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Was lasen die Deutschen zwischen 1933 und 1945? Was interessierte sie, was formte ihr Denken? Was waren die Bestseller der Zeit?

Christian Adams Lesen unter Hitler ist das erste Buch, das diese bislang unerforschte Kapitel deutscher Mentalitätsgeschichte untersucht.

 

 

Autor: Christian Adam
Verlag: Galiani Berlin
Erschienen: 08/2010
ISBN: 978-3869710273
Seitenzahl: 383 Seiten


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Der Autor Christian Adam schreibt spürbar über ein Lieblingsthema und kann dies dem Leser auch sehr gut vermitteln. Das Buch ist spannend und gut lesbar geschrieben. Das liegt bei diesem doch etwas kritischen Thema vor allem daran, dass der Leser hier von einem Kenner auch des heutigen Buchmarktes dort abgeholt wird, wo er steht und zwar bei seiner persönlichen Betroffenheit. Das bedeutet in diesem Fall, der Leser der dreißiger und vierziger Jahre, des vorigen Jahrhunderts wird nicht von oben herab behandelt, wie es ja denk- und vielleicht auch nachvollziehbar wäre, sondern durch Beschreibung der Bestseller jener Zeit und die Herstellung geschichtlicher Kontexte gerät man in die Lage Verbindungen zu sich selbst herzustellen. Hätte mich damals dieses oder jenes Werk auch neugierig gemacht, oder angesprochen, was hätte ich abgelehnt? Sprachlich ist Lesen unter Hitler gut gelungen, es liest sich angenehm und richtet sich nicht vorwiegend an ein wissenschaftliches Publikum. Gut unterhaltender Rezensionsstil mischt sich mit Fakten in einer ansprechenden Weise.

Christian Adam schafft es in diesem Buch ein Thema, dass vielleicht weniger beachtet wird, spannend zu vermitteln. Die Alltagskultur im Dritten Reich, die sicher eine Menge über die damalige Zeit aussagen kann, verblasst (durchaus verständlicherweise) vor geschichtlich bedeutsameren Tatsachen. Das Buch kann aber einige interessante Aspekte beitragen zur mentalen Situation in Deutschland in den dreißiger und vierziger Jahren. Sehr gut herausgearbeitet wird die Diskrepanz zwischen (kapitalistisch orientiertem) Buchmarkt und staatlicher Lenkung (wobei aber auch hier ganz oft finanzielle Interessen eine größere Rolle spielten als angenommen). Der Leser jener Zeit erscheint, oft als an eher seichter Ablenkung interessiert, vor allem Karl May spielt immer wieder eine Rolle, andererseits waren häufig ausländische Autoren gefragter, als Blut-und-Boden-Romane oder gar nationalsozialistische Hetzschriften. Weiterhin spannend ist, wie sich Trends, die schon vor 1933 ihren Anfang genommen hatten, fortsetzen konnten, so z.B. Sachromane wie das erfolgreichste Werk der Nazizeit (zumindest im Bereich der Belletristik) „Anilin“ von A. Schenzinger. Viele der damals erfolgreichen Bücher wurden auch in der Bundesrepublik weiter gelesen und neu aufgelegt.

Beachtenswert ist, dass der Autor nicht zu stark verurteilt oder bewertet, sondern eben den Buchmarkt und somit die Gesellschaft zeigt und dem Leser selbst die Möglichkeit gibt, sich ein Bild zu machen, wobei allerdings auch die oft etwas absonderlichen Lesegewohnheiten (sofern vorhanden) der NS-Prominenz ironisch dargestellt werden.

Zielgruppe des Buchs ist der Leser selbst, der sich für Alltagskultur interessiert, oder auch ein Interesse für Verlage, Bücher und Autoren mitbringt. Ein Buch hat eben immer auch selbst eine Geschichte. Das Buch ist wissenschaftlich korrekt, mit Fußnotenapparat, aber auch und vor allem für Laien geschrieben.


Aufmachung des Buches
Das Buch liegt mir in einer gebundenen Ausgabe vor, das Cover ist relativ schlicht gehalten, mit dem Schwarzweiß-Foto einer lesenden jungen Frau im Stil der dreißiger Jahre. Ein rotes Banner ist zusätzlich mit einem Zitat des Romanisten und Literaturwissenschaftlers Victor Klemperer beschrieben, in dem er sich zu einem der Bestseller dieser Tage äußert. Lesen unter Hitler gliedert sich in Kapitel über die Literaturpolitik unter Hitler, Bestseller, Lektüre der Nazi-Prominenz, 10 Buchtypen, die sich im Dritten Reich als erfolgreich herausgestellt haben und Veränderungen, die bis in die heutige Zeit teils noch nachwirken. Im Anhang werden u.a. Auflagenstärken genannt. Das Werk wird durch zahlreiche Bilder aufgelockert, die teils auch mit ironischem Untertitel die Texte paraphrasieren.


Fazit
Lesen unter Hitler ist ein echtes Sachbuch-Abenteuer, dass sicher einige Überraschungen bereithält. Viele der alten (unpolitischen) Bücher, die in der Zeit des Nationalsozialismus erfolgreich waren, können einem heute noch begegnen, sei es auf Dachboden oder auf Flohmärkten, anderes ist (oft zurecht) der Vergessenheit anheimgefallen. Jedenfalls ist dieses Buch für alle, die sich für Lese- und Alltagskultur interessieren, eine äußerst spannende Lektüre, denn der bevorzugte Lesestoff einer Zeit sagt viel über die Bedürfnisse der damals lebenden und lesenden Menschen aus, andererseits erkennt man hier auch, wovon viele Menschen jener Zeit beeinflusst wurden und wie sich die Dinge weiterentwickelt haben.


5 Sterne


Hinweise
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