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Kategorie: Romane

Warin trennt sich von Karl, zwei Menschen und eine gescheiterte Beziehung. Eine ganz alltägliche Geschichte. Hinter dem äußeren Anschein jedoch verliert sich die Alltäglichkeit und es entfalten sich die ganz persönlichen Abgründe der Existenz.
Der Roman beschreibt in kraftvollen und poetischen Bildern Warins inneren Verzweiflungskampf um ihre große, unmögliche Liebe. Schritt für Schritt unterspülen die Untiefen ihrer Gefühle ihre gesamte Existenz bis zum Zusammenbruch.
Während Warin kämpft, hat ein tragisches Ereignis Karls Kindheit dessen Schicksal bereits besiegelt, auch wenn es noch über 30 Jahre dauern wird, bis es sich erfüllt.
Das folgenreiche Ineinandergreifen von Schicksalen, das Gefängnis eigener Gefühle und die Fesseln der Vergangenheit, schließlich die unentrinnbare, wenn auch nie ganz einlösbare Verantwortung von Menschen füreinander – das sind die Motive dieses Romans.

 

  Autor: Ipek Demirtas
Verlag: Acabus
Erschienen: 15. Okt. 2009
ISBN: 978-3-941404-53-3
Seitenzahl:  344 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Kein Buch für Realisten und nüchtern denkende Leute, sondern für sensible, feinfühlige und empfindsame Menschen, die Träume und Sehnsüchte haben und vielleicht schon erleben mussten, wie sie brutal in die Realität zurückgeholt wurden und sich verzweifelt bemühten, sich ihre Welt zurückzuholen..
Unweigerlich fragt man sich beim Lesen dieses Buches, was die Autorin wohl für ein Mensch ist. Was und wie kommt es, dass man das Innenleben eines Menschen, wie Iprek Demirtas es bei ihren Protagonisten Warin und Karl macht, so treffend beschreiben kann? Wie fühlt und denkt die Autorin so eines Werkes? Was hat sie selbst erlebt?

Dieses Buch ist keine banale Erzählung über zwei Menschen, die lieben oder Probleme haben, sondern eine psychisch philosophische Analyse zweier Seelen.


Stil und Sprache
Warin und Karl sind, oder besser gesagt, waren, ein Paar. Die beiden lernten sich kennen, fühlten sich zueinander hingezogen, beschlossen, die Beziehung enger zu machen und letztendlich wohnten sie beisammen - bis Warin die Beziehung beendet.
Nichts Neues, nichts Aufregendes, nichts Ungewöhnliches.
Das wäre eigentlich schon die wesentliche Handlung dieses Buches. Was kann dies schon Großartiges sein? Die Beschreibung einer Beziehung, die auseinandergeht, das passiert Tag für Tag und jeder kennt dies entweder aus eigener Erfahrung oder hat dies in seinem Umfeld schon miterlebt. Was jedoch Ipek Demirtas aus diesem doch sehr trivialen Geschehen macht, sucht seinesgleichen. Die Autorin erzählt nicht einfach wie sich die Figuren dabei fühlen oder umreißt die Umgebung und ihr Bewegungsumfeld, sondern seziert sie, zerlegt sie in alle Einzelteile, zeigt jede Regung, jedes Gefühl bis in die hinterste und tiefste Ebene des masochistischen „Ichs“ ihrer verletzten Seelen. Und das, obwohl es bei beiden sehr konträre Motive dafür gibt.
Mit äußerst intelligenter Sprache, zeichnet Ipek Demirtas ein wahres Potpourri an Seelenqualen und vermittelt dadurch dem Leser die drückende Schwere einer gequälten Kinderseele ebenso empathisch wie die messerscharf tiefen Schnittverletzungen einer Person, die einen geliebten Menschen verliert. Um dies nachfühlen und schon gar, um dies so treffend in Worte kleiden zu können, muss sowohl der Autor als auch der Leser schon einmal eine Begegnung mit diesen Seelenpein erlebt haben, um zu verstehen, welch unglaubliche Leistung Ipek Demirtas mit ihrem Erstlingswerk gelungen ist. Drei Erzählstränge lassen den Leser eintauchen in die sensualistische Welt zweier Menschen.
Vielleicht sind manche Passagen etwas zu lang geraten, hätte ab und an so manches gerafft werden können, denn manchmal verläuft sich Ipek Demirtas etwas zu ausgiebig und ausschweifend in der Gedankenwelt ihrer Protagonisten. Durch Ihren sehr poetisch und philosophisch angehauchten Erzählstil, taucht der Leser jedoch so tief in die Empfindungen ihrer Figuren ein, dass er die eben manchmal vorkommenden Längen gerne verzeiht.


Figuren
In Demirtas Buch gibt es nur Warin und Karl. Alles ist auf diese beiden Figuren aufgebaut und doch weiß der Leser bald, dass der eigentliche Protagonist der kleine Paul ist. Um ihn dreht sich alles, denn er ist der Schlüssel zu den versperrten Türen von Karls Gefängnis, der sich selbst nicht befreien kann und sich durch Warin nicht befreien lassen will. Paul ist die Schlüsselfigur, die unschuldige Ursache für das Leid Karls und so letztendlich auch Warins.

Dieses Buch dominiert nur durch seine Figuren, sind sie das tragende Element in diesem Werk. Für jede Regung, jede Empfindung, für jeden tiefbohrenden Schmerz Warins, bildet die Autorin ebenso ein perfektes Hologramm, wie sie für Karls anmutende Gleichgültigkeit, Empfindenskälte und sein Leben außerhalb des Seins, einen Blick in sein Vakuum gewährt, in dem Gefühle genauso fehlen wie Luft.


Aufmachung des Buches
Etwas kühl und nüchtern, aber auch elegant und schlicht – das sind die ersten Eindrücke des Debütromans von Ipek Demirtas. Da die gebundene Aufmachung (ohne Schutzumschlag) sehr neutral ist und keine effektheischenden Motive auf dem Umschlag zu finden sind, geht man als Leser völlig unvoreingenommen ans Werk. Der Inhalt des Buches spricht für sich, aber das Umschlagmotiv mit dem Brückengeländer (?) und den unscharfen und verschleierten Blick in die Ferne, spiegelt die Empfindungen der Figuren wieder.
Öffnet man das Buch, kann man sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass hier versucht wurde Papier zu sparen. Nicht einmal der Kapitelübersicht ist ein separates Blatt gegönnt, sondern findet seinen Platz direkt beim Textbeginn auf der linken Seite. Der Blocksatz ist nicht nur in der Höhe ausgedehnter, sondern auch ungewöhnlich breit, was beim Lesen stets ein ganzes Auseinanderklappen des Buches erfordert – ähnlich einem sehr dicken Taschenbuch. Dies ist aber mehr gewöhnungsbedürftig als störend. Allerdings kann man sich durch den platzsparenden Druck darauf einstellen, dass man für die rund 350 Seiten dieses Buches etwas so lange zum Lesen brauchen wird, wie für ein „normales“ Buch mit 600 Seiten.
Auf der letzten, linken Textseite findet man sofort rechts gegenüber das Foto und eine Kurzbiographie der Autorin. Da wäre eine leere Seite dazwischen einfach schöner gewesen, um dem Buch einfach ein „Nachklingen“ zu ermöglichen.
Ein ansprechendes und elegantes Buch, dem man ein paar Blätter mehr gönnen sollte, um der Geschichte mehr Luft „zum Atmen“ zu gewähren.


Fazit
Ungewöhnlich. Ungewöhnlich, packend, empathisch, tiefgründig und komplex. Eine Reminiszenz an die Gefühlswelt, die man vor anderen so gerne verbirgt.
Die größten Seelenqualen wie das Verlieren eines Menschen, mit dem man innigst verbunden war, unerfüllte Sehnsüchte nach Geborgenheit und Liebe, das Zurückgewiesen werden von einem geliebten Menschen und die dadurch entstehende innere Zerrissenheit legt die Autorin hier offen dar.
Ein wunderbar Roman, der nicht einfach zwischendurch gelesen werden sollte, da er die ganze Aufmerksamkeit des Lesers fordert und sich ihm nur so die Tiefe dieses Buches erschließen lassen wird.


4 5 Sterne


Hinweise
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