb habe ich mich nie daran gemacht. Eines Tages tust du es vielleicht, wenn du magst.
TIZIANO TERZANI an seinen Sohn FOLCO

Die großartigen Reportagen aus Asien, die er für den SPIEGEL verfasste, haben Tiziano Terzani weithin bekannt gemacht. Doch Terzani war auch ein begabter Fotograf, der die Bilder zu seinen Reportagen oft selbst lieferte. Sein Sohn Folco, der zusammen mit seinem Vater den Bestseller „Das Ende ist mein Anfang“ verfasste, hat eine Auswahl der eindrucksvollsten und schönsten Fotografien aus verschiedenen Ländern Asiens getroffen, zusammen mit Texten Terzanis werden sie hier ganz überwiegend zum ersten Mal veröffentlicht.

 

Meine_asiatische_Reise 

Originaltitel: Un mondo che non esiste più
Autor: Tiziano Terzani
Übersetzer: Christiane Rhein
Fotograf: Tiziano Terzani
Verlag: DVA
Erschienen: September 2010
ISBN: 978-3-421-04492-1
Seitenzahl: 304 Seiten


Stil, Bilder- und Textdarstellung
Sämtliche Fotos sind (bis auf wenige am Schluss) Schwarz-Weiß-Aufnahmen, was die einheitliche Handschrift des Fotografen umso deutlicher hervorhebt: Zeit und Raum verschwimmen bei Tiziano Terzani genauso, wie aktuelles politisches Zeitgeschehen in den Hintergrund tritt, um den Menschen und seine Hinterlassenschaften (Kulturerbe, Krieg, Zerstörung) in den Mittelpunkt zu stellen. Dazwischen symbolisieren urtümliche Landschaften die Unvergänglichkeit und den ewigen Mythos. Gegliedert sind die unterschiedlich großen Fotografien chronologisch, wie Terzani die Länder besuchte, beginnend 1972 in Vietnam bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2004 an einem Ort der Stille im Himalaja. An dieser Stelle möchte ich auf den eher unglücklich als glücklich gewählten deutschen Buchtitel hinweisen. Der Journalist hielt sich in den einzelnen Ländern immer über einen längeren Zeitraum auf, lebte oft sogar über mehrere Jahre mitsamt Familie dort. Von einer Reise im eigentlichen Sinne kann deshalb nicht die Rede sein. Der Untertitel Fotografien und Texte aus einer Welt, die es nicht mehr gibt entspricht dem italienischen Originaltitel und trifft die Sache schon viel besser.

Da der Bildband erst nach dem Tod des Autors und Fotografen Tiziano Terziani von seinem Sohn Folco herausgebracht wurde, liefert der Textteil keine unmittelbaren Erklärungen bzw. Beschreibungen zu den Fotos, sondern hier handelt es sich um Auszüge aus veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften in Form von Tagebucheinträgen, Reportagen usw., die man thematisch zuordnete.


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Tiziano Terzani gehörte jener Gruppe Auslandsreporter an, die auf die ihnen eingeräumten Privilegien pfiff und sich stattdessen unters Volk mischte, in überfüllten Eisenbahnwaggons der niedrigsten Klasse mitfuhr, in schmuddeligen Lokalen aß und in einfachen Unterkünften statt in namhaften Fünfsternehotels übernachtete. Und dies merkt man seinen in jeder Hinsicht authentischen Bildern an. Denn nur, wer diesen vor Armut gezeichneten Menschen mit Respekt entgegentritt, erhält im Gegenzug Offenheit und Ehrlichkeit vor die Linse. Genauso sind Terzanis Aufnahmen ein Spiegel seiner widersprüchlichsten Gefühle. Nur ein Land ließ ihn genauso kalt wie er dessen überarbeitete Bevölkerung empfand, die sich in ihrer knapp bemessenen Freizeit in virtuelle, gefühllose Welten flüchtet: Japan – hier wollte einfach kein Funke überspringen.
Über Jahrzehnte mit ansehen zu müssen, wie engstirnige Idealisten und Diktatoren Jahrtausende altes Kulturgut mit brutaler Gewalt vernichten und wie aus glücklichen Menschen abgestumpfte oder halb verhungerte Kreaturen gemacht werden, trieb einen tiefen Keil in Terzanis Seele. Wie sehr diese Wunde schmerzte, ist aus beinahe jedem Satz des Italieners herauszulesen. Es musste ja eines Tages so kommen, dass er genug hatte von Kriegen, Zerstörungen, Entbehrungen und Hunger. Eine übermächtige Sehnsucht nach innerer Ruhe veranlasste ihn zum langsamen Rückzug, bis er schließlich im Himalaja-Gebirge fand, wonach er suchte. Mit friedvollen Farbfotos und besinnlichen Worten klingt Tiziano Terzanis eindringliches Vermächtnis aus.

Dieser schön gestaltete Bildband in Schwarz-Weiß ist Liebhabern der Fotografie genauso zu empfehlen wie politisch und kulturhistorisch Interessierten. Terzanis Texte hinterfragen kritisch und stimmen einen mit ihren tiefgründigen philosophischen Gedanken nachdenklich.


Aufmachung des Buches
Obwohl das gebundene Buch mit Schutzumschlag in der Aufmachung einem Bildband entspricht, d.h. es besteht hauptsächlich aus ein-, doppel- und halbseitigen Fotos, geringem Textanteil und einer etwas dickeren Papierqualität, fällt es doch mit seinem klein ausfallenden ‚normalen Sachbuchformat‘ (24,5 x 17 cm) aus dem Rahmen. Die Vor- und Nachsatzblätter sind vollgepflastert mit vielen kleinen Schwarzweiß-Fotos. Dem Bildteil folgen ein Nachwort des Herausgebers Folco Terzani sowie ein Quellenregister für Texte und Fotografien.
Die nostalgisch anmutende Covergestaltung vermittelt mit seinen angedeuteten Film-Negativstreifen sehr gut den Inhalt des Buches. Im oberen Foto ist Tiziano Terzani selbst mit der Kamera um den Hals zu sehen. Auf der Rückseite zieht sich der obere Negativstreifen fort, darunter befindet sich die Inhaltsangabe auf hellem Untergrund.


Fazit
Tiziano Terzanis posthumes fotografisches Zeitzeugnis aus drei Jahrzehnten journalistischer Tätigkeit in Asien wird niemanden kalt lassen, genauso wenig wie dieser Kontinent ihn kalt ließ. Hier paaren sich authentische Momentaufnahmen mit kritischen und äußerst klugen Texten. Terzani war nicht nur ein ausgezeichneter Auslandsreporter und Fotograf, er war auch ein tiefsinniger Mensch voller Lebensweisheit.


4 5 Sterne


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