Smaller Default Larger

Roy_Jacobsen_klein

Herr Jacobsen, in Norwegen sind Sie ein anerkannter und erfolgreicher Schriftsteller, in Deutschland hingegen noch weitgehend unbekannt. Können Sie uns ein bisschen über sich erzählen?

Ich bin im Arbeiterviertel in Oslo aufgewachsen, habe Abitur gemacht und danach ein Jahr Mathematik studiert, dann bin ich nach Nord-Norwegen gereist, habe mehrere Berufe gehabt: Lehrer, Walfänger, Fischer, Krankenpfleger, Schreiner usw. Mein erstes Buch ist 1982 erschienen, ein Band mit Kurzgeschichten, für welches ich den Debütantenpreis erhielt. Seitdem habe ich 14 Romane, eine umfangreiche Biographie, ein Kinderbuch und mehrere Artikel samt vier Bände mit Kurzgeschichten geschrieben, lebe zur Zeit mit Familie in Oslo.


Für Ihr Debüt Fangeliv sind Sie mit dem Tarjei Vesaas' Debütantenpreis geehrt worden. War das der entscheidende Moment für Sie hauptberuflich Schriftsteller zu werden?

Nein, die Entscheidung habe ich mit 11 Jahren getroffen, als ich wusste, dass es für mich nur eine Art zu leben gab, nämlich, mit Literatur zu arbeiten. Aber dieser Preis hat mir natürlich geholfen und mich aufgemuntert, war eine Art Anerkennung, die ich damals wirklich nötig hatte, denn die Schriftstellerei ist ja ein ziemlich einsames Unternehmen - und ich bin sehr dankbar für den Preis.


Ihr Roman „Hoggerne“, der nun auch in Deutschland als „Das Dorf der Wunder“ vorliegt, spielt in Finnland zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Sie selbst haben den Krieg nicht mehr erlebt. Was hat Sie bewogen, die Geschichte in dieser Zeit anzusiedeln?

Ich interessiere mich für Menschen in allen Lagen und besonders für diejenigen, die nicht in ihren geschichtlichen Zusammenhang hineinpassen, die aber dieselbe historische Epoche durch ihr Anderssein in ein besonderes Licht stellen können.
Finnland ist unser Nachbarland, meine Familie hat aus der Entfernung diese Krise mit erleben können, also nicht dadurch, dass sie teilgenommen haben, - außer dass sie Kriegshilfe leisten konnten, und diese Geschichten habe ich als Kind andauernd gehört. Als Erwachsener habe ich eine andere Art Interesse für den Winterkrieg bekommen und in dem Zusammenhang so viele Dokumentationen darüber gelesen, bin auch in der aktuellen Gegend viel umhergereist und habe mich mit Veteranen unterhalten. Für Norwegen war dieser Krieg eine Art Stellvertreterkrieg.


Wie gestalteten sich die Recherchen für den Krieg? Haben Sie auf Erfahrungen der Kriegsgeneration zurückgegriffen, z.B. bei Ihren Eltern?

Wie bereits gesagt, haben weder ich noch meine Eltern den Krieg als Soldat erlebt, sondern was meine Eltern betrifft nur die deutsche Okkupation von Norwegen zwischen 40 und 45, aber ich habe natürlich mit vielen Menschen geredet, die die Situation an der Front mit erlebt haben.
Zu den Recherchen: Reisen, lesen, studieren, zuhören - ich interessiere mich grundsätzlich für das menschliche Schicksal – für Menschen, die etwas anderes erlebt haben als ich, mit denen ich aber trotzdem eine Verbindung fühle.

Sie sprechen ein hervorragendes Deutsch. Wo haben Sie so gut Deutsch sprechen gelernt?

Von meiner ostbelgischen Frau und vor allem von meiner wunderschönen Schwiegermutter (und natürlich dem Rest der Familie)


Können Sie uns eine deutsche Übersetzung für „Hoggerne“ geben?

Das Wort bedeutet so viel wie Die Hacker (Holzhacker) und Die Hauer, ein ziemlich aggressiver Ausdruck, bedeutet derjenige, der etwas kaputt macht/klein hackt, um es für etwas nützliches verwenden zu können, aber auch jemand, der zubeißen kann.


Sie selbst waren unter anderem Waldarbeiter. Konnten Sie für den Protagonisten Timo Vatanen auf Ihre Erfahrungen aus dieser Zeit zurückgreifen?

100% - ich bin 4-5 Jahre lang Waldarbeiter gewesen – ich kann mich total mit ihm identifizieren, als Facharbeiter und auch als Mensch – ich liebe eben Außenseiter, literarisch und menschlich.


Neben Waldarbeiter waren Sie Schreiner, Lehrer, Pflegekraft und arbeiteten auch auf einem Friedhof. Eine spannende berufliche Vita, die dazu einlädt, sie literarisch zu verarbeiten. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Die Idee, entstand, als ich 10-11 Jahre alt war, wie erwähnt, weil ich eben Literatur liebte, aber sie eigentlich ‚verbessern’ wollte, zu Beginn schrieb ich also nur neue Abschlüsse von alten Klassikern, weil ich Happy Endings liebte – das hat sich in der Zwischenzeit etwas geändert – aber das Bedürfnis, Geschichten schreiben zu müssen, ist immer da – ich muss einfach so leben.


Ihre Bibliografie ist sehr bemerkenswert. Neben Novellen, Romanen und Kinderbüchern haben Sie eine Biografie über Trygve Bratteli, ehemaliger Ministerpräsident Norwegens, und das Drehbuch zu Valhalla Rising, einer Wikinger-Saga, geschrieben. Woher rühren die mannigfachen Interessen?

Seit Kindesalter habe ich mich einfach dafür interessiert, wie ‚der Andere’ ist, denkt und handelt.


In Ihren Büchern schreiben Sie auffällig oft über Individualisten. Fühlen Sie sich selbst als ein Außenseiter, als jemanden, der gegen den Strom schwimmt?

Natürlich!


Steckt in jedem Protagonisten ein Stück von Ihnen selbst?

In allen! Das Miterleben des Schriftstellers im Protagonisten ist eine Notwendigkeit beim Schreiben – das bedeutet aber nicht, dass man mit allem, was sie tun und denken, einverstanden ist.


Außenseiter sind eigentlich die wahren Helden. Ist in Ihren Büchern auch eine Art psychologischer Moral enthalten?

Nein, ich bin loyal gegenüber meinen Helden, aber es ist irgendwie meine Aufgabe, moralische, politische und ideologische Stellungnahmen unabhängig, auch kritisch zu beleuchten. Meine Moral als Schriftsteller ist nicht als Richter aufzutreten, sondern als Mitmensch.


Gabriele Haefs ist Ihre langjährige deutsche Übersetzerin. Hat sich in den vielen Jahren eine Freundschaft entwickelt?

Yess.


Sie sind seit 1982 Schriftsteller. Hat sich in den fast 30 Jahren das Autorenleben verändert? Müssen Autoren heutzutage mehr Präsenz, zum Beispiel bei Lesereisen oder Buchmessen, zeigen?

Sicher hat das sich verändert. Am Anfang war ich fast die ganze Zeit allein mit meiner Tuerei, jetzt bin ich die halbe Zeit unterwegs wie ein Vertreter für meine eigene Firma, was zwar schon ein Kompliment ist, was aber auch bedeutet, dass ich mit der verbleibenden Zeit sehr vorsichtig/sparsam umgehen muss.


Ihre Romane spielen oft außerhalb Ihrer norwegischen Heimat. Wie wichtig ist für sie Heimat? Fühlen Sie sich überall zu Hause oder sind Sie ein heimatverbundener Mensch?

Die Frage enthält eine falsche Prämisse: nur 3 von meinen 13 Romanen spielen im Ausland. Ich bin in Norwegen hauptsächlich bekannt durch drei - vier Romane, die sich mit der norwegischen  Gegenwartsgeschichte beschäftigen. – Ich bin eben ein rastloser, heimatverbundener Mensch, d.h. ich habe eine Neugier auch für alles, was nicht nach Heimat schmeckt. Ich liebe Kontraste.


Sie sind Mitglied in der Norwegischen Akademie für Sprache und Literatur, die sich vehement für die Riksmål (Reichssprache) einsetzt, eine Sprache, die vom Philologen Knud Knudsen entwickelt wurde als „eine Umgangssprache für Gebildete“, und wird auch von der Zeitung Aftenposten präferiert. Dennoch ist diese Sprache seit 1929 nicht mehr offizielle Landessprache, sondern das daraus weiterentwickelte Bokmal (Buchsprache), welches sich von den traditionellen Wurzeln weit entfernte. Sprache lebt nicht nur von seiner Tradition, sondern zeugt auch von der Lebendigkeit seiner Benutzer. Haben Sie Angst davor, dass die Sprache verkommt?

Nein, die norwegische Sprache wird in absehbarer Zeit nicht verkommen. In meiner Literatur verwende ich alle Arten von Soziolekten, Dialekten, Fremdwörter, meine eigene Umgangssprache aus der Arbeiterklasse, alles, was ich nötig habe, um den meiner Ansicht nach richtigen Ausdruck zu finden. Ich bin wohl ein Anhänger der Ansicht, dass jede Nation eine Standardsprache nötig hat. In Norwegen haben wir 2 Standardsprachen: Bokmål/Riksmål (der Unterschied von den beiden wird immer kleiner und hat heutzutage nur akademisch, das heißt für Puristen, Interesse) und Nynorsk; und wir sollten dafür arbeiten, beide so lange wie möglich lebendig zu halten. Die Norwegische Akademie arbeitet also nicht gegen Nynorsk.


Herzlichen Dank für das Interview!

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo