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Wien in den 1880er-Jahren: Die junge Sophie von Werdenfels flüchtet aus der tristen Atmosphäre ihres Elternhauses so oft wie möglich in die Pracht des Kaffeehauses ihres bürgerlichen Onkels. Dort lernt sie Richard von Löwenstein kennen, einen persönlichen Freund des Kronprinzen Rudolf. Während sich die beiden verlieben, schwärmt Sophies beste Freundin Mary für den verheirateten Kronprinzen. Ungeachtet aller Warnungen Sophies, lässt sich Mary sogar auf eine Affäre mit Rudolf ein. Und niemand ahnt, dass dadurch das Kaiserreich in seinen Grundfesten erschüttert wird …

 

Das Kaffeehaus 

Autor: Marie Lacrosse
Verlag: Goldmann
Erschienen: 28. September 2020
ISBN: 978-3-641-25143-7
Format: E-Book
Seitenzahl der Printausgabe: 736 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
30. Januar 1889: In seinem Jagdschloss Mayerling bei Baden/Ö. stirbt der österreichische Thronfolger Rudolf, indem er sich eine Kugel in den Kopf schießt. Mit ihm zusammen wird die junge Komtess Mary Vetsera tot aufgefunden. Die Vorgeschichte und das bittere Ende ihrer Beziehung stellt Marie Lacrosse spannend, bewegend und – Dank erst kürzlich entdeckter Quellen – sehr authentisch und eindringlich dar.


Stil und Sprache
Wer bei dem Titel „Das Kaffehaus“ einen beschaulichen Roman aus dem Wien der Gründerzeit erwartet, der irrt sich sehr, denn obwohl er zunächst mit der Schilderung des „Café Prinzess“, seines Besitzers und dessen Nichte Sophie sowie diverser, dort angebotener Leckerereien - allen voran der „Mokkaprinzentorte“ - beginnt; dieses Buch beschreibt einen der größten Schicksalsschläge, den das Haus Habsburg in seiner jahrhundertelangen Geschichte erlitten hat: Den Selbstmord des einzigen Sohnes und Thronfolgers Kaiser Franz Josephs I. von Österreich-Ungarn.

Marie Lacrosse hat sich sehr eingehend mit diesem Ereignis beschäftigt und kann – auf Grund neuer, bis zum Jahr 2015 nicht bekannter Erkenntnisse – dem Leser einen unerwartet glaubwürdigen Blickwinkel auf dieses Drama eröffnen. Dazu schreibt sie ausführlich in ihrem sehr interessanten Nachwort „Wahrheit und Fiktion“ über ihre umfassenden Recherchen und die Schlussfolgerungen, die sie als Psychologin aus den Geschehnissen – vor allem im Bezug auf die seelische Verfassung der Hauptpersonen – gezogen hat.

Dabei stellt die Autorin wieder einmal ihr außerordentliches Erzähltalent unter Beweis. Ausdrucksvoll und treffend schildert sie die „Belle Epoche“ in Wien – die Welt des Adels, die Zwänge, denen die jungen Damen unterworfen sind, die Freiheiten, die die Herren sich erlauben, das strenge Protokoll am Kaiserhof – sodass der Leser jederzeit das Gefühl hat, unmittelbar dabei zu sein und sich tatsächlich in das Geschehen hinein versetzen zu können. Der Spannungsbogen steigert sich kontinuierlich bis zum sehr aufwühlenden Ende. Obwohl dieses den meisten historisch Interessierten bekannt sein dürfte, hofft man doch bis zuletzt, dass es nicht wirklich dazu kommt – wie man weiß, leider vergeblich.


Figuren
Kaiser Franz Joseph I. regiert seit über 30 Jahren den riesigen Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn. Er ist ein überaus konservativer Monarch, der für die Reformideen seines Sohnes und Thronfolgers Rudolf keinerlei Verständnis aufbringt. Statt ihn auf seine späteren Aufgaben vorzubereiten, verwehrt er ihm jeden Anteil an seiner Macht und lässt ihn sogar bespitzeln. Dass Rudolf sich daraufhin aus Frust und Langweile einem ausschweifenden Lebenswandel hingibt und – in den Augen seines Vaters – die falschen Freunde und viele wechselnde Liebschaften hat, bestärkt den Kaiser noch in seiner Verachtung für ihn, sodass ihr Verhältnis sich immer mehr verschlechtert.
Bei seiner Mutter Elisabeth – in der Familie Sisi genannt – findet Rudolf auch keinen Halt. Im Gegensatz zu ihm hat sie die Möglichkeit, aus dem ihr ebenfalls verhassten Hofleben zu fliehen und reist – indem sie ständig neue Krankheiten vorschützt – monatelang durch halb Europa. Wenn sie überhaupt in der Lage ist, mütterliche Gefühle aufzubringen, gehören sie ihrer jüngsten Tochter Marie Valerie, die – sehr bedeutsam – in der Umgebung der Kaiserin heimlich als „die Einzige“ bezeichnet wird, obwohl es auch noch die ältere Schwester Gisela gibt. An ihr hängt Rudolf sehr, aber sie wurde bereits mit 16 Jahren nach Bayern verheiratet und er sieht sie nicht oft.
Die arrangierte, unglückliche Ehe mit Stephanie von Belgien – bei der Heirat erst 15, nicht besonders hübsch und für den sensiblen und gebildeten Rudolf keine gleichwertige Partnerin – ist ein weiterer Auslöser, ihn immer öfter an Selbstmord denken zu lassen.
Aber er ist zu feige, diesen Vorsatz allein auszuführen und sucht daher eine junge Frau, die bereit ist, ihn im Tode zu begleiten. Er findet sie in der erst 17jährigen Mary Vetsera, die ihn seit Jahren bewundert und liebt und nutzt ihre starken Empfindungen für ihn ohne Skrupel aus.

Marie Lacrosse ist promovierte Psychologin und hat sich sehr tief in das Gefühlsleben dieser beiden historischen Personen hinein versetzt. Sie sind im Grunde die Hauptfiguren ihres Romans und um ihre Geschichte glaubwürdig und nachvollziehbar erzählen zu können, sind die fiktive Sophie von Werdenfels sowie Richard von Löwenstein und ihre Familien notwendig, um einen „roten Faden“ zwischen den einzelnen Episoden – Rudolf und Mary betreffend – zu schaffen.
Es ist der Autorin wieder einmal gelungen, ihre erfundenen Charaktere so echt und überzeugend mit den tatsächlichen Figuren und Ereignissen in Einklang zu bringen, sie so lebendig und plausibel darzustellen, dass man nicht nur mit Rudolf und vor allem Mary mitleiden und -empfinden kann, sondern dass einen auch das Schicksal von Sophie und Richard nicht unberührt lässt.
Für treue Leser von Marie Lacrosse ist der Auftritt einer bekannten und lieb gewordenen Figur aus der „Weingut-Serie“ sicher eine besondere Überraschung. Aber Irene von Sterenberg ist genau die richtige Person, um Sophie in ihrer verzweifelten Stimmung zur Seite zu stehen und zu beraten. Das war am Schluss des Buches noch einmal ein echtes Highlight.


Aufmachung des Buches
Das Cover des E-Books zeigt im Hintergrund ein imposantes Gebäude aus der Gründerzeit, in dessen Erdgeschoss sich ein Café befindet. Die junge Dame vorn trägt ein hellblaues, sommerliches Promenadenkleid und einen blumengeschmückten Strohhut – passend zur Zeit der Handlung Ende des 19. Jahrhunderts.
Auf zwei Karten von Wien und Umgebung sowie einer weiteren des Kaiserreichs Österreich-Ungarn folgt ein nach Familien geordnetes Personenverzeichnis, wobei die historischen mit einem * bezeichnet sind.
Der Inhalt gliedert sich in den Prolog vom April 1879, 5 Hauptabschnitte mit 26 Kapiteln – alle mehrfach unterteilt, datiert und mit Ortsnamen versehen – sowie den Epilog vom Februar 1889.
Anmerkungen der Autorin zu „Wahrheit und Fiktion“ – inklusive der Danksagung – ein Glossar und ein Quellenverzeichnis beschließen das Buch.


Fazit
Über Kronprinz Rudolf und die „Affaire Mayerling“ gibt es zahlreiche Biografien, Romane, Filme und sogar ein Musical. Aber nichts davon hat diese Tragödie derart einfühlsam, realistisch und nachvollziehbar erzählt, wie dieses Buch von Marie Lacrosse.
„Es könnte SO gewesen sein“ ist für mich das wichtigste Kriterium für einen guten historischen Roman und „Das Kaffeehaus“ ist einer der besten, die ich in diesem Jahr gelesen habe.


5 Sterne


Hinweise
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