Drucken
Kategorie: Interviews mit Autoren

Renate_Kaiser


Hallo Frau Kaiser. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben.
Ich möchte gerne gleich zu Beginn auf Ihre Arbeit für Antolin, Mit Lesen punkten!, kommen. Sie arbeiten für dieses interaktive Leseförderprogramm seit 2002. Wie genau kamen Sie dazu? Was ist für Sie hier besonders wichtig?

Die Grundschule meiner Tochter arbeitete mit Antolin. Meine Tochter kam in der 1. Klasse mit dem Kennwort nach Hause. Sie war von dem Programm begeistert. Da sie einige Bücher gelesen hatte, für die noch keine Fragensätze in Antolin existierten, bat sie mich, Fragen und Antworten zu formulieren und per E-Mail zu Antolin zu schicken. Dem Initiator von Antolin, Herrn Albert Hoffmann, gefielen die Fragensätze sehr gut. Das war vor acht Jahren, seither habe ich über 800 Kinder- und Jugendbücher gelesen und mir Fragen und Antworten zu Antolin ausgedacht. Schon bald danach übernahm ich auch Administrator-Aufgaben bei Antolin, d.h. ich überprüfe die Fragensätze von Lehrern und Schülern, bevor sie online gestellt werden.
Besonders wichtig hierbei ist, dass die Fragensätze keine Rechtschreibfehler enthalten und dass die Fragen und Antworten nicht zu kurz und somit für die höheren Altersstufen zu einfach sind.


Wie sieht ein typischer Arbeitstag von Ihnen aus?

Jeden Vormittag überprüfe ich die eingehenden Schüler- und Lehrerfragensätze bei Antolin und stelle sie online. Anschließend bearbeite ich E-Mails und telefoniere mit Schulen, Büchereien usw. Später schreibe ich an meinem Roman, da ich momentan ein historisches Jugendbuch schreibe, ergeben sich während des Schreibens sehr viele Rückfragen, die teilweise aufwändige Recherchen nach sich ziehen. Das kostet sehr viel Zeit, so dass ich manchmal nur eine halbe Seite am Tag schaffe. Am Nachmittag oder Abend oder auf langen Zugfahrten etc. lese ich Jugendbücher für Antolin und denke mir Fragen für die Schülerinnen und Schüler aus. Während des Kochens höre ich Hörbücher für Erwachsene, damit ich nicht vollständig den Anschluss zur Belletristik verliere.


Wo haben Sie Ihre zweijährige Ausbildung zur Kinder- und Jugendbuchautorin absolviert?

Ich habe die Ausbildung bei der Hamburger Schule des Schreibens absolviert. Im ersten Jahr gab es eine Art Grundstudium. Hier habe ich viel gelernt über Figurenzeichnung, den berühmten „roten Faden“, Spannungsaufbau etc. Im zweiten Jahr erfolgte die Spezialisierung auf Kinder- und Jugendliteratur. Es handelt sich hierbei um ein Fernstudium, man schickt jeden Monat eine Seminaraufgabe an einen Mentor, der die Texte begutachtet.


Wie lange arbeiten Sie an einem Roman?

Für die beiden Romane „Lehrer, Liebe, Lügen“ und „750 Gramm pro Woche“ habe ich jeweils ungefähr drei Monate gebraucht. Da sie in der Jetztzeit spielen und frei erfunden sind, gab es keine Recherchen, alles entstand in meinem Kopf. Bei dem jetzigen Roman, der sich an historischen Fakten orientiert, geht das Schreiben viel langsamer, ich schätze, dass ich mindestens ein Jahr brauchen werde, bis der Roman beendet ist.


Haben Sie bestimmte Rituale beim Schreiben? Nehmen Sie sich eine bestimmte Anzahl an Seiten pro Tag vor oder schreiben Sie eher intuitiv?

Ganz wichtig ist ein ruhiges Umfeld. Deshalb schreibe ich am liebsten, wenn ich alleine bin oder nachts, wenn alle anderen schlafen und auch das Telefon nicht andauernd klingelt.
Tagsüber trinke ich dazu gerne Espresso oder starken Ostfriesentee.


Wie ist Ihr Arbeitsplatz gestaltet?

Ich schreibe an einem ca. 100 Jahre alten wunderschönen Eichenholzschreibtisch, der direkt vorm Fenster steht, und bin natürlich umgeben von prall gefüllten Bücherregalen.
Manchmal sitze ich auch mit dem Laptop in einem Ohrensessel.


Was bedeuten Ihnen Ihre Geschichten und Figuren?

Je länger ich an meinen Romanen schreibe, desto vertrauter werden mir die Figuren. Obwohl sie alle erfunden sind, freue ich mich mit ihnen bzw. leide mit ihnen. Bei dem jetzigen Romanprojekt, das ein sehr düsteres Kapitel in der deutschen Geschichte behandelt, leide ich mit meinen Protagonisten. Je mehr Fakten ich recherchiere, umso mehr bin ich betroffen, wozu Menschen fähig sind. Dies gilt für die unfassbare Grausamkeit genauso wie für unglaubliche Stärke und Überlebenswillen.


Ihre Figuren sind alle liebevoll ausgearbeitet, daher würde mich interessieren, wie Sie Ihre Figuren kennenlernen. Erstellen Sie eine Art Checkliste? Interviewen Sie Ihre Figuren?

Ich erarbeite für alle meine Figuren einen Lebenslauf, um sie besser kennen zu lernen. Vieles davon steht später gar nicht im Roman, aber es hilft mir, ein klareres Bild von meinen Figuren zu bekommen. Parallel dazu erarbeite ich einen groben „Fahrplan“ des Romans. Das hilft mir, mich nicht in Nebensächlichkeiten zu verzetteln. Dann erstelle ich Grundrisse der Häuser bzw. Wohnungen, in denen der Roman spielt, um mich besser orientieren zu können. Erst danach fange ich mit dem Schreiben des Romans an.


Was fühlen Sie, wenn Sie ein Buchmanuskript fertig gestellt haben bzw. dann das fertig gedruckte Buch in den Händen halten?

Wenn das Buchmanuskript fertig ist, bin ich erleichtert und gleichzeitig auch sehr gespannt auf die Meinung des Lektors. Wenn ich das fertig gedruckte Buch mit dem Cover, das nach meinen Vorstellungen gestaltet wurde, in den Händen halte, bin sehr stolz und freue mich riesig.


Vor einigen Wochen ist Ihr neues Buch „750 Gramm pro Woche“ im Schenkverlag erschienen. Sie schreiben darin über das Thema Magersucht, was ja leider immer noch ein sowohl sehr aktuelles als auch sehr sensibles Thema ist. Mich würde nun interessieren, was Sie dazu inspiriert hat, darüber einen Jugendroman zu schreiben - persönliche Erfahrungen?

Nein, persönliche Erfahrungen haben mich nicht inspiriert, vielmehr die Tatsache, dass es immer mehr Mädchen und junge Frauen gibt, die sehr, sehr dünn sind und trotzdem noch nicht zufrieden sind. Die Mädchen, die sich an Sendeformaten wie „Germany‘s next Topmodel“ und den superdünnen Prominenten orientieren, werden immer jünger, parallel dazu werden die Jeansgrößen immer kleiner.


An welchen neuen Projekten arbeiten Sie derzeit?

Wie bereits eben schon erwähnt, arbeite ich an einem historischen Jugendbuch, das im Zweiten Weltkrieg spielt.


Was machen Sie, wenn Sie einmal nicht am Geschichtenschreiben sind?

Ich gehe sehr gerne zu Lesungen in Schulen, diskutiere anschließend mit den Schülern.
Ich leite mehrere Schreibgruppen für Kinder und Jugendliche zum Thema „Kreatives Schreiben“, das macht mir sehr viel Spaß und ich bin immer wieder begeistert, wie schnell bei den Schülern tolle Texte entstehen. Ich lese sehr gerne, versuche täglich 5 km zu joggen, was mir auch fast immer gelingt. Ich treffe mich sehr gerne mit Freunden, wir kochen gemeinsam, besuchen Ausstellungen, Kabarettveranstaltungen.


Gibt es etwas, dass Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben möchten?

Lesen ist Entspannung, Erholung, Mitfiebern, Spannung, alles auf einmal. Ein Tag ohne Lesen ist ein verlorener Tag.


Ich danke Ihnen für das Interview.