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Das Böse liegt in der Familie.

Von klein auf hat Thea unter ihrem kaltherzigen, strenggläubigen Vater gelitten. Jetzt ist er achtzig und auf Theas Pflege angewiesen – doch sie fühlt sich wie eine Gefangene. Zum runden Geburtstag des Vaters kommen die übrigen Geschwister zu Besuch. Streit gab es immer, diesmal eskaliert er: Ist die Mutter damals wirklich freiwillig fortgegangen und hat nie wieder von sich hören lassen? Das Familientreffen gerät zum blutigen Albtraum, als Thea aus dem Hinterhalt angeschossen wird – und sie ist nicht das letzte Opfer aus dem Kreis der Geschwister …

 

  Autor: Loes den Hollander
Verlag: rowohlt 
Erschienen: 03/2010
ISBN: 978-3499252709
Seitenzahl: 384 Seiten 


Die Grundidee der Handlung
Na, das nenne ich mal einen Klappentext, der irreführend ist! Es gibt in diesem Buch weder ein Familienfest, das zum blutigen Albtraum wird, noch einen eskalierenden Geschwisterstreit, der dazu führt. Vielmehr hat der Anschlag auf Thea gar nichts mit ihrer Familie zu tun und die Geburtstagsfeier wird direkt abgesagt. Wahr ist allerdings, dass Thea ihren Vater pflegen muss, obwohl sie ihn verabscheut, und dass der Frage nachgegangen wird, wo ihre Mutter vor Jahren abgeblieben ist. Statt des so vollmundig angekündigten „Thrillers“ entsteht hier ein fein gezeichnetes Psychogramm einer zerstörten Familie, das besonders die Geschichte von Thea und ihre mühsame Befreiung aus einem Netz von verirrten Glaubensgrundsätzen und subtilen Machtspielen der männlichen Familienmitglieder erzählt. Aufgewachsen in einer Familie, die dem streng reformierten Christentum angehört, hat Thea früh lernen müssen, dass sie als jüngste Tochter der Familie weder entscheiden darf, welchen Beruf sie ergreift, noch wie sie ansonsten ihr Leben führt. Kleidung und Frisur sind ebenso vorgeschrieben wie das Verhalten in der Öffentlichkeit. Nun ist sie Anfang dreißig und pflegt die Woche über ihren dementen Vater. Nur an den Wochenenden lebt sie ein heimliches Zweitleben, fährt in andere Städte und genießt die kurzen Phasen der Freiheit. Als einige Wochen nach dem Anschlag auf Thea ihre Schwester ermordet wird, versucht sie zu klären, wie es dazu kommen konnte und findet schnell heraus, dass ihre Geschwister mehr damit zu tun haben, als sie dachte. Nach und nach kommt sie so Dingen auf die Spur, die sie selbst teilweise verdrängt und die teilweise von anderen vertuscht wurden. So schafft sie es irgendwann, ihr Leben neu aufzubauen und sich von alten Zwängen zu lösen.


Stil und Sprache

„Das vierte Gebot“ beginnt mit einem Brief Theas an ihren Vater. Darin wendet sie sich direkt an ihn, den nunmehr alten und kranken Mann, der sie nicht mehr bedrohen und bestrafen kann. Von diesen Briefen gibt es im Verlauf des Buches mehrere und sie stellen einerseits einzelne Episoden aus der Vergangenheit der Familie dar, andererseits aber auch Bezüge zur Gegenwart und zu Theas Empfindungen her. Sie entlarven angeblich religiös motivierte Bestrafungen als das, was sie tatsächlich waren: ein brutales Mittel, Macht auszuüben und die Kontrolle zu behalten. Schonungslos geschildert, schockieren die Details aus Theas Jugend schon ziemlich und werfen die Frage auf, wie eine derartige Parallelgesellschaft in unserer modernen Welt zu existieren vermag.
Aber es gibt natürlich auch noch eine Handlung daneben. Diese wird ungewöhnlicherweise im Präsens erzählt, auch hier ist Thea Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Das ist keineswegs langweilig, sondern stellt mit vielen teilweise erschreckenden Details dar, wie ein Vater sich unter dem Deckmantel des „einzig wahren“ Glaubens daran macht, ein totalitärer Alleinherrscher in seiner Familie zu werden und die Schicksale seiner Frau und seiner Kinder zu bestimmen. Mit ihrer schnörkellosen Sprache gelingt es Loes den Hollander, sowohl das karge, von Verzicht und erzwungener Demut geprägte Umfeld der Familie als auch Theas pragmatische Art perfekt darzustellen.

Und wo bleibt nun der versprochene „Thriller“? Er geht zum Glück nicht ganz unter, bleibt die Story doch spannend und zieht den Leser mit sich. Es gibt auch ein paar Leichen, aber Blut oder Amok laufende Killer sucht man hier vergebens. Auch die Polizei kommt nur am Rande vor und ist eher Stichwortgeber als aktiver Ermittler.


Figuren

Die Figuren sind in diesem Roman weitaus wichtiger als die Handlung, hängt von ihnen doch ganz entscheidend ab, wie sich diese entwickelt. Dabei ist Thea als erzählende Person natürlich der Mittelpunkt: als jüngste Tochter in eine streng christliche Familie hineingeboren, hat sie eine Kindheit erlebt, die von Verzicht, Verboten und Bestrafung geprägt war. Prügel und Demütigung waren an der Tagesordnung, trotzdem hat sie es geschafft, ein Stück weit ihre persönliche Freiheit zu bewahren und lebt diese aus, wann immer sie kann. Sie führt ein regelrechtes Doppelleben und zeigt sich dem Leser als starke Frau, die innerhalb ihrer Möglichkeiten aufbegehrt. Mit ihr fühlt man von Anfang an mit und auch im späteren Verlauf der Handlung, als sie ein Geheimnis preisgibt, bleibt man an ihrer Seite.

Auch die übrigen Familienmitglieder werden durch ihre klugen Beschreibungen lebendig, sie haben Ecken und Kanten und bei einigen zeigt sich erst spät ihr wahrer Charakter. Das ist wunderschön gemacht und bringt eine äußerst lebendige, realistische Atmosphäre in die Geschichte. Gern würde ich zum Beispiel Simon, Theas unkonventionellen Bruder, kennenlernen, oder Sara, ihre Schwägerin, hinter deren braver Fassade weit mehr steckt, als man zunächst vermutet.

Ein wenig unglaubwürdig bleibt lediglich Linda, die ermittelnde Polizeibeamtin, die zwar immer mal wieder auftaucht, aber für meinen Geschmack zu wenig hartnäckig und aktiv ist. Sie stochert zwar ein bisschen herum, aber echten Ehrgeiz, die verschiedenen Todesfälle aufzuklären, beweist sie nicht.


Aufmachung des Buches
Das dunkel gehaltene Taschenbuch zeigt auf der Vorderseite ein teilweise im Schatten liegendes Kreuz sowie einige Blutstropfen. Der düstere Eindruck, den diese Aufmachung vermittelt, spiegelt für mich schon die gedrückte Atmosphäre des Inhalts wieder und ist so durchaus passend. Wie schon erwähnt, passt jedoch der Klappentext überhaupt nicht zum Inhalt und führt, ebenso wie der blutrot gedruckte Titel, den potentiellen Leser eher in die Irre.


Fazit

Ein Buch, das mich sehr überrascht hat, bekommt man doch nicht das, was man als Thrillerfan erwartet. Dabei keineswegs schlecht, sondern vielmehr spannend, anrührend, mitreißend, traurig, fröhlich. Für Menschen, die blutige Details und heftige Action suchen, kaum das Richtige, eher schon für Liebhaber subtilerer Geschichten mit viel Hintergrund. Weil mich dieses Verwirrspiel um den Inhalt wirklich ärgert, vergebe ich keine vier Sterne.


3 5 Sterne


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