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Mirjam Pressler erzählt die Geschichte der Familie von Anne Frank
Wie durch ein Wunder haben zahllose Briefe, Dokumente und Fotos der Familie Frank auf dem Dachboden des Hauses in der Baseler Herbstgasse überlebt und wurden dort vor einiger Zeit entdeckt – ein Sensationsfund. Die wunderbare Erzählerin Mirjam Pressler hat daraus die so einzigartige wie exemplarische Geschichte der deutsch-jüdischen Familie Frank zusammengefügt. Eine Geschichte, die sich wie ein großer schicksalhafter Familienroman liest.

 

  Autor: Mirjam Pressler
Verlag: S. Fischer Verlag
Erschienen: 5. Oktober 2009
ISBN: 3100223039
Seitenzahl: 425 Seiten


Stil und Sprache
„Geschichte kann nicht nur aufgrund offizieller Unterlagen und Archivakten geschrieben werden.“ - Gerrit Bolkestein, niederländischer Exilminister, während einer Radioansprache 1944.
65 Jahre später gereichen diese Worte zu einer außerordentlichen Größe. Als Buddy Elias, der letzte noch lebende Cousin Anne Franks, und seine Frau Gerti in das Haus der Familie Elias-Frank in Basel einzogen, ahnten sie nicht, welch kostbarer Schatz sie erwarten würde. Auf dem Dachboden fand Gerti Elias Koffer mit unzähligen Briefen, Fotos und weiteren Dokumenten der Familie. Darunter auch Briefe von Anne Frank, ein Mädchen, welches zu diesem Zeitpunkt noch ein glückliches und unbedarftes Leben vor sich hat. Es sind schätzungsweise 6000 Dokumente, die Gerti und Buddy der Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam als Leihgabe überlassen haben. Mirjam Pressler nutzt ihr sprachliches Geschick und verwebt einen Teil der Briefe gekonnt mit den Erinnerungen Buddy Elias' und komponiert einen sensiblen und dokumentarischen Roman. Die Autorin analysiert weder noch mahnt sie die Verbrechen der Nazis an. Sie nutzt das kommunikative, persönliche, Gedächtnis der Familie Elias-Frank, welches in den Briefen tradiert ist, um es dem Vergessen zu entreißen und in ein kulturelles, öffentliches Gedächtnis zu überführen.
Der Leser nimmt anhand von Dokumenten, die von politischen und persönlichen Tragödien, und Briefen, die von einer engen Verbundenheit zeugen, Anteil am Leben der Familie - vor, während und nach dem Krieg; an ihren Wünschen, Sorgen und Freuden. Unmerklich führt die Autorin den Leser von den faktischen Zeugnissen hin zu einem narrativen und komplexen Konstrukt. „Grüße und Küsse an alle“ ist ein facettenreiches und vielschichtiges Porträt einer bemerkenswerten Familie, das sich beinahe wie ein erschütternder Familienroman liest. Dennoch wird der Leser immer wieder unsanft in die grausame Wirklichkeit zurückgeholt. "Und wenn das Judenblut vom Messer spritzt, ei da geht's noch mal so gut." So schwadronieren SS-Truppen, als sie am Arbeitsplatz Otto Franks vorbeiziehen. Bedrückt muss man sich der Frage stellen, wie der Holocaust mitten in Europa geschehen konnte?
1935 ist die Familie über ganz Europa verteilt, dennoch riss der Kontakt zwischen den einzelnen Familienmitgliedern nie ab - bis Juli 1942, als keine Briefe mehr von Otto kamen. 1938 zieht Alice mit ihrer verbleibenden Familie in das Baseler Haus in der Herbstgasse, jenem Haus, in dem Gerti Elias Jahre später auf dem Dachboden die ersten Briefe und Fotos gefunden hat. Sie entdeckte Briefe von Otto Frank, geschrieben kurz nach der Befreiung der Alliierten und noch voller Hoffnung, Frau und Töchter bald wieder in die Arme schließen zu können. Schnell wurde es damals zur Gewissheit, dass sich dieser Wunsch nicht mehr erfüllen wird. Niemand in Basel ahnte, dass Otto Frank und seine Familie nach Auschwitz deportiert worden sind. Erst nach Erhalt der Briefe Ottos wurde der Familie Elias-Frank die ganze Tragweite der bis dahin kursierenden Gerüchte über die Vernichtungslager bewusst.    

Bis heute lässt es Buddy Elias nicht los, dass er und seine Familie damals, 1933, in die sichere Schweiz geflüchtet sind und er während des Krieges, in den Millionen von Juden in Vernichtungslagern umkamen, zu denen auch seine Cousinen und seine Tante gehörten, ein Schauspielstudium absolvierte und ein beschauliches Leben führte.
Heute leitet Buddy den Anne-Frank-Fond in Basel und widmet sich der Aufgabe, den Leuten ein Gefühl dafür zu vermitteln, „welche Folgen es hat, wenn man sich nur um sein eigenes Wohlbefinden kümmert, um die eigene Bequemlichkeit. Ohne die Scheuklappen so vieler Menschen hätten die Nazis ihr Vernichtungsprogramm nicht durchführen können.“


Aufmachung des Buches
Der Umschlag des Hardcover-Buches zeigt Buddy Elias als dreijährigen Jungen in Frankfurt am Main. Im Innern des Buches finden sich neben den Transkriptionen die Faksimiles der Originalbriefe. Ebenso werden, neben vielen Fotos, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, unter anderem Gemälde von Anne Franks Ururgroßvater und Urgroßmutter abgebildet. Eindrucksvoll ist auch der Stammbaum am Ende des Buches, der einen imposanten Überblick über die weitverzweigte Familie bietet.


Fazit
Mirjam Pressler hat aus den ihr zur Verfügung stehenden fünfhundert Briefen eine beeindruckende und eindringliche Familienchronik verfasst, die stellvertretend für viele jüdische Schicksale steht. Wie eng Freud und Leid, politisches Kalkül und unbedarfte Sorglosigkeit miteinander verwoben sind, zeigt sie anhand der ausgewählten Dokumente äußerst eindrucksvoll. Sie zeichnet ein einfühlsames Portrait einer traditionsreichen und ungewöhnlichen Familie.
Wer dieses Buch liest, will in erster Linie nichts über die bekannten Grausamkeiten des Dritten Reiches lesen, sondern wissen, wie eine jüdische Familie alle Hebel in Bewegung setzt, ihrem, von den Nazis beschlossenem, Schicksal zu entkommen; wie aus einem unbeschwerten Leben ein Leben zwischen Angst und Hoffnung wird. Jeder Brief in diesem Buch ist evident für die intellektuelle Leere, die die Vertreibung der Juden aus Deutschland in unserem Land hinterlassen hat.


5 Sterne


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