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Auf einem Marktplatz in Delhi explodiert eine Bombe. Eine der vielen kleinen, die von der Welt kaum beachtet werden – und tötet die Khurana-Brüder. Ihr zwölfjähriger Freund Mansoor überlebt, doch der Anschlag hinterlässt Spuren an Körper und Seele. Jahre später lernt Mansoor den Aktivisten Ayub kennen und seine Suche nach einem Platz im Leben nimmt immer radikalere Formen an. Wie Druckwellen einer Explosion folgt der Roman den Lebensläufen von Opfern, Angehörigen und Tätern und beantwortet die wichtigsten Fragen unserer Zeit: Was macht Terrorismus mit uns? Und wie werden Menschen zu Terroristen?

 

In Gesellschaft kleiner Bomben 

Originaltitel: The Association of Small Bombs
Autor: Karan Mahajan
Übersetzer: Zoe Beck
Verlag: btb Verlag
Erschienen: 8. April 2019
ISBN: 978-3442717767
Seitenzahl: 368 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Der in Neu-Delhi aufgewachsene Autor Karan Mahajan geht in seinem 2016 im Original erschienen Roman der Frage nach, wie Menschen sich radikalisieren. Welche Motive, Entscheidungen und Erlebnisse üben einen direkten Einfluss aus?

Es sind nicht die großen Bomben mit Hunderten von Toten, die wir in den Nachrichten hören, es sind die kleinen, beinahe alltäglichen Bomben, die in ganz Indien explodieren. Eine dieser Bomben detoniert 1996 auf einem belebten Markt in Delhi. Nakul und Tushar sind sofort tot, ihr zwölfjähriger Freund Mansoor kommt mit einer verletzten Hand und einem Trauma davon.
Schon allein die unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten der Freunde, Mansoor gehört einer gut situierten, säkularen muslimischen Familie an, seine beiden Freunde einer ärmeren, säkularen Hindufamilie, wären einen ganzen Roman wert. Aber Mahajan geht noch weiter. Das gewaltsame Sterben der beiden ärmeren Kinder und das Überleben des wohlhabenderen Mansoors, der Umgang der Familien mit dem Tod und untereinander zeigen die Unterschiede in Indien auf.
Mahajan nähert sich in seinem Roman nicht nur den Opfern, auch der Blickwinkel der Terroristen wird eingenommen, die sich gerne zu Pionieren erklären und die wahre islamische Revolution vorbereiten.


Stil und Sprache
In einem rationalen, fast spöttischen Ton wird ein unversöhnliches Bild Indiens gezeichnet. Die Korruption in der Politik, Folter durch Staatsorgane, Willkür bei den Verhaftungen muten fast wie eine Abrechnung gegenüber diesem Land an. Auch der Anschlag auf das World Trade Center findet eine kurze Erwähnung und erhärtet nicht nur die Fronten zwischen den Minderheiten, auch werden Muslime in aller Welt misstrauisch von der Gesellschaft und den Staaten beobachtet.

Die Veränderungen, die die Familien der Hinterbliebenen und Überlebenden durchmachen, werden bisweilen lakonisch verarbeitet, aber immer wieder gibt es Passagen, die berühren, zum Beispiel wenn Vikas, der Vater der beiden toten Jungs, am Fenster verharrt und endlich seinen Schmerz zulässt.

Mahajans wohldurchdachte Erzählhaltung mit Rückblenden, zum Teil in Klammern gesetzten Einschüben und wechselnden Perspektiven rückt den Überlebenden Mansoor und seine Familie, die Angehörigen der getöteten Brüder und die Terroristen, die diesen Anschlag verübt haben, in den Mittelpunkt.

Einzig das Ende des Romans ist ein wenig enttäuschend. Hat Mahajan bisher mit einer schonungslosen Genaugkeit die Konsequenzen eines brutalen Aktes geschildert, so kommt das Ende ein wenig holprig und gleitet sprachlich in eine andere Dimension ab.


Figuren
Mansoor überlebt den Anschlag, den muslimische Terroristen, die die Unabhängigkeit Kaschmirs mit Gewalt herbeiführen wollen, verübt haben. Auf dem Markplatz entdeckt er seine Freunde tot zwischen Bombensplittern und umherfliegenden Waren und flieht, immer noch benommen von der Explosion, vom Ort des Geschehens, versucht, irgendwie nach Hause zu kommen und verirrt sich in den quirligen Straßen Delhis. Allein in den Straßen ist er auch allein, isoliert, in seinem weiteren Leben. Seine verletzte Hand heilt, sein Trauma bleibt.
Später studiert er in den USA Informatik, wird nach den Anschlägen auf das World Trade Center als Muslim argwöhnisch beäugt und kehrt schließlich, nicht zuletzt wegen seiner schmerzenden Hand, zurück nach Delhi. Er engagiert sich in einer NGO, die für bessere Haftbedingungen für unschuldig verhaftete mutmaßliche Terroristen eintritt, und freundet sich mit Ayub an, der ihm vergegenwärtigt, seine Schmerzen sind nicht physischer, sondern psychischer Natur.
Die Freundschaft mit Ayub ist fatal. Ayub und Mansoor gehen den Weg der Radikalisierung, die Mahajan hier eindrucksvoll schildert.

Seine Figuren entwickelt Mahajan frei von Pathos, verzichtet auf Identifikationen der Protagonisten, setzt aber auf Komplexität. Das Auseinandernehmen von Motiven und Ängsten sowohl der Angehörigen als auch der Terroristen zeigt, dass eine kleine Bombe gewaltige Auswirkungen hat.
Zum Beispiel die Eltern der getöteten Jungs, die zunächst den Schmerz nicht an sich heranlassen, zehn Monate später wird ihnen eine Tochter geboren. Sie bestehen darauf, die mutmaßlichen Attentäter nach deren Verhaftung im Gefängnis zu treffen. In stiller Hoffnung, das Geschehene zu verstehen.
Die Eltern des überlebenden Mansoors hüten ihren inzwischen erwachsenen Sohn wie ihren Augapfel und können doch nicht verhindern, dass er ihnen entgleitet.
Die Sichtweise der Terroristen wird nahezu rührend erzählt. Malik, der Denker der Gruppe, der seine Ideen aus den Büchern Ghandis, Puschkins oder Tolstois holt, wird ob seiner Sonderlichkeit von Shockie, dem Top-Bombenleger, vor der Gruppe beschützt, die diesen vermutlich schon längst umgebracht hätten.


Aufmachung des Buches
Das Cover des Taschenbuchs zeigt beinahe fühlbar eine Explosion.
Das handliche Buch gliedert sich in 32 Kapitel.


Fazit
Ein nachdenklicher Roman, der die Auswirkungen einer kleinen Bombe auf die Gesellschaft eindrücklich schildert. Ein lesenswerter Roman, der nicht nur die Innenwelt seiner Protagonisten illustriert, sondern auch die Innenwelt Delhis mit all seinen Makeln.


4 5 Sterne


Hinweise
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