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Kategorie: Horror

Die Wahrheit lautet schlicht: Man kann eine Stadt verstehen, man kann sie kennen, lieben und hassen zugleich. Man kann ihr grollen und es ändert sich nichts. Letzten Endes ist man doch nur ein Teil von ihr.

Mackie Doyles Geheimnis und das seiner Stadt sind untrennbar miteinander verbunden. Um sein Leben zu schützen, tut er gut daran, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch als ein Kind verschwindet, muss Mackie sich entscheiden: Bricht er das Schweigen oder lässt er das Entsetzliche geschehen?

 

Schweigt_still_die_Nacht 

Originaltitel: The Replacement
Autor: Brenna Yovanoff
Übersetzer: Jessika Komina, Sandra Knuffinke
Verlag: Script5
Erschienen: 15.01.2011
ISBN: 978-3-8390-0127-1
Seitenzahl: 368 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Gentry ist eine Kleinstadt, der es selbst zur Zeit der Weltwirtschaftskrise erstaunlich gut ging. Doch die Bewohner erkaufen sich diesen Wohlstand, ohne darüber zu sprechen, denn Wegsehen ist so viel einfacher ... So ist es auch, als wieder einmal ein kleines Kind stirbt und zu Grabe getragen wird. Doch Natalies Schwester Tate weiß, dass das, was dort im Sarg liegt, nicht ihre Schwester ist, sondern etwas anderes, dass ihr lediglich verdammt ähnlich sieht. Und so wendet sie sich an Mackie, der offensichtlich mehr über das Geschehen weiß. Kein Wunder, denn er ist selbst ein Wechselbalg, das vor vielen Jahren gegen den echten Mackie Doyle ausgetauscht worden ist. Seither versucht er sich möglichst bedeckt zu halten, nicht aufzufallen und in der breiten Masse unterzugehen – was nicht gerade einfach ist, wenn man nicht nur auf Blut, sondern auch Stahl überempfindlich reagiert. Es geht ihm immer schlechter und er braucht immer länger, um sich von solchen „Attacken“ zu erholen. Dennoch versucht er verzweifelt den Schein zu wahren und sich möglichst normal zu geben. Doch wie lange kann er diese Maskerade noch aufrecht erhalten, während um ihn herum Kinder ausgetauscht und ermordet werden? „Das ist nicht persönlich oder böse gemeint. Es passiert einfach. Wie es woanders Wirbelstürme oder Erdbeben gibt.“ (Seite 186).


Stil und Sprache
Schweigt still die Nacht“ ist das Debüt der US-amerikanischen Autorin Brenna Yovanoff. Mackie Doyle erzählt in diesem Buch in 32 Kapiteln seine Geschichte in der ersten Person, wodurch man ihm, seinen Gedanken und Gefühlen, sehr nahe ist. Brenna Yovanoff baut direkt eine unheimliche, bedrohliche Atmosphäre auf, wenn auch auf leise, subtile Art. Dabei spricht sie alle Sinne an, lässt den Leser den süßen, metallischen, klebrigen Geruch des Blutes wahrnehmen, das Rascheln und Zischeln der Blätter hören und das Krabbeln der Käfer spüren: „Ich fühlte mich rastlos, als krabbelten Käfer auf meiner Haut herum“ (Seite 31/32). Mackies Lethargie, seine Schwäche, sein Unwohlsein, aber auch sein stellenweise überbordender Tatendrang – all das vermittelt die Autorin gekonnt über sein Verhalten. Schade nur, dass man vom Klappentext des Buches bereits weiß, dass Mackie ein Wechselbalg ist, denn dadurch wird den eher zögerlichen Hinweisen zu Beginn des Buches das Mysteriöse genommen – was Mackie jedoch nicht weniger interessant macht.

Yovanoff zeichnet ein farbiges Bild einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennen, und man stets aufpassen muss, wie man sich in der Öffentlichkeit gibt. Gentry verkörpert hier ein gesellschaftskritisches Bild, in dem alle wegschauen und höchstens hinter vorgehaltener Hand in verschlossenen Räumen murren, aber nichts gegen das entsetzliche Geschehen tun. „[…] denn vor allem, vor allem anderen, verhieß die Nacht Schatten und vermisste Kinder, und wir lebten in einer Stadt, in der man nie über diese Dinge sprach.“ (Seite 46).
Der bildreiche Stil verwandelt das Gelesene in lebendige Bilder, die Sprache ist dabei modern, aber nicht zu jugendlich. Gelungen ist Yovanoff der Mix aus leicht gruseligem Thriller mit einer Prise Humor, die den Leser durchaus auch mal laut lachen lässt.

Die Autorin wirft im Verlauf der Handlung immer mehr Fragen auf, bei denen sich der Leser auf der Suche nach Antworten tiefer in die Geschichte hineinbegibt. Der Gruselfaktor ist dabei leider nicht annähernd so hoch, wie man es erwartet hat – auch wenn es zwischendurch immer wieder schaurig-eklige Bilder gibt. Hier hätte die Autorin an der einen oder anderen Stelle durchaus noch mehr aus der Geschichte herausholen können. Dennoch ist eine gewisse Grundspannung stets vorhanden, die sich zum Höhepunkt immer weiter zuspitzt. Das Ende des Buches ist dabei durchaus gelungen und emotional, geht aber auch ein wenig schnell.


Figuren
Mackie ist die Hauptfigur dieser düsteren Geschichte. Er ist verdammt einsam und betrachtet sich selbst äußerst kritisch: „Ich war der Freak bei uns – blass und irgendwie unheimlich. […] Ich war nicht witzig und auch nicht gut im Small Talk“ (Seite 12). Er ist, genau wie seine Mutter, ein pessimistischer Realist – und kann froh sein, dass er seine ältere Schwester Emma hat, deren Meinung nach die Welt im Grunde gut ist. Sie ist stets für Mackie da und liebt ihn über alles – obwohl sie weiß, dass er etwas anderes ist, dass er eigentlich nicht ihr Bruder ist. Ebenso ist sein bester Freund Roswell stets für Mackie da. Ein überaus sympathischer, aber auch seltsamer Typ, der jedoch viel zu wenig Fragen stellt und dabei doch so viel zu verstehen scheint. Tate ist allerdings die Figur, die am wenigsten zu durchschauen ist und die nicht immer logisch handelt. So erfährt sie, dass ihre Schwester Natalie noch (!) lebt und statt Mackie mit Fragen zu löchern und alle Infos aus ihm herauszuquetschen, küsst sie ihn, zieht sich halb aus – und wer weiß noch alles, wenn sie nicht gestört worden wären ... Das macht diese Figur für mich weniger nachvollziehbar und greifbar.

Die Figuren in dieser Geschichte erwachen schnell zum Leben und werden zu dreidimensionalen Charakteren. Ihren Rollen entsprechend sind sie mal mehr, mal weniger detailliert ausgearbeitet, aber stets so, dass sie über ein reines Statistendasein hinausgehen. Auch die scheinbar Bösen sind nicht einfach nur schlecht, sondern haben mehr oder minder nachvollziehbare Gründe für ihr Tun. Brenna Yovanoff zeichnet ihre Figuren in Graustufen und nicht einfach nur Schwarz-Weiß.


Aufmachung des Buches
Der Schutzumschlag des gebundenen Buches ist auf seine grausame Art und Weise einfach nur wunderschön! Gänzlich matt gehalten, sticht lediglich der Titel leicht geprägt und mit Spotlack veredelt hervor. Von einzelnen Buchstaben hängen verschiedene Gegenstände, wie ein Messer und eine Schere, herab und baumeln, einem Mobile gleich, über einem Kinderwagen. Düster, unheilschwanger – und absolut passend zur Geschichte. Ein silbernes Lesebändchen vervollständigt diese schöne Aufmachung.


Fazit
Ein spannender Roman, dem es leider stellenweise am Gruselfaktor fehlt. Dennoch legt Brenna Yovanoff mit „Schweigt still die Nacht“ ein Debüt vor, das absolut lesenswert ist und gespannt auf weitere Werke aus ihrer Feder macht.


4 Sterne


Hinweise
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