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Tolkiens Bücher sind mehr als nur irgendwelche Fantasy-Romane; Lesestoff für Kinder und bestenfalls Jugendliche. Tolkiens Bücher sind mehr und jeder, der eines gelesen hat, merkt es, weiß es, kann nur vielleicht nicht sagen warum. Das ist Ihr Buch, wenn Sie mehr über Mittelerde wissen wollen: ob Balrogs fliegen können, weshalb Mithrilrüstungen so hart sind und Legolas auf fünf Meilen Entfernung die Zahl der Reiter von Rohan bestimmen kann. Henry Gee nähert sich dem Werk von Tolkien als Naturwissenschaftler und gibt Antworten auf die Fragen, die so viele Fans bewegen.

 

  Autor: Henry Gee
Verlag: Wiley-VCH Verlag
Erschienen: 13. Mai 2009
ISBN: 978-3527504350
Seitenzahl: 289 Seiten


Stil und Sprache
Henry Gee ist Wissenschaftler und Redakteur der Zeitschrift “Nature” und als solcher weiß er sehr genau, wie man wissenschaftliche Inhalte an die Frau oder den Mann bringt. Er plaudert über Tolkien, die Konstruktion von Haferbreikanonen und ganz nebenbei über so exotische Dinge wie Kladistik, Yittriumsilber und Quantenverschränkung. Keine Angst, da Gee nicht nur erzählen, sondern ebenfalls sehr anschaulich erklären kann, ist der interessierte Laie auch ohne spezifische Vorkenntnisse in der Lage, seinen Gedankengängen mühelos zu folgen. Und am Ende des Kapitels weiß man dann zum Beispiel über Kladistik und ihre Bedeutung für die Evolutionsbiologie Bescheid.
Trockenes Herbeten von Fakten ist die Sache des Autors nicht, immer wieder bringt er den Leser zum Schmunzeln. Über einen einsamen Felsen im Nordatlantik sagt er: “ Zu seinen Besuchern zählen depressive Meeresvögel, Geheimdienstler und Aktivisten von Greenpeace” (S.71). Dem Tolkien-erfahrenen-Leser macht er ab und zu eine kleine Freude und streut ein paar Anspielungen auf dessen Werke ein, so z.B auf “Blatt von Tüftler” (S.49) . Auch wenn vieles locker vorgetragen wird, darf man nicht glauben, leicht bedeute automatisch seicht. Der Schreibstil stellt durchaus Ansprüche an den Leser, vermeidet aber unnötige Komplexität. Die Kapitel sind überschaubar gehalten und widmen sich zumeist nur einem Thema, quer lesen ist dabei nicht möglich, da bereits Beschriebenes als bekannt vorausgesetzt wird. Fachbegriffe und Hervorhebungen zum besseren Verständnis erscheinen in Kursivschrift. Besser hätte man's kaum machen können.


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Zu “Die Wissenschaft bei Tolkien” muss ich, wie der Autor, etwas vorausschicken: Wer in den vollen Genuss des Buches kommen möchte, sollte den “Herrn der Ringe” (HdR) und das “Silmarillion” gelesen haben, auch oder gerade deshalb, weil der Autor Tolkien und die Popularität seiner Bücher in erster Linie als Vehikel benutzt, um beim Leser die Lust an den Naturwissenschaften und der Erforschung der Welt zu wecken. Dies auf unterhaltsame Art zu erreichen ist sein oberstes Ziel. Stellt sich die Frage, ob ihm das gelingt?
Zunächst geht er natürlich auf Tolkiens beruflichen Hintergrund als Philologe ein und macht klar, dass dieser, entgegen seinem Image, kein Feind der Technik war, sondern ein Kritiker derselben, und sehr wohl mit dem aktuellen Stand der Naturwissenschaften seiner Zeit vertraut. Gee weist dies mehrfach anhand von Zitaten aus dem “Mittelerde-Universum” nach. Tolkien prangert so offen die Methoden von Saruman und Sauron an, dass mir bisher die Kritik am Verhalten der Noldor, die über ein hohes Maß an technischem Wissen und handwerklichem Können verfügten, beim Lesen der Bücher entgangen war. In diesem Zusammenhang geht Gee auf die ethischen und moralischen Verpflichtungen des einzelnen Wissenschaftlers, so wie er und Tolkien sie sehen, ein. Diesen philosophischen Aspekt möchte ich hier nicht weiter vertiefen, sondern endlich zur “reinen” Wissenschaft kommen.
Gee hat sich einige Phänomene aus dem HdR ausgesucht u.a.die Palantiri, die Herkunft der Orks, Mithril und ob Drachen fliegen können. Damit deckt er verschiedene naturwissenschaftliche Zweige ab - Evolutionsbiologie, Genethik, Metallurgie. Wobei auffällt, dass Evolutionsbiologie eindeutig sein Lieblingsfach darstellt. Er bietet für jedes Phänomen verschiedene Lösungsansätze an, behauptet aber nicht, dass es so sein muss. Der Leser soll sich seine eigene Meinung bilden. Am Kapitel “Die Erfindung der Orks” möchte ich die Vorgehensweise des Autors erläutern. Wie und ob sich Orks vermehren, hat Tolkien nie völlig geklärt und seine Leser im Ungewissen gelassen. Gee macht nun ein paar Vorschläge: industriell durch Klonen erzeugte Orks, natürliche Fortpflanzung zweigeschlechtlicher Orks, die Vermehrung wie bei Bienen und Ameisen durch Königin und Drohnen oder Parthenogenese (Jungfernzeugung). Alle Arten der Fortpflanzung werden genau erklärt, mit den von Tolkien hinterlassenen Hinweisen und unseren heutigen Möglichkeiten verglichen. Welche ist die wahrscheinlichste? Am Schluss amüsiert uns der Autor mit der These, dass für den Fall, dass die Orks durch Parthenogenese entstehen, alle Orks weiblich sein müssen, auch wenn sie männlich aussehen... Da behaupte noch mal jemand, bei Tolkien wären die Frauen unterrepräsentiert!
Nicht immer finde ich die Methode gelungen wie in Kapitel 14 “Das Tor von Minas Tirith” , da habe ich das Gefühl, dass der Autor sein Thema verfehlt hat. Ich jedenfalls denke bei der Überschrift nicht an das Aussterben von Sprachen. Ebensowenig überzeugten mich alle Lösungsvorschläge: Hätte Legolas Augen wie von Gee konstruiert, sähe er aus wie auf Dope. Außerdem lässt er die Erdkrümmung völlig außer acht. Legolas kann auch mit den besten aller Augen kaum 15 Wegstunden weit sehen. (Kapitel 11 "Die Augen des Legolas Grünblatt"). Das allermeiste jedoch lässt sich gut nachvollziehen und hört sich plausibel an. Ja, so könnte es sein!
Ich jedenfalls habe viel über unseren heutigen Stand der Wissenschaften erfahren, hatte meinen Spaß dabei und sehe nun, wie spannend Naturwissenschaften sein können, weil ihre Ergebnisse nie endgültig sind, und neue Entdeckungen zu neuen Erkenntnissen und Perspektiven führen.


Aufmachung des Buches
Das grasgrüne Buch hat Din A4-Größe und einen festen, aber flexiblen Einband. Ist die Farbe schon auffällig und erinnert an die deutsche Klett-Cotta Ausgabe, so ist der “Eine Ring”, in den Saurons flammendes Auge montiert ist, vollends unübersehbar. Das Ringmotiv wird auf der Rückseite noch mal, weniger dominierend, aufgenommen und enthält einen Teil des Klappentextes. Der Text wird durch einen ausführlichen Anhang ergänzt, der noch zusätzliche Informationen enthält und nicht, wie oft üblich, lediglich Quellenhinweise.


Fazit
Dieses Buch ist eine Ausnahme bei der Sekundärliteratur zu Tolkien, denn Naturwissenschaft und Tolkien scheinen nun überhaupt nicht zusammen zu gehen. Und genau deshalb ist "Die Wissenschaft bei Tolkien" ein absoluter Gewinn für jeden Fan. Wissenschaft so darzustellen, dass sie sich spannend wie ein Roman liest, das muss man dem Autor erst mal nachmachen.
Schade nur, dass das Buch vermutlich nicht sehr viele Leser erreichen wird, denn die Zielgruppe ist doch reichlich klein ausgewählt.

 
4 5 Sterne

 
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