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Kategorie: Ab 11 Jahre

„Das ist alles erfunden“, sagt Hannah. „Alles, was du angeblich gesehen hast. Entweder das, oder du bist verrückt geworden.“ Sie sieht mich nachdenklich an. „Hörst du Stimmen? Sagen sie dir, du sollst irgendwelche Sachen machen? Töte deine Grandma, Molly. Töööte sieee …“
„Hau ab!“ Ich werfe meine Tasche über die Schulter. „Ohne dich wäre ich doch nie da draußen gewesen, Wieso bist du überhaupt zu Grandma und Grandpa zurückgegangen und hast mich allein gelassen?“
„Wir wären sowieso nie bis nach Hause gekommen“; sagt Hannah in ihrem Große-Schwester-Tonfall, so als wäre das Ganze meine Idee gewesen, und bevor ich irgendwas antworten kann, rennt sie den Hügel hinunter.
Ich renne ihr nach.

Die Geschichte zweier ungleicher Schwestern und einer geheimnisvollen Begegnung.

 

Zeit_der_Gheimnisse 

Autor: Sally Nicholls
Verlag: Hanser
Erschienen: 08.02.2010
ISBN: 978-3-446-23476-5
Seitenzahl: 206 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Die zehnjährige Molly und ihre eineinhalb Jahre ältere Schwester Hannah haben die Mutter verloren. Da ihr Vater als Journalist stark schwankende Arbeitszeiten hat und stets auf Abruf ist, müssen die Geschwister erstmal zu den Großeltern auf’s Dorf ziehen. Nicht nur, dass sich das Leben von Molly und Hannah durch den Tod der Mutter eh völlig auf den Kopf gestellt hat, nun schiebt der eigene Vater sie auch noch ab. Neue Schule, keine Freunde und ständig Streit untereinander. Eines stürmischen Abends kommt Hannah zu Molly ins Zimmer und beschließt, dass sie nach Hause weglaufen – 10 Meilen im Dunkeln und bei Sturm. Doch kaum sind sie vor der Tür, verliert Molly ihre Schwester aus den Augen und läuft allein durch die Dunkelheit. Dort trifft sie auf eine seltsame Jagd, bei der ein Mann vor einem Reiter und seinen Hunden – oder sind es gar Wölfe? – wegläuft und sich schwer verletzt in ein Gebüsch retten kann. Als Mollys Grandma sie schließlich findet, ist von dem Mann keine Spur mehr zu sehen und die Großeltern sind überzeugt, dass ihre Fantasy mit Molly durchgegangen ist. Doch der Mann war da, da ist Molly sich sicher. Ebenso wie der unheimliche Reiter …


Stil und Sprache
Die ganze Geschichte wird in der ersten Person aus Molly Sicht erzählt und hat dabei einen Tagebuch-Charakter, ist also sehr persönlich und intensiv. Der Stil und die Sprache sind durch die gewählte Perspektive von Mollys Art und ihrem Charakter geprägt, die kindliche Ehrlichkeit durchdringt die gesamte Geschichte, wie zum Beispiel auf Seite 57, als sie von ihrem Dad erzählt: „Er ist älter als die Väter von anderen Kindern. Und hässlicher.“ Zudem sind die Sätze oft recht kurz, ohne viele Nebensätze, wie es zum Stil einer zehnjährigen passt. Die Sprache ist meist einfach, dabei aber bildlich, sodass man die Hagebutten und das sich langsam verfärbende Laub sieht, die Kälte in der Luft riecht und das trockene Laub knistern hört, wenn man darüber läuft. Der geneigte Leser kann zudem wunderbare Aussagen im Text entdecken: „Ich wünschte, ich könnte in einem Buch leben. In Büchern funktioniert die Welt viel besser“ (Seite 26).
Ob Angst oder Aufregung – der Leser spürt die Emotionen im Text; die Verletztheit, weil der Vater sie nach dem Tod der Mutter einfach zu den Großeltern abgeschoben hat und sich seither nur sehr selten blicken lässt. In jedem Satz spürt man, wenn Molly bedrückt ist, und Sally Nicholls nimmt den Leser so sehr für die Protagonistin ein, dass man ihr gerne zur Seite stehen möchte. Nicht nur die Geschichte an sich, auch der Schreibstil ist sehr intensiv und emotional. Die Erinnerungen, die Molly immer wieder in den Text einflicht, während sie an Vergangenes denkt, machen sie, ihre Familie und ihr Leben greifbarer und verleihen ihnen Substanz und Konturen.
Bei all dem vergisst die Autorin aber auch die Spannung nicht, die vor allem durch die Begebenheiten mit dem seltsamen Mann und dem unheimlichen Reiter in Mollys Leben einbricht und sie bis zum Ende der Geschichte nicht loslässt. Und so lesen sich die Seiten beinahe wie von selbst und am Ende ist man beinahe traurig, dass die Geschichte schon vorbei ist.


Figuren
Nicht nur der ausgefeilte Schreibstil kennzeichnet dieses Buch, sondern mindestens genauso sehr die liebevoll ausgearbeiteten Figuren – allen voran natürlich die Hauptfigur Molly. Sie ist klug, liebenswert, hilfsbereit und mutig und der Leser wird sie sehr schnell ins Herz schließen. Ihre Schwester Hannah lässt gerne die große Schwester raushängen, ist stur und zickig, kann aber auch fröhlich und lustig sein und sogar zu Molly halten, als es nötig ist.
Besonders gut gefällt mir, dass die Figuren nicht einfach in Schubladen gesteckt werden können, sondern ihre Fehler und Macken haben und selbst der Bösewicht nicht der ist, der er zu sein scheint. Sally Nicholls zeichnet ihre Figuren vielfältig, farbig und nachvollziehbar – genau so könnten diese Charaktere existieren und dann würden sie auch wie beschrieben handeln.


Aufmachung des Buches
Das Cover der Klappenbroschur springt durch die dezente, aber auffällige Gestaltung direkt ins Auge. Vor hellgrünem Hintergrund ist die Silhouette eines Mannes zu sehen, dem Äste mit Laub aus dem Kopf zu wachsen scheinen. Er ist umgeben von fallenden Blättern, Reitern, Bäumen und auf der Buchrückseite auch Hunden. Überaus passend zur Geschichte!

Das Buch selbst ist in 60 zumeist recht kurze Kapitel, die jeweils einen eigenen Titel haben und deren Zahl von Blumenranken umgeben ist, unterteilt. Am Ende ist zudem ein Inhaltsverzeichnis sowie eine Danksagung abgedruckt.


Fazit
Eine wunderbare, intensive Geschichte, spannend geschrieben und mit dreidimensionalen Figuren zum Leben erweckt. Nicht nur jungen Lesern möchte ich dieses Buch ans Herz legen.


5 Sterne


Hinweise
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