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Hallo Herr Lukianenko. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben.
Seit Anfang der achtziger Jahre widmen Sie sich der Schriftstellerei – und das sehr erfolgreich. Doch wie haben Sie zum Schreiben gefunden?

Daran war meine Liebe zur Fantasy und Science Fiction schuld, denn diese Art von Literatur lese ich seit frühester Kindheit. Irgendwann kam ich dahinter, dass ich mir auch selbst solche Geschichten ausdenken kann – und dass mir das Schreiben noch besser gefiel als das Lesen. Außerdem muss man ein Buch erst mal kaufen und bezahlen, um es lesen zu können, während man fürs Schreiben sogar bezahlt wird. [grinst]

 


Das Schreiben ist nicht nur Ihr Beruf, sondern auch Ihr Hobby – ein großes Glück (nicht zuletzt für Ihre Leser). Doch was fasziniert Sie am Schreiben? Was lieben Sie an diesem Beruf?

Erstens fasziniert es mich, mir neue Welten und Situationen, die es in der Realität nicht geben kann, auszudenken. Wenn du ein Buch schreibst, durchlebst du gewissermaßen ein anderes Leben in einer anderen Welt. Und das ist wirklich kaum zu überbieten! Und, last but not least, muss ein Schriftsteller nicht zur Arbeit gehen, sondern arbeitet zu Hause und legt seine Arbeitszeiten selbst fest, eine ungeheure Seltenheit!


Mit der „Wächter-Reihe“ haben Sie in Deutschland den Durchbruch geschafft und den Markt fantastischer Literatur erobert. Mittlerweile werden Ihre Romane in alle europäischen Sprachen übersetzt. Was ist an russischer Fantasy-Literatur besonders? Was macht sie lesenswert?

Die russische Phantastik ist meiner Ansicht nach eine der interessanten Literaturerscheinungen weltweit. Ich glaube, das liegt daran, dass es in Russland sehr viele Schriftsteller gibt, die Science Fiction und Fantasy schreiben und dabei ganz unterschiedliche Bücher vorlegen. Die amerikanische Phantastik ist zum Beispiel sehr stark darin, neue ungewöhnliche Welten zu entwickeln. Die russische Literatur hat immer mehr Aufmerksamkeit auf den Menschen, auf den Helden des Buches gelegt – und letztlich geht Phantastik eben auch vom Menschen aus. Außerdem hat sich die russische Phantastik ihre nationalen Besonderheiten bewahrt. Natürlich gibt es auch in Russland heute sehr viele Bücher, die in Amerika oder in Europa hätten entstanden sein können, das ist eine Folge der Globalisierung. Aber es gibt eben auch viele Werke, die von einem russischem Kolorit und "Geist" durchzogen sind, und eben das macht sie besonders. Indem sie gewissermaßen einen Blick von außen auf unser Leben werfen, helfen sie uns, zu einem neuen Verständnis unserer Probleme zu gelangen. Deutsche und französische Autoren betrachten das Leben anders, und das gibt dem russischen Leser die Möglichkeit, einen anderen Standpunkt zu verstehen, genau wie wohl russische Werke einer ausländischen Leserschaft etwas Neues geben, nehme ich jedenfalls an.


Ihr neuester Roman ist „Trix Solier – Zauberlehrling voller Fehl und Adel“. Wie ist die Idee zu diesem „Ritter-Piraten-Schelmen-Zauberlehrlingsroman voll heiterer Komik und wunderbarer Fabulierkunst“ entstanden? Immerhin unterscheidet sich dieser Roman schon sehr von Werken wie der „Wächter-Reihe“ oder „Drachenpfade“.

Ich wollte schon lange eine Art Schelmenroman schreiben, mit Abenteuern, Verwicklungen und Humor. Es ist ein sehr altes Genre, aber nach wie vor interessant, auch wenn es heute selten geworden ist. Abgesehen davon wollte ich ein Jugendbuch schreiben, das auch Erwachsenen etwas bietet. Als mir die Idee kam, die Magie solle auf dem Wort basieren, im Grunde also eine "schriftstellerische Magie" sein, da war die Sache klar: Ich würde einen witzigen Jugendroman schreiben.


Was erwartet den Leser in „Trix Solier“?

Vor allem ein gutmütiges Buch. Leider sind die heute nicht sehr modern.


Es war Ihnen wichtig, neben humoristischer Fantasy, an der Sie sich schon immer mal probieren wollten, einen „gutmütigen“ Roman zu schreiben? Ist Ihnen das Ihrer eigenen Meinung nach mit „Trix Solier“ gelungen?

Eine erste Antwort auf diese Frage habe ich ja bereits gegeben. [lächelt] Zugegeben, ich wusste nicht von Anfang an, dass "Trix Solier" ein gutmütiges Buch werden würde. Die Welt, in der die Helden agieren, ist immerhin eine mittelalterlich geprägte, also eine recht raue mit ganz anderen Einstellungen zum Leben, zur Freiheit, Gerechtigkeit und zu den Rechten und Pflichten eines Menschen. Deshalb habe ich zunächst vermutet, es würde ein sehr hartes Buch. Aber nach einer Weile merkte ich, dass an das Buch einfach keine Grausamkeit "andocken" wollte, dass selbst in den härtesten Proben alle Figuren ehrlich und gut bleiben. Und als ich das Buch dann zu Ende geschrieben hatte, fiel mir auf, dass nicht ein Mensch gestorben war. Allerdings gab es das Problem, dass Trix' Eltern am Anfang ermordet werden und ich nicht einfach sagen konnte, sie seien bloß ins Gefängnis gesteckt worden. Aber da hat mir Trix geholfen. [lacht] Mir kam ganz plötzlich die Idee, dass die Magie ja auch etwas verändern könnte, was eigentlich schon geschehen ist, damit am Ende alles gut wird. Natürlich kann man diesen Kniff nur einmal im Buch unterbringen – aber immerhin dieses eine Mal war es möglich, und ich war ziemlich erleichtert, dass Trix diesen Ausweg gefunden hatte.


Eine wunderbare Idee ist die Magie in Trix‘ Welt. Diese wirkt nur auf Grundlage schöner Worte. Als Autor arbeiten Sie selbst täglich mit Worten, kämpfen sicherlich auch mal mit ihnen. Doch wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass die Magie so funktioniert?

Ich glaube, das geht noch auf die Bibel zurück. Im Anfang war das Wort – in diesen Worten ist im Grunde unsere ganze Welt enthalten. Die Magie ist der Traum des Menschen, sich Gott zu nähern und neue Welten zu schaffen. Natürlich steht das dem Menschen eigentlich nicht zu Gebote – aber dem Schriftsteller schon. In diesem Sinne habe ich die Idee also nur zu Ende gedacht, dass nämlich das Wort nicht nur in Büchern Wunder vollbringt, sondern echte Wunder (leider abermals nur einer Bücherwelt). Wahrscheinlich träumt insgeheim jeder Schriftsteller von einer solchen Form von Magie! Insofern habe ich mich auch ein wenig über Schriftsteller und ihre Arbeit lustig gemacht, als ich die Zauberer beschrieben habe. Und mich selbst habe ich dabei natürlich nicht ausgeklammert!


Sie stellen „Trix Solier“ persönlich in Deutschland vor. Wie wichtig sind Ihnen Lesungen und der Kontakt zu Ihren Lesern?

Es ist sehr wichtig. Es ist angenehm, vom Verlag oder meinem Agenten zu erfahren, wie hoch die Auflage meiner Bücher ist und wie viele verkauft worden sind. Aber wenn du die Leute mit eigenen Augen siehst, die deine Bücher lesen, noch dazu in einer anderen Sprache, in einem anderen Land, dann spornt dich das an, besser zu arbeiten – und noch viel mehr! Abgesehen davon freue ich mich, wenn meine Bücher dazu beitragen, dass man im Ausland mehr von Russland weiß, dass Russland nicht mehr als exotisches und seltsames Land wahrgenommen wird, in dem es unverständliche Bräuche und eine merkwürdige Kultur gibt (die es natürlich teilweise auch gibt), sondern als Teil einer vereinten Welt mit einer Kultur, die in ganz Europa gleich ist, und mit gemeinsamen Einstellungen zum Leben.


Fans des Zauberlehrlings Trix Solier dürfen sich auf eine Fortsetzung freuen. Können Sie uns schon einen kleinen Einblick in das Geschehen des zweiten Bandes geben?

Oh, das ist eine große und spannende Geschichte mit zahllosen neuen Abenteuern, mit alten und neuen Helden! In der Fortsetzung wird Trix in das orientalische Land Samarschan aufbrechen, um einen Krieg zu verhindern, Drachen zu retten und den größten Zauberer der Welt zu besiegen. Dafür muss Trix auf einem Drachen fliegen, die Schule der Assassinen besuchen, in eine geheime Stadt der Wüstenzwerge vordringen – kurz und gut, er muss jede Menge Abenteuer bestehen. Und ich glaube, dass Buch ist genauso witzig wie das erste.


Kürzlich habe ich gelesen, dass es einen fünften Teil der „Wächter-Reihe“ geben wird. Ist dies der abschließende Band oder wird es weitere Geschichten mit den Anderen geben?

Es wird vermutlich noch einen fünften Teil geben, der mit ziemlicher Sicherheit der letzte sein wird. Zum einen weil ich selbst ein wenig müde von dieser Geschichte bin, zum anderen weil ich als Leser weiß, dass es ein Autor selten schafft, eine Serie über den fünften Band hinaus auf hohem Niveau zu halten.


Sie schreiben Fantasy und Science-Fiction. Haben Sie schon mal mit dem Gedanken gespielt, das Genre zu wechseln und sich in einem anderen Bereich zu versuchen?

Ja, gerade arbeite ich an einem Krimi. Es wird ein klassischer Krimi, mit einem Detektiv, einem Verbrechen aus Geldgier und Leidenschaft. Ich wollte sehr gern mal etwas in diesem Genre machen, und ich hoffe, das Buch glückt.


Ich möchte gerne noch kurz auf das Schreiben an sich eingehen. Zunächst würde mich interessieren, ob Sie Ihre Romane detailliert planen oder ob Sie einfach drauflos schreiben und schauen, ob dabei etwas Brauchbares herum kommt.

Ich plane ein Buch nie genau im Voraus, es sei denn, ich schreibe mit jemandem zusammen. Normalerweise ist ein Anfang da, eine Szene, das Sujet, manchmal auch nur ein paar Worte. Dann fangen die Helden an, in dem Buch zu leben – und ich schreibe nur noch auf, was ihnen passiert. Eine simple Sache also! [lacht]


Haben Sie bestimmte Rituale, die Sie beim Schreiben einhalten, beispielsweise eine feste Schreibzeit oder eine festgelegte Seitenzahl pro Tag?

Ich schreibe meist morgens. Wenn der Text mir gut von der Hand geht, dann bis abends. Wenn nicht, dann kann ich mich auch einfach mal einen Tag mit was ganz anderem beschäftigen, zum Beispiel lesen, Computerspiele spielen oder irgendwas im Haushalt machen – bis ich dann merke, dass ich unbedingt weiterarbeiten möchte. Ein Schriftsteller am Beginn seiner Karriere hat dieses Privileg kaum, denn er muss viele Bücher schreiben, um bekannt zu werden und seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich kann es mir heute leisten, mich auch mal nicht zur Arbeit zu zwingen, wenn einfach nichts geht. Und auch wenn ich jetzt ein Geheimnis verrate: Ein Leser merkt in der Regel den Unterschied nicht und kann nicht sagen, ob ein Schriftsteller wirklich inspiriert ist oder ob ihm einfach sein Verlag im Nacken sitzt, der den neuen Roman verlangt. [grinst]


Wie gehen Sie mit Kritik an Ihren Werken um?

Unterschiedlich. Es gibt eine konstruktive Form von Kritik, da kann der Kritiker zwar etwas gegen das Buch haben, er begründet dies aber und verweist auf tatsächliche Unzulänglichkeiten. Das ist zwar peinlich, aber diese Form von Kritik muss ich mir zu Herzen nehmen. Es gibt jedoch auch Kritik um ihrer selbst willen, bei der der Kritiker sich etwa in dem Sinne äußert: "Das Buch hat mir nicht gefallen, also ist es Quatsch, also darf es niemandem gefallen". Diese Art von Kritik mag ich überhaupt nicht. Man kann kein Buch schreiben, das allen gefällt – aber ein Schriftsteller zwingt ja auch niemanden, sein Buch zu lesen. Es gibt viele Bücher, die ich nicht mag, aber es käme mir nie in den Sinn, über sie herzuziehen. Sie sind einfach nichts für mich. Wenn man ein Buch verreißt und dabei ausschließlich von seinem eigenen Geschmack ausgeht, dann ist das ungefähr so, als würde man sich über Tomatensuppe mokieren – weil man keine Tomaten mag.


Was lesen Sie selbst gerne?

Fantasy, Science Fiction, Krimis und Märchen. Ich habe auch viele Klassiker gelesen, Hugo und Dickens, George Sand und Voltaire, Zola und Bernard Shaw, Brecht und France, Chesterton und Mérimée ... von der russischen Literatur ganz zu schweigen. Ein Schriftsteller, der nur Werke seines eigenen Lieblingsgenres liest, bringt sich um einiges, sowohl als Autor wie auch als Leser.


Ich danke Ihnen für das Interview.

Vielen Dank für die interessanten Fragen.

 

Anmerkung von der Redaktion: Herzlichen Dank an Christiane Pöhlmann für die Übersetzung des Interviews!

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