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Stell dir vor,
… du darfst nicht mehr auf die Straße wann du willst.
… du darfst deine Freunde nicht mehr treffen.
… alle sagen, du bist an allem Schuld.
… morgen früh holen sie dich ab.

“Ich habe erlebt, wozu Menschen fähig sind, die einer Verführung erliegen. Man darf es nicht soweit kommen lassen.” Carola Stern
Die Geschichte des Nationalsozialismus neu erzählt – nicht nur für junge Leser
“Nachdrücklich zu empfehlen!” FAZ

 

  Autor: Ingke Brodersen, Carola Stern (Herausgeber)
Verlag: Fischer (Tb.), Frankfurt
Erschienen: November 2006
ISBN 13: 978-3596167654
Seitenzahl: 249 Seiten


Stil und Sprache
Die beiden Herausgeberinnen baten insgesamt 6 Autoren jeweils ein ihnen gemäßes Thema zur Zeit des Nationalsozialismus zu bearbeiten:
Hans Mommsen: „Der Führerstaat“
Hilke Lorenz: „Mit dem Führer auf Fahrt“
Mirjam Pressler: „Himmel und Hölle“
Ursula Wölfel: „Warum muss ein Soldat töten?“
Hermann Vinke: „Sag nicht es ist fürs Vaterland“
Hartmut von Henting: „1945“

Stil und Sprache sind sehr unterschiedlich bei den Autoren. Mommsen schreibt in einem klaren, analytischen Stil, wie man es von einem Historiker erwarten kann. Hilke Lorenz dagegen schreibt einerseits gut verständlich, oft betulich und betont einfach, dann aber wieder anspruchsvoller. Mirjam Pressler geht einen anderen Weg, sie erzählt ihre Geschichte im Stil eines biographischen Romans, mit viel Spannung und eingängigen Dialogen. Leider gelingt es ihr trotzdem oder gerade deshalb nicht, das Grauen von Theresienstadt 1:1 wiederzugeben. Ursula Wölfel wählt eine ähnliche Darstellung und stellt den nationalsozialistischen Alltag episodenhaft anhand einer fiktiven Wohngemeinschaft in einem Mehrparteienhaus dar. Flüssig und gut lesbar spricht sie durch die Wortwahl und Dialoggestaltung, wie schon Lorenz, jüngere Leser an. Hermann Vinke widmet seinen Aufsatz dem deutschen Widerstand. Sein Stil erinnert mich an die Sendungen von Guido Knopp, sachliche Informationen wechseln sich mit “Spielszenen” ab. Ebenso wie Vinke, wendet sich auch Hartmut von Hentig in Sprache und Stil an Jugendliche. Er teilt seinen Beitrag bewusst in zwei Hälften, hier autobiographischer Bericht, dort philosophischer Aufsatz. Einen Vorsatz, den er allerdings nicht ganz einhält.


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Wie bereits beim Stil, unterscheiden sich die Autoren auch bei der Qualität der Berichte deutlich. Obwohl das Buch für Jugendliche und junge Erwachsene gedacht ist, wird der Inhalt der Beiträge dieser Zielgruppe nicht immer gerecht.
Mommsen vereinfacht zwar manches, aber er macht nicht den Fehler, Vereinfachung mit Herablassung zu verwechseln. Er begegnet seinen Lesern immer auf Augenhöhe. Gleiches gilt für Vinke und von Henting. Leider wird in den anderen Artikeln ein bedeutend jüngeres Publikum angesprochen, was sich im Vergleich für diese Autoren dann nachteilig auswirkt.
Mommsens Vorteil ist, dass er nur die reinen Fakten chronologisch wieder zu geben braucht und sich klugerweise der Wertung enthält. Der Haken an der Sache ist, dass die Konservativen ziemlich schlecht weg kommen, weil er die Kommunisten und die Rolle, die sie bei der Destabilisierung der Weimarer Republik spielten, unerwähnt lässt. Vinke rehabilitiert in seiner Bestandsaufnahme der verschiedenen Möglichkeiten, Widerstand zu leisten, die “Rote Kapelle”, dies war längst überfällig.
Hilke Lorenz macht den Fehler, den Alltag in der Hitlerjugend zu einseitig darzustellen – Zeltlagerromantik und Heimatabend. Die negativen Seiten, die auch schon damals Kinder und Jugendliche gegen die HJ (Hitler-Jugend) aufbegehren ließen, bleiben außen vor. Auch “Warum muss ein Soldat töten?” finde ich reichlich blauäugig. Ein Blockwart, der nicht mitbekommt, dass der Hauseigentümer Flüchtlinge im Keller versteckt und ins Ausland schafft – bei aller Liebe, wer glaubt denn sowas? Zu allem Überfluss gibt es auch noch ein Friede, Freude, Eierkuchen Happyend. Weshalb möchte die Autorin ihren Lesern nicht etwas mehr Realität zumuten?
Pressler zeichnet den Weg eines jüdischen Mädchens ins KZ Theresienstadt nach, das ganze Grauen dort, traut sie sich aber nicht zu schildern. Vielleicht ist dies auch besser so.
Von Henting ist bei Kriegsende 20 Jahre alt und will nichts anderes als leben. Ich finde es spannend, ihn auf seinem Weg in die Demokratie zu begleiten.

Bei der Altersangabe tue ich mich sehr schwer, von Hentigs Aufsatz ist für 10-jährige zu anspruchsvoll, Lorenz und Wölfels Beiträge für Jugendliche wohl eine Zumutung. Am besten legt man sich das Buch zu und liest es in Etappen, je nach Alter und Interesse.


Aufmachung des Buches
Das Taschenbuch hat fast DIN A 4 Größe, liegt aber trotzdem gut in der Hand. Die Umschlagillustration entstammt einem Bilderzyklus von Charlotte Salomon (ermordet 1943 in Auschwitz) und zeigt eine gesichtslose Masse, die willig der voran getragenen Hakenkreuzfahne folgt. Nach dem Vorwort von Ingke Brodersen folgen 6 Aufsätze der oben genannten Autoren. Das Nachwort schrieb Carola Stern. Photographien bekannter Persönlichkeiten der Weimarer Republik, von Nazigrößen und aus dem Widerstand ergänzen die Artikel. Photos ganz “normaler Menschen” veranschaulichen den nationalsozialistischen Alltag. In einem kurzen Anhang werden die Autoren dem interessierten Leser vorgestellt.
Viele “Spickzettel”, die geschichtliches Hintergrundwissen liefern und bestimmte Begriffe und Sachverhalte erklären, runden das Buch ab. Durch den Einsatz der “Spickzettel” erspart man den Lesern das oft ermüdende Blättern in den Anhängen und trägt so erheblich zur guten Lesbarkeit des Buches bei. Eine prima Idee, die hoffentlich Schule macht.


Fazit
Für erwachsene Leser gibt es eine Unmenge an Literatur zur NS-Zeit, im Jugendbuchsektor sieht es dagegen ziemlich mau aus. Mit „Eine Erdbeere für Hitler“ wurde ein guter Anfang gemacht, der hoffentlich Nachahmer findet. Diesen wünsche ich dann auch den Mut, heiße Eisen, wie z.B. die Rolle der Wehrmacht, anzupacken.


4 Sterne


Hinweise
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