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Maigret spielte in einem noch ein wenig verfrorenen Sonnenstrahl. Er spielte nicht mit Bauklötzen wie früher als Kind, sondern mit Pfeifen. Er ließ die Schultern hängen und starrte müde vor sich hin. Gerade eben hatte er über seine restliche Karriere entschieden.
So beginnt Maigrets 75. und letzter Fall, in dem der Kommissar noch einmal sein geliebtes Paris erkunden darf: das nächtliche Paris mit seinen Bars und Absteigen, in denen sich ein verzweifelter Notar vor seinem Erfolg und einer unglücklichen Liebe verkriecht; und die Champs-Élysées im ersten, milden Frühlingslicht, das eine schöne Frau nicht genießen kann.

 

  Autor: Georges Simenon
Verlag: Diogenes
Erschienen: 2009
ISBN: 978-3-257-23875-4
Seitenzahl: 182 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Kommissar Maigret erhält das Angebot, die Stelle des Direktors der Kriminalpolizei einzunehmen. Doch Maigret entscheidet sich schnell dagegen. Er will seine letzten Monate nicht hinter einem Schreibtisch verbringen und dabei versauern. Das Leben draußen auf der Straße ist das was er braucht und als Madame Sabin-Levesque in seinem Büro auftaucht, kann er sich noch einmal zu seinen legendären Ermittlungen in den Pariser Vierteln aufmachen. Die Frau in mittlerem Alter wirkt auf ihn leicht verstört, sie meldet das verschwinden ihres Mannes, den sie vor vier Wochen das letzte Mal gesehen hat. Sie wirkt, als habe sie einen Tick oder als sei sie angetrunken. Ihr Mann scheint häufiger von Zuhause fern zu bleiben, weshalb sie erst jetzt zum Kommissar gekommen war. Maigret wird stutzig, als er das Umfeld der Sabin-Levesques ergründet. Die Madame scheint vom Dienstpersonal und dem Kanzleipersonal nicht für Voll genommen zu werden, einzig die Zofe Claire ist ihr ergeben und treu. Ihr Mann, der vermisste Gerard, führte offenbar seit 15 Jahren ein Doppelleben, indem er als Gigolo Monsieur Charles die Pariser Nachtclubs unsicher machte und mehrere Male tagelang mit Animierdamen verschwand. Doch in den Augen seines Umfeldes war er ein fröhlicher und lebenslustiger Mensch, immer freundlich und nie ungerecht. Der Kommissar ist erschüttert über den offensichtlichen Verfall der Hausherrin, die sich seit Jahren ihrem Schicksal und dem Alkohol ergeben hat. Doch was war mit Gerard passiert, seine Spur verliert sich vor einem Nachtclub, dem ‚Le Cric-Crac’, in dem er zuletzt gesehen wurde. Als dann seine Leiche mit eingeschlagenem Schädel in der Seine gefunden wird, erwacht der Spürsinn Maigrets. Doch noch fehlen ihm Motiv und Täter.


Stil und Sprache
Ich habe nun, obwohl ich erst einen Bruchteil seiner Romane gelesen habe, schon einiges über Georges Simenon geschrieben. Man sollte meinen, dass bei 75 Bänden einer dem anderen gleicht, doch dies ist definitiv nicht so. Ich habe es selten erlebt, dass - obwohl der Autor nicht viele Worte braucht, um seine Geschichten zu erzählen - soviel an Informationen und Neuigkeiten in jedem Band stecken kann. Der Leser darf sich mit Maigret auf eine Lebensreise begeben, auf der er nicht nur die Kriminalfälle des Kommissars erzählt bekommt, sondern auch am sozialen Leben der Pariser Bewohner und deren mannigfaltigen und extrem differierenden Gewohnheiten teilnehmen darf. Auch im letzen Band der Reihe - man muss sagen leider, denn wenn es nach mir gehen würde, könnte Simenon ewig weitergeschrieben haben - entführt der Autor den Leser in zwei voneinander ganz unterschiedliche Schichten. Auf der einen Seite steht die Pariser Oberschicht: Anwälte, Ärzte, Notare und deren mondänes Leben mit Bediensteten und allen nur vorstellbaren Annehmlichkeiten. Auf der anderen Seite die Unterschicht, die als Barkeeper oder Animierdamen in den Clubs und Bars arbeiten und von diesem Leben träumen. Doch was passiert, wenn dieser Traum wahr wird? Kann sich eine junge Frau aus dem Millieu an das Leben im Überfluss gewöhnen? Oder wird sie daran zerbrechen, das in Wirklichkeit nur Distanziertheit und Verachtung gegen den Eindringling auf sie warten?
Simenon schreibt mit einfachen Worten bewegend und authentisch und schafft mit liebevollen Beschreibungen der Szenen eine fast schon familiäre Atmosphäre. Er ist ein wahrer Meister des Wortes und des Gefühls, das er mit seinen Texten an den Leser weitergibt. Ich war noch nie in Paris und trotzdem kommt mir dank Simenons die Stadt bekannt und vertraut vor.


Figuren
Seine Geschichten leben vor allem auch durch seine Charaktere, die er intensiv und mit viel Liebe zum Detail herausarbeitet und mit einfachen Worten dem Leser beschreibt. Da ist zum Beispiel die auf den ersten Blick stolze und unnahbare Madame Sabin-Levesque. Sie scheint ihr Leben im Griff zu haben, aber in Wirklichkeit hat das Leben sie fest im Griff. Ihr Leben, ein Leben voller Verachtung und ohne wahre Liebe, hat sie in die Alkoholsucht getrieben. Als Eindringling, als Fremdkörper, der sich in die Familie hineingeschlichen hat, wird sie sogar von den Bediensteten geschnitten. Maigret, der kurz vor der Pensionierung noch immer mit Elan an seine Fälle herangeht, hat es mit dieser verschlossenen und meist betrunkenen Dame nicht einfach. Er muss noch mal seine ganzen Fähigkeiten aufbieten, um hinter den Schutzpanzer der Madame zu dringen. Neben seinem Fall hat er aber auch über sich selbst nachzudenken. Er hat nur noch drei Jahre, dann folgt die Pensionierung. Was soll er tun - das Angebot der Direktorenstelle der Kriminalpolizei annehmen? Er würde nur noch hinter dem Schreibtisch sitzen und könnte nicht mehr seine geliebten Streifzüge an die Tatorte unternehmen. Das ist es jedoch, was er braucht und was ihn Fit hält. Er lehnt ab und bleibt seinem bisherigen Leben treu. Maigret ist mir ein guter Freund geworden und das, obwohl ich nur wenige seiner Geschichten gelesen habe.


Aufmachung des Buches
Auch der letzte Band der Maigret-Serie aus dem Diogenes Verlag hält sich an die typische äußere Form: weißer Einbad mit einem von einer dünnen schwarzen Linie eingerahmten SChwarz-Weiß-Bild, das den Eiffelturm durch einen Hauseingang betrachtet zeigt. Aufgewertet wird das Sammlerstück von einem roten Stofflesebändchen und farbigen Pariskarten auf den Umschlaginnenseiten.


Fazit
Schade, nach nur 75 Bänden ist bereits Schluss. Ein würdiges Ende für den größten Kommissar der Literaturgeschichte. Gewohnt atmosphärisch und spannend, ein wahrer Genuss.


5 Sterne


Hinweise
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Backlist:
Band 70: Maigret und der Messerstecher
Band 71: Maigret und der Weinhändler
Band 72: Maigret und die verrückte Witwe
Band 73: Maigret und der einsame Mann
Band 74: Maigret und der Spitzel

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