Smaller Default Larger

Hannover 1924. In den Gassen der Altstadt geht die Angst um – bereits seit Monaten verschwinden immer wieder Menschen spurlos. Als in der Leine die blanken Schädel und Gebeine mehrerer junger Männer gefunden werden, scheinen sich die schauerlichen Gerüchte zu bestätigen, denn sämtliche Knochen wurden mit einem scharfen Messer sauber vom Körper abgetrennt.

In einer fesselnden Geschichte widmen sich Peer Meter und Isabel Kreitz den letzten Monaten des wohl berüchtigtsten deutschen Serienmörders, Fritz Haarmann. Atmosphärisch dichte Bilder lassen das Hannover der Zwanziger Jahre wieder lebendig werden und offenbaren nicht nur die seelischen Abgründe seiner Bewohner, sondern auch einen bodenlosen Justizskandal.

 

Haarmann  Autor: Peer Meter
Illustration: Isabel Kreitz
Verlag: Carlsen Comics
Erschienen: Oktober 2010
ISBN: 978-3-551-79107-8
Seitenzahl: 178 Seiten
Altersgruppe: ab 12 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)


Die Grundidee der Handlung
In dieser Graphic Novel geht es um Fritz Haarmann, den bekanntesten deutschen Serienmörder, der in Hannover sein Unwesen trieb. Gleichzeitig berichtet die Geschichte vom Versagen der Polizei – während eine Anzeige nach der nächsten ignoriert wurde, mordete Haarmann, verkaufte das Fleisch der Opfer auf dem Schwarzmarkt als Tierfleisch und gab sich im übrigen als Altkleider-Händler aus.

In seiner Interpretation nimmt sich Peer Meter einige Freiheiten beim Erzählen der Ereignisse, so ergibt sich beispielsweise aus dem Sachteil des Buches, dass Friedel Rothe das erste Opfer Haarmanns war und 1918 verschwand, in der Graphic Novel wird sein Tod jedoch 1924 dargestellt, nachdem Haarmann bereits mit Fleisch handelt und in der Leine bereits die vielen Knochen und Schädel gefunden wurden. Von diesen Freiheiten abgesehen, hält sich der Autor jedoch eng an die historischen Tatsachen. Er erzählt den Plot so geschickt, dass man als Leser Haarmann quasi über die Schulter schaut und nah bei ihm und den Opfern ist. Gleichzeitig sorgen parallele Handlungsstränge dafür, dass man mitbekommt, was um den Mörder herum passiert. Besonders prägnant im letzten Kapitel zeigt sich dann das volle Bild von Haarmanns Geisteszustand.

Haarmann“ ist ein bedeutendes Stück deutscher Kriminalgeschichte und wird in dieser Form auch junge wie reife Leser erreichen und fesseln, die sich sonst nicht für Geschichte interessieren. Damit leistet die Graphic Novel einen wichtigen Beitrag.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Die komplett monochrom erstellten Zeichnungen sind von erstaunlicher Feinheit. Geradezu filigran und mit hoher Genauigkeit werden die vielen Einzelheiten herausgearbeitet. Dabei wurde der Comicband vollständig mit Bleistift erstellt, perfekt gesetzte Striche und Linien lassen die Geschichte lebendig werden, sämtlichen Flächen wurde per Schraffur ihre Graustufen gegeben, die von hellsten bis zu dunkelsten, gut abgegrenzten Grautönen reichen. Gleichzeitig wird die Beschaffenheit aller Oberflächen – sei es nun von Gesichtshaut, Kleidung, Mauern oder Gebäuden – hervorgehoben. Die Darstellungen sind oft ein gekonntes Spiel mit Kontrasten, welche dem Ganzen ihre Kraft verleihen.
Gebäude sind fein nuanciert erstellt, Mauerwerke und Straßen bis auf die einzelnen Steine exakt herausgearbeitet, und vermitteln einen hervorragenden Einblick in die Bebauung, die Art der Architektur und in das Leben in Hannover, bevor sich das Stadtbild nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte. Wunderschön anzuschauen sind die Stadtübersichten und -panoramen. Die eng bebauten, teils düsteren und feuchten Gassen nehmen den Leser mit auf eine Zeitreise in die 20er Jahre und vermitteln Zeitgeist und Atmosphäre. Hierzu trägt auch das Auge für Details bei, das Isabel Kreitz beweist, seien es z.B. seitlich ins Bild ragende Straßenlaternen im Stil des frühen 20. Jahrhunderts, Pfützen auf den Straßen oder Gardinen in bzw. Wäsche vor den Fenstern. Genauso schaut es in den Häusern, in den Räumen aus. Auch hier ging die Zeichnerin liebevoll auf die vielen, zeitgenössischen Einzelheiten der Einrichtung ein, die das Leben der Menschen zu dieser Zeit bestimmte. Und so kann man sich an vielen Bildern kaum satt sehen.

Die gleiche Sorgfalt lässt die Zeichnerin anderen Bereichen zukommen, vom Straßenschild über Fahrzeuge bis hin zur entsprechenden Bekleidung der Zivilbevölkerung und genau rekonstruierten Uniformen der Polizisten entfaltet „Haarmann“ den Ausdruck dieser Epoche.
Besonders gefällt mir, wie geschickt mit den Perspektiven und Blickwinkeln gespielt wird, um die Geschichte lebhaft und lebendig zu visualisieren sowie einzelne Bildinhalte oder Szenen zu unterstreichen oder Übersichten über das Geschehen zu erhalten. Zudem weiß Kreitz oft durch ihre geschickten Bildaufbauten die Tiefe der Bilder zu vermitteln.

Mit viel Aufwand macht sich Kreitz daran, die Figuren ins Leben zu rufen. Mit großer Genauigkeit sind sie zu Papier gebracht, gut voneinander differenziert und – nah an die Fotografien des Bundesarchivs gehalten – authentisch. Auch hier entspricht sie bei Frisuren, Bärten und nicht zuletzt auch der Ausdrucksweise der damaligen Mode. Aus den Gesichtszügen sind klar die Emotionen zu lesen, sei es nun Freude, Wut oder Angst. Ab einer gewissen Distanz zu den Charakteren nimmt die Genauigkeit zwar naturgemäß ab, ist trotzdem auch weiterhin auf hohem Niveau.

Sprechblasen fügen sich so ein, dass sie in den Bildern keine wichtigen Bereiche überdecken. Die Dialoge sind klar zuzuordnen, der Text comictypisch in Dauergroßschrift. Geräusche, die aber nur verhalten eingepflegt wurden, oder Schreie sind in eine sternförmige Blase gehüllt. Die Panelanordnung ist klassisch und durch weiße Stege getrennt, was zum historischen Charakter der Erzählung sehr gut passt.


Aufmachung des Comics
Im typischen Format der Graphic Novels aus dem Hause Carlsen Comics kommt auch „Haarmann“ in die Buch- und Comicläden. Die Verarbeitung des zwischen festen Kartonumschlägen gebundenen Buches ist tadellos, innen wurde auf kräftigem und feinem Papier gedruckt, die Druckqualität als solche ist astrein und wird dem hohen graphischen Anspruch gerecht.
Das kontraststarke Cover zeigt eine typische Straßenszene des Stadtteils, in dem Haarmann bis 1924 gewohnt hat. Hier gewinnt der Leser bereits einen ersten Einblick in die zeichnerische Qualität, die ihm von Isabel Kreitz geboten wird. Die gezeigte Szene macht einen hellen, friedlichen und einladenden Eindruck und steht damit im Gegensatz zu der Geschichte des Serienmörders. Im unteren Teil dieser Gestaltung prangt in roten Buchstaben und nüchterner Schrift der Name „Haarmann“.
Die Vorsatzpapiere wurden vorne und hinten identisch bedruckt und dazu genutzt, die bekannten Opfer Haarmanns aufzulisten und kurze Informationen zu ihnen zu geben, insbesondere seit wann sie vermisst wurden. Im Anhang an den Comic findet sich ein historischer Überblick nebst Fotos zu Haarmann, seinem Leben, seinen Taten und seiner Verurteilung. In einer weiteren Übersicht wird auf die sechs wichtigsten Nebenfiguren und ihre Rolle bei den Ereignissen eingegangen. Zum Abschluss finden sich Informationen und Fotos zum Autor und zur Zeichnerin.


Fazit
Eine fesselnde Graphic Novel, die – auch geschichtlich sonst uninteressierten – Lesern das Leben und Morden von Deutschlands bekanntestem Serienmörder, Fritz Haarmann, näher bringt. Erzählt von Peer Meter, der sich hierbei einige wenige Freiheiten in der Interpretation erlaubt, und herausragend gezeichnet von Isabel Kreitz, leistet „Haarmann“ einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Bildung.


5 Sterne


Hinweise
Diesen Comic kaufen bei: amazon.de

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo