In einer Sommernacht lernen sie sich kennen: Sean, Student aus dem Iran, seit zwei Monaten in Deutschland, und Davy, aus dem Heim abgehauen, auf der Suche nach einem Freund. Beide werden Zeugen eines Überfalls. Von nun an verfolgt von Verbrechern und Polizei türmen sie zusammen quer durch Deutschland: über Erdbeerfelder, unter dunklen Gewitterwolken, durch Biergärten, im Heißluftballon, mit der Bahn und auf dem Moped. Immer wieder werden sie dabei von Kühen umzingelt, das scheint ihr Schicksal zu sein. Warum sonst sollte der Wagen mit Sean und dem Abschiebebescheid ausgerechnet auf dem Weg zum Flughafen in einer Kuhherde stecken bleiben?
Autor: Antonia Michaelis |
Die Grundidee der Handlung
Der obenstehenden Verlagszusammenfassung gibt es inhaltlich nichts hinzuzufügen. Antonia Michaelis ist dafür bekannt, sich in ihren Jugendbüchern mit ernsten, aktuellen Themen zu beschäftigen und diese auf oftmals skurrile Art persönlich greifbar zu machen. Das ist ihr auch in „Tankstellenchips“ hervorragend gelungen. Statt in der Flüchtlingsdebatte den mahnenden Zeigefinger zu heben, erzählt sie die bewegende Geschichte von Shayan, genannt Sean, und Davy und webt die politische Dimension vorrangig zwischen den Zeilen ein. So stimmt ihr Roman nachdenklich, bewegt den Leser und unterhält ihn gleichzeitig von der ersten bis zur letzten Seite ausgezeichnet.
Stil und Sprache
Sprachlich ist „Tankstellenchips" Antonia Michaelis auf der einen Seite großartig gelungen, aber auf der anderen Seite auch nicht ganz leicht zu lesen. Während die Beschreibungen sich fließend und problemlos lesen – sie werden in der ersten Person von Shayan erzählt – sind die Dialoge anfangs eine kleine Herausforderung. Davy hat einen Sprachfehler und Shayan spricht nur gebrochen deutsch – an diese Kombination muss man sich erst gewöhnen. Gleichzeitig bringen die Missverständnisse, die sich daraus mit anderen Figuren ergeben, auch einiges an Humor in die Handlung.
>>Hinter dem Strand lag ein Wald aus frierenden deutschen Kiefern. Ich habe gelernt, dass es extra Orthopäden für sie gibt, vermutlich, weil sie so krumm stehen. Na wenn die Deutschen Hundefriseure haben, warum dann keine Kieferorthopäden?<< Seite 12
Generell ist „Tankstellenchips“ immer wieder sehr komisch und derart skurril, dass man selbst in traurigen oder dramatischen Szenen kurz lachen kann. In dem Buch werden viele ernste Themen behandelt und ich finde es sehr gut, dass Antonia Michaelis diese trotzdem mit viel Humor kombiniert hat. So kann man beim Lesen lachen und auch weinen, erkennt den Ernst der Situation ebenso wie die Hoffnung, die sich aus dieser unwahrscheinlichen Freundschaft ergibt. Gerade zwischen den Zeilen ist auch viel Gesellschaftskritik verborgen, die nachdenklich stimmt und noch lange nach der letzten Seite nachklingt.
Die Handlung selbst ist wie bereits geschrieben recht skurril. Davy und Shayan geraten von einer absurden Situation in die nächste, das Buch bleibt dabei durchgängig spannend. Das Tempo ist hoch, wird aber bewusst für die emotionaleren Momente immer wieder verlangsamt. In Summe ergibt sich ein absolut stimmiger Roman, der ein passendes Ende hat, auch wenn es mir wirklich schwer fiel, Davy und Shayan nach der letzten Seite gehen zu lassen.
Figuren
Wie die Inhaltsbeschreibung schon vermuten lässt, sind Davy und Sean die Protagonisten von „Tankstellenchips“. Sean heißt eigentlich Shayan und ist aus dem Iran nach Europa geflohen. Durch Zufall ist er in Deutschland gelandet und versucht nun, sich zu integrieren und nicht abgeschoben zu werden. Von der ersten Szene an nimmt man Shayan als verantwortungsvollen jungen Mann wahr, der es zumeist durch seine hilfsbereite Art schafft, von einer Katastrophe in die nächste zu geraten. Da er der Ich-Erzähler der Handlung ist, erfährt man auch viel über seine Gedanken und Gefühle. Seine tragische Hintergrundgeschichte wird dabei aber erst nach und nach enthüllt.
Davy muss man einfach sofort ins Herz schließen. Er ist aus dem Heim abgehauen und blickt mit herrlicher Naivität auf die Welt, die durch seinen Sprachfehler noch untermalt wird. Gleichzeitig hat aber auch er ein schweres Päckchen zu tragen. Das Zusammenwirken von Davy und Shayan macht den Reiz des Romans aus und ist der Autorin großartig gelungen.
Die Nebenfiguren sind zahlreich, wobei die meisten nur kurze Gastauftritte haben, bis die beiden Protagonisten weiterziehen. Die bleibenden Figuren wurden von der Autorin bewusst überzeichnet und bilden einen faszinierenden Hintergrund für die Geschichte von Shayan und Davy.
Aufmachung des Buches
Auf den ersten Blick macht das Cover von „Tankstellenchips“ nicht viel her außer durch die Farbe aufzufallen. Nach dem Lesen erkennt man jedoch, dass es eigentlich ganz gut zur Geschichte passt und das Motiv gut gelungen ist. Besonders gefallen hat mir, dass man unter dem Schutzumschlag die aufgerissene Chipstüte mit den restlichen Krümeln abgedruckt hat.
Im Buchinneren habe ich ein wenig eine Karte vermisst, um Seans und Davys Reise nachvollziehen zu können, aber ansonsten ist die Gestaltung gelungen und sehr gut lesbar.
Fazit
Als ich „Tankstellenchips“ von der Buchhändlerin meines Vertrauens empfohlen bekam, ahnte ich nicht, was für einen Schatz ich da kaufte. Das Buch war mein Lese-Highlight des Jahres 2018 – humorvoll, bewegend, nachdenklich stimmend, absolut großartig!
Hinweise
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